1. Januar 2023
Meine Mission war kreolisches Glück zu suchen. Habe ich es gefunden? Hier kommt der Versuch eines kleinen Fazits, zu den Dingen, die ich hier auf La Réunion gelernt habe.
Während ich diesen Blogpost hier gerade schreibe, liege ich mit Corona in Deutschland im Bett. Dadurch habe ich aber auch sehr viel Zeit über meine ganzen Erlebnisse im Ausland nachzudenken und dachte es wird endlich mal wieder Zeit für einen neuen Text. Zeit, die ganzen Erfahrungen und Abenteuer sacken zu lassen und ein Fazit zu ziehen. Als erstes kann ich sagen, dass ich gerade mal vier Tage wieder zu Hause bin und sich La Réunion trotzdem schon wieder ewig her anfühlt. Und das deutsche Wetter habe ich auch schon satt! Sonnenaufgang um 8.42 Uhr und ab 16 Uhr schon wieder dunkel. Aber eigentlich ist es sowieso den ganzen Tag über dunkel, grau und kalt. Also gar nicht so schlimm hier die ganze Zeit eingekuschelt in meinem Bett zu liegen. 😀
Ich glaube kreolisches Glück (falls man es überhaupt so nennen kann) spiegelt sich in vielen verschiedenen Facetten wider. Es sind die vielen kleinen Momente, die alle zusammen, eben dieses besondere Lebensgefühl ergeben. Dieses Gefühl, was sich so schwer beschreiben lässt. Einfach glücklich sein, sorgenfrei und im Moment leben. In Deutschland denke ich viel an Dinge, die ich noch zu erledigen habe, meine ewig lange To-Do Liste und was ich bis wann wie organisiert haben muss. Nicht, dass ich das auf La Réunion nicht gemacht habe, aber da lebt man irgendwie mehr im Hier und Jetzt. Man denkt nicht an was hätte wie anders laufen können oder was wäre wenn? Sondern es ist der Augenblick, der zählt.
Wann war das letzte Mal, dass du etwas zum ersten Mal gemacht hast?
Mein Neujahrsvorsatz? Einmal im Monat etwas Neues sehen oder irgendetwas ausprobieren, was man vorher noch nie gemacht hat. Einfach mal die eigene Komfortzone verlassen. Für mich gab es mehrere solcher Momente hier auf La Réunion: Motorrad fahren, Rafting, mit Höhenangst Berge hochklettern und ich hatte noch nie so viele blaue Flecke, wie in den letzten Monaten. Die Insel heißt ja nicht umsonst île intense.
Was mir noch aufgefallen ist? Die Familie hat auf La Réunion einen anderen Stellenwert – zumindest scheint man hier eine andere Vorstellung davon zu haben. Ein Beispiel was mir dazu einfällt, ist die Geburtstagsfeier von zwei deutschen Erasmus-Studenten an einem Samstagabend. Sie haben auch ein paar réunionnais eingeladen. Es haben aber alle von ihnen abgesagt, weil sie sonntags morgens mit der Familie picknicken gehen und deshalb ausgeschlafen sein wollten. Noch ein anderes Beispiel? Eine Freundin wurde für ein Date versetzt, weil der Bruder von dem Date angerufen hatte und unbedingt noch einkaufen gehen musste und jemanden mit einem Auto brauchte, der ihn fährt. Siehst du, was ich meine? Nicht, dass uns in Deutschland Familie und Freunde nicht wichtig sind – ganz im Gegenteil! Aber ich glaube das Denken darüber ist hier einfach wieder ein kultureller Unterschied.
Allgemein waren die Menschen, die ich auf La Réunion kennenlernen durfte, einfach super freundlich und hilfsbereit. Ich hatte das Gefühl, dass alle durchgehend gute Laune hatten. Und so ist es ganz normal, dass man an der Kasse im Supermarkt ein Pläuschchen mit der Person vor und hinter einem hält, der Nachbar einfach Mangos vorbeibringt oder man bei der Familie gegenüber zum Essen eingeladen wird.
Viele haben nicht viel Geld, aber dennoch hatte ich den Eindruck, dass sie glücklich(er) sind. Jedenfalls scheint man sich hier nicht so oft über seine Situation zu beschweren. Und sind wir mal ehrlich, in Deutschland nörgeln wir schon über viele Kleinigkeiten rum. Jemand den ich kennengelernt habe, hat sich das 12 Quadratmer Zimmer im CROUS (dem Studentenwohnheim) mit seinem Bruder geteilt, der dann auf einer Isomatte vor dem eigentlichen Bett geschlafen hat. Einfach, weil es sich die Familie nicht leisten kann, für zwei Söhne ein Zimmer im CROUS zu zahlen. Bevor er das Zimmer bekommen hatte, ist er jeden Tag aus dem Osten der Insel gependelt. Pendeln für uns heißt in einem warmen Zug zu sitzen und von da aus evtl. schon zu arbeiten. Für ihn hieß pendeln, dass sein Vater ihn morgens um 5 Uhr auf dem Weg zu seiner Arbeit an der Uni abgesetzt hat.
