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Klischee-Check Kanada Welche Vorurteile stimmen (nicht)?

Kanadier sind die freundlichsten Menschen der Welt; alle spielen Eishockey und jeden Tag gibt es Ahornsirup. So oder so ähnlich lauten die Vorurteile über das Land des Ahornblatts – wie weit stimmen die Klischees und inwiefern ist doch alles anders? Ich berichte von meinen Erfahrungen im Auslandssemester an der Ostküste Kanadas.

So wie viele andere Regionen in der Welt auch, muss sich Kanada vielen Vorurteilen stellen – im Vergleich zu anderen Ländern klingen die Klischees aber doch überwiegend positiv. Ich habe fünf Vorurteile für euch unter die Lupe genommen. Hier kommt mein Resümee.

Kleiner Disclaimer

Eindrücke und Erlebnisse sind für jede Person anders und Kanada ist ein riesiges Land. Was ich empfinde, würde jemand in Vancouver oder Toronto oder sogar hier in Halifax vielleicht ganz anders wahrnehmen. Ich berichte ausdrücklich nur von meinen persönlichen Erfahrungen in Nova Scotia, an der Ostküste Kanadas.

1. „Kanada ist kalt“

Die Bilder in meinem Kopf, die ich von Kanada hatte, haben vor allem eins gemeinsam: Kälte. Wunderschöne Natur, hohe Berge, weite Seen, alles unter einer Schneeschicht verpackt. Wenn nicht Schnee, dann dachte ich an alle Touri-Fotos, die ich so kannte, die die Menschen durchgehend mit Wintermütze zeigen. Auch der Reiseführer für Atlantic Canada sprach von Temperaturen, zwar nicht eisige Kälte, aber doch von im Durchschnitt zehn Grad Celsius weniger, als ich aus Deutschland gewohnt war. All diese Indizien sprachen für mich, dafür meinen Koffer entsprechend mit Winterkleidung auszustatten.

Stimmt nicht!

Wie (fast) immer in meinen Beiträgen der Disclaimer: Kanada ist riesig! Die eisigen Seen und verschneiten Landschaften gibt es in dem Land auf jeden Fall, auch über das ganze Jahr. Trotzdem ist die pauschale Aussage falsch. In den „Maritimes“, die Ecke Kanadas, in der ich mich befinde, sind die Winter mild und die Sommer vergleichsweise kühl. Das heißt: In den Sommermonaten wird es hier bei weitem nicht so heiß, wie ich es von zu Hause kenne. Die Winter dagegen sind zwar etwas frischer als die in Deutschland, aber auch nicht eiskalt.

Stattdessen würde ich das Wetter eher als „wechselhaft“ beschreiben. Vor allem im Herbst an der Ostküste Kanadas ist das Wetter so unvorhersehbar, dass ich mir eigentlich sicher sein kann, falsch angezogen zu sein. Mit Winterjacke morgens aus dem Haus, weil es doch ziemlich kühl ist? Nach zehn Minuten unterwegs sein hängt sie mir bis zum nach Hause kommen über dem Arm. Am nächsten Tag möchte ich schlauer sein und lasse die Jacke direkt zu Hause: Das Wetter wird windig, mich begrüßt ein Regenschauer und ich sehne mich nach meiner kuscheligen Jacke, die warm an meiner Garderobe hängt. Nun ja, dafür weiß ich inzwischen, dass es, sobald die Sonne aufgegangen ist, hier meist recht warm ist (in der Sonne sogar heiß). Wenn sie untergeht, nimmt sie auch alle Wärme mit. Dann fallen die Temperaturen aber auch ziemlich steil.

Foto auf einem Felsen, im Hintergrund ist das Meer. Sarah steht im Vordergrund, die Sonne scheint, Pullover, Leggings, Boots - dicke Jacke scheint nicht nötig.
Kanada heißt nicht zwangsläufig Kälte und Schnee.

2. Das freundliche Geschwisterkind der USA?

Schon oft habe ich von diesen zwei Klischees gehört: In Kanada sei fast alles genauso wie im Nachbarland: Busse, Supermärkte, Sprache. Der einzige signifikante Unterschied soll sich darin finden, dass die Menschen in Kanada über die Maßen freundlich sind.

Stimmt nicht (ganz)!

Eigentlich sind das ja sogar zwei Vorurteile in einem. Beginnen wir mal mit der ersten „Anschuldigung“: Ich verstehe, was Menschen meinen, wenn sie Kanada und die USA über einen Kamm scheren. Die gelben Schulbusse, die übergroßen Verpackungen im Supermarkt, Fast Food überall – auf den ersten Blick finden sich viele Gemeinsamkeiten. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Kanada ist in vielen Aspekten ganz anders als die USA. Die Geschichte Kanadas ist arg mit der von Europas verwoben. Schon allein, dass das Land bis heute zum Commonwealth gehört (und auch auf dem kanadischen Dollar (noch) Queen Elizabeth II. abgedruckt ist) sollte zeigen, wie anders Kanada sich entwickelt hat. Das findet sich in vielen Alltagssituationen wieder – nicht zuletzt in der Sache mit der Freundlichkeit.

Obacht!

Mit der Behauptung, Kanada sei mit der USA gleichzusetzen, solltest du übrigens recht vorsichtig sein: Kanadier sind sehr stolz auf ihre eigene Identität und Geschichte.

