7. Dezember 2015
Deutsch ist hier in Valdivia sehr präsent. Das weiß ich mittlerweile. Als ich aber angefangen habe hier an der Universität einen zusätzlichen Deutschkurs zu geben, hätte ich nicht gedacht, dass ein fünfzigjähriger gestandener Mann zu den treuesten, aber auch skurrilsten Deutschlernern gehören wird. Die Rede ist von Jorge.
Ob Deutschlandkäppi, Deutschlandanstecker, Deutschlandjutebeutel, Hansa Rostock Schal oder sein bayerisches Einstecktuch, der Herr stellt sein Faible gern zur Schau. Kein Wunder, dass er sich die einmalige Gelegenheit einen völlig kostenlosen Deutschkurs zu besuchen nicht entgehen lässt. Für ihn ist Deutsch nicht nur ein Lebensprojekt sondern eine Leidenschaft. Er versteht zwar recht viel, traut sich aber bis auf wenige Ausdrücke wie „Danke“ und „Tschüss“ leider noch nicht zu sprechen.
Und trotzdem. Obwohl er eineinhalb Busstunden vom Zentrum Valdivias entfernt auf dem Land lebt, nimmt er regelmäßig eine kleine Odyssee auf sich, um sich mit deutschsprachigen Menschen zu umgeben. Abgesehen von den Kursen, kommt Jorge immer zum Stammtisch, geht in die Lutherische Kirche oder ist beispielsweise auf dem Weihnachtsmarkt der Deutschen Schule anzutreffen.
Alles was er über Deutschland weiß, hat er aus zweiter oder dritter Hand während seine Deutschlandbilder sehr folkloristisch geprägt und klischeebelastet sind. Er selbst war nämlich noch nie dort.
Wie nicht wenige im Süden Chiles hat auch Jorge deutsche Wurzeln. Seine Eltern kamen mit der Migrationswelle kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Nähe von Glücksstadt nach Valdivia. Schon seitdem er ein Kind ist, ist er vernarrt in die vermeintlich deutsche Kultur. Einmal meinte er zu mir, dass ihn sogar schon seine Eltern als kleinen Jungen in Lederhosen gesteckt haben. Ein Hobby, das bis heute geblieben ist.