Ich habe aber auch gelernt, dass du an einem noch so schönen, paradiesischen Ort sein kannst, es aber letztendlich auf die Leute ankommt, mit denen man unterwegs ist. Und so kann selbst das kleine versiffte Gym der Uni ein Ort sein, auf den man sich freut, wenn man einen tollen Gym-Buddy hat! Oder dann ist es auch nicht so schlimm, wenn man nach acht Stunden Wandern in Regen und Sturm oben auf dem höchsten Berg des Indischen Ozean (den Piton des Neiges) noch nicht mal einen schönen Sonnenaufgang sieht. Ich würde trotzdem nochmal hochgehen, einfach weil die Leute, mit denen ich unterwegs war, so toll waren. Deshalb auch hier an meine anderen, deutschen Erasmus-Friends: Danke, dass ihr diese Zeit unvergesslich gemacht habt.
Was können wir uns aber noch von den Einheimischen abgucken? Egal wo du bist, fast überall hört man Musik. Ob sie aus einem vorbeifahrenden Auto kommt, ein Straßenmusiker in der Innenstadt steht oder gegenüber von dir die Familie zu Hause singt. Und das geht auch häufig mit Tanzen einher. Es kam nicht selten vor, dass irgendwo in einer Bar oder draußen vor einem Snack die Leute einfach angefangen haben zu tanzen. Musik war ein ständiger Begleiter in meinem Alltag. Und vielleicht überträgt sich das auch auf die Leute und dadurch entsteht ihre entspannte, lockere Art.
Die Musik, die oft mit La Réunion verknüpft wird, ist eindeutig die Maloya. Meine Mitbewohnerin hat mir erzählt, dass dies auf frühere Sklaven zurückgeht, die versteckt auf den Plantagen gesungen und getanzt haben. Daher war Maloya auch lange Zeit verboten, erst von den Besitzern, später aber auch von der kolonialen Administration, da diese glaubte, dass es dadurch zu Aufständen kommen könne. Maloya hat sich aber durch geheime Konzerte durchgesetzt und gehalten. Seit dem 1. Oktober 2009 gehört sie zu dem immateriellen kulturellen Welterbe durch UNESCO. Heute wird diese Musikrichtung oft zum Gedanken an die Vorfahren genutzt und soll an den Schmerz aber gleichzeitig auch die Widerstandsfähigkeit und Kraft der Sklaven erinnern.
Hier kommt noch eine kleine Playlist, von Liedern, die auf La Réunion immer gespielt wurden (und falls du ein bisschen in (kreolische) Musik abtauchen willst, hör sie gern mal an):
- DJ Sebb : L’intéressant
- Marshall : Kafrine
- P.L.L : Scandal
- DJ Sebb : Roulman
- Georges Fourcade: Ti fleur fané
- Alain Peters: Rest‘ la maloya
- Ti Sours : Kafrine la pa besoin pléré
Entspannen in der Uni
Auch das Studium war in vielen Bereichen sehr viel entspannter als ich das von meiner deutschen Uni kenne. Die Professoren kamen selbst öfter mal zur spät zur Vorlesung oder das Seminar fand einfach gar nicht statt. Generell gab es viele Momente wie Abgaben und Fristen, bei denen ich mich in Deutschland sehr gestresst hätte. Hier war es aber generell alles irgendwie entspannter und das hat sich dann auch auf mich und meine Sichtweise übertragen. Und ich kann dir versichern: auch wenn man den Stress ein bisschen rausnimmt und sich nicht so viel Druck macht, kann man ziemlich gute Noten bekommen. 🙂 Deshalb einfach alles ein bisschen entspannter sehen!
Mein Auslandssemester war so eine tolle Zeit und ich würde direkt wieder gehen. Ich kann also wirklich jedem und jeder einfach nur empfehlen, sich zu trauen und das Abenteuer zu starten! Glaub mir, du wirst es nicht bereuen!
Und vielleicht kann ich ein paar dieser Dinge selbst beibehalten und versuchen auch in meinen deutschen Alltag zu integrieren. Und öfter im Augenblick leben, um eben ein bisschen von diesem kreolischen Glück zu behalten.