Kanadier sind sehr höflich. Die Menschen lächeln sich auf der Straße zu, begrüßen Fremde und entschuldigen sich für so gut wie jede Bewegung, die auch nur im Entferntesten dem Gegenüber behindern könnte. Diese Freundlichkeit geht sogar so weit, dass Autos auf der Straße für Fußgänger anhalten, egal ob ein Zebrastreifen in Sichtweite ist oder nicht. Im Allgemeinen schätze ich diesen freundlichen Umgang sehr und übernehme ihn gern. Doch war es für mich recht befremdlich, dass alle Autos für mich anhielten und mich passieren lassen wollten, sobald ich auf dem Fußweg langsamer wurde. Manchmal wollte ich nicht einmal über die Straße, aber fand es dann auch unhöflich, nicht zu gehen, obwohl alle für mich warten, also bin ich über die Straße gegangen.

Es stimmt also schon, dass viele Kanadier eine sehr freundliche Umgangsform haben. Im Unialltag ist mir aber aufgefallen, dass das oft auf ein oberflächliches Level begrenzt ist. Persönlicher, emotionaler Kontakt scheint vielen deutlich schwerer zu fallen. Aber das ist wieder nur meine Erfahrung, für viele ist das Gefühl hier sicher ein anderes.

3. Alles Ahornsirup?

Sogar die Flagge Kanadas verrät es schon: Der Ahornbaum gehört zum Land. Und damit auch alle Produkte, die sich die Marketing-Abteilung ausdenken kann. Aber stimmt es, dass Ahornsirup so präsent im Speiseplan der Kanadier steht?

Stimmt vielleicht?

Dieses Klischee kann ich weder verneinen, noch bestätigen. Es stimmt, dass Ahornsirup in jedem Supermarkt ein eigenes Regal bekommt. Es ist tatsächlich wahr, dass nahezu jeder Laden, sei es ein örtliches Geschäft in der Stadt oder eine Touristenhütte an beliebten Sehenswürdigkeiten wie „Peggy’s Cove“, Produkte in Verbindung mit Ahorn anbietet. Alles, was nur ansatzweise mit Ahorn zu tun hat, wird verkauft: Ahornsenf, Ahornmarmelade, Whiskey mit Ahornsirup, Ahornsirup mit Blaubeeren, Ahorn alles. Außerdem: Auf Nova Scotia dominieren Ahornbäume (neben Nadelbäumen) sichtlich die Flora.

Dennoch habe ich nicht das Gefühl, dass die Kanadier wirklich erpicht auf das braune Zeug sind. In den wenigsten Restaurants stehen Pancakes mit Ahornsirup auf der Speisekarte. Meine kanadischen Kommilitonen scheinen es auch nicht regelmäßig in ihren Essensplan zu integrieren. Deshalb mein Fazit: Jein.

4. Lieblingssport: Eishockey?

Oh ja, ganz weit oben im Kurs steht Eishockey auf der Liste der Hobbies der Kanadier – egal ob Schauen oder Spielen. Oder doch nicht?

Stimmt nicht (ganz)!

Grundsätzlich ist es natürlich wahr, dass Kanada für Eishockey bekannt ist und sich vor allem im eigenen Land großer Beliebtheit erfreut. Ich war auch schon bei einem Spiel der „Halifax Mooseheads“, der stadteigenen Mannschaft, und habe gesehen, wie viele Zuschauer ekstatisch den Puck verfolgen. Deshalb kann ich auch sagen: Das macht nicht nur mir, sondern Tausenden Menschen Spaß.

Hier aber meine Gründe, warum das Vorurteil nicht ganz stimmt:

  1. Habt ihr gewusst, dass Lacrosse neben Eishockey die Nationalsportart Kanadas ist? Eishockey steht demnach zwar hoch im Kurs, teilt sich den Platz aber mit einer anderen Sportart.
  2. Es gibt zwar ein Eishockey-Team meiner Uni, aber seit einigen Jahren wird dessen Eishalle umgebaut. Durch den fehlenden Standort für Spiele ist auch die Fanbase für die Sportart hier momentan recht klein.

5. „Da sprechen doch alle Französisch!“

Viele denken, dass in Kanada grundsätzlich alle Menschen Französisch sprechen und man ein gewisses Sprachniveau mitbringen sollte, um hier für einen längeren Aufenthalt zu bleiben. Ist es wahr, dass du in Kanada Französischkenntnisse brauchst?

Stimmt nicht!

Übrigens!

Weil Nova Scotia auf dem Land des indigenen Volkes der Mi’kmaq liegt, ist die Beschilderung meist auch in Mikmaw übersetzt.

Offiziell ist Kanada zweisprachig, weshalb viele offizielle Zeichen und Schilder hier auch in französischer Sprache zu finden sind. In den meisten Provinzen ist Englisch aber vorherrschend. In Nova Scotia habe ich bisher sehr selten überhaupt jemanden Französisch sprechen hören. Am weitesten verbreitet und genutzt wird die Sprache in der Provinz Quebec – dort ist es sogar die einzige Amtssprache. Außerhalb davon kommst du aber sehr gut mit Englisch zurecht.

Von welchen Vorurteilen hast du sonst noch gehört? Welche Klischees soll ich mir noch einmal genauer anschauen? Schreib es mir gern 🙂

Sari 🍁

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