23. November 2020
Die zweite Corona-Welle ist in Europa angekommen. Die meisten europäischen Länder erleben erneut einen Lockdown. Wie sieht es derzeit in Südkorea aus? Herrscht hier eine scheinbare Normalität? Wie ist das „new normal“ hier?
Obwohl Südkorea zu Beginn der Pandemie als zweiter Hotspot neben Wuhan galt, konnte der initiale Ausbruch im Februar schnell unter Kontrolle gebracht werden. Weltweit wird Südkoreas „Corona Response“ gelobt und analysiert, um von dessen Erfolg lernen zu können. Diese positive Entwicklung bestärkte meine Entscheidung, mein Auslandssemester doch noch anzutreten. Als ich Anfang August nach Seoul flog, lag die Anzahl der insgesamt (seit Beginn der Pandemie) bestätigter Infektionen bei 14.598 (im Vergleich Deutschland: 215.891 Fälle). Für eine bessere Vergleichbarkeit der Zahlen sollte man wissen, dass die Einwohnerzahl Koreas 51,64 Millionen beträgt (Deutschland: 83,02 Millionen). Sorgen und Bedenken hatte ich daher kaum, als ich meine Reise antrat, denn soweit schien das Ganze in Südkorea gut zu funktionieren.
Corona-Eskalation zum Semesterstart
Voller Vorfreude auf ein potenzielles Offline-Semester musste ich während meiner Quarantäne leider beobachten, wie sich Mitte August nach einem Feiertag und einer Demonstration gegen die Regierung exponentiell steigenden Neuinfektionen entwickelten. Ähnlich wie im Februar stand auch dieser Ausbruch in Verbindung mit einer Kirche. Das Maximum an Fällen wurde am 27. August mit 441 erreicht. Diese Zahl mag vielleicht im Vergleich mit den über 20.000 Fällen, die es gerade in Deutschland täglich gibt, weniger signifikant erscheinen, war aber Ursache für großen Alarm und sofortige Maßnahmen der Regierung. Das Social Distancing Level wurde hochgefahren: Designierte high-risk Orte wie Clubs, Karaokebars, Buffetrestaurants mussten schließen und Veranstaltungen und Versammlungen wurden auf 50 Personen (Innenraum) und 100 Personen (draußen) begrenzt. Zu einem richtigen Lockdown kam es nicht, auch in der Zeit konnte man sich noch in kleineren Gruppen treffen, in Restaurants gehen; wenn auch mit mehr Vorsicht und Zurückhaltung. Ein paar Wochen später (Anfang Oktober) wurden diese Regelungen wieder komplett gelockert. Jedoch benachrichtigte uns die Uni, dass das Semester komplett online starten würde.
Don’t worry, wear a mask!
Der wohl größte Unterschied zu Deutschland und dem dortigen Corona-Alltag, den ich hier wahrnehme, ist die Adhärenz und Akzeptanz beim Thema Maske. Ich sehe kaum Leute draußen, die keine Maske tragen. Der einzige wirklich valide Grund zum Abnehmen ist das Essen und Trinken. Eine Maskenpflicht herrscht hier in öffentlichen Verkehrsmitteln und an öffentlichen Plätzen, allerdings tragen die meisten Leute eine Maske, sobald sie das Haus verlassen. In meinem Wohnheim ist es Pflicht, ab dem Verlassen des eigenen Zimmers eine Maske aufzuhaben. Der Verstoß gegen die Maskenpflicht kann in Strafzahlungen von bis zu 100.000 Won (~75 Euro) resultieren, eine neue Regelung, die seit dem 13. November gilt.
In Korea war auch schon vor Corona das Tragen einer Maske wegen Luftverschmutzung und der SARS-Epidemie weit verbreitet. Erhältlich sind Masken hier in beinahe jedem Geschäft in verschiedensten Ausführungen.
Quarantäne, QR-Code und Hygiene
Südkorea setzt bei der Coronabekämpfung nicht auf einen Lockdown. Stattdessen gibt es eine strenge Pflichtquarantäne (darüber könnt ihr hier mehr lesen). Außerdem wird überall viel Wert auf Hygiene gelegt, Desinfektionsmittel steht jederzeit bereit. Beim Eintritt wird zudem oft mit einer Kamera die Temperatur gemessen.
An den meisten Orten muss man vor dem Eintreten einen QR-Code scannen, der registriert, wer wann wo war. Alternativ kann man seine Kontaktdaten auch handschriftlich hinterlassen. So wird das Contact-Tracing nach bestätigten Infektionen ermöglicht und erleichtert. Dieses ist ein essenzieller Bestandteil der Corona-Strategie Koreas: bei Vorliegen eines positiven Testergebnisses dürfen sich die Contact-Tracer der Regierung beispielsweise Daten von Kreditkarten, Handys, und CCTV-Kameras anschauen , um potenziell infizierte Kontakte ausfindig zu machen. Regelmäßig bekommt man „Public Safety Alerts“ geschickt, das sind Nachrichten, die einen darüber informieren, wann es wo einen positiven Fall gab, zusammen mit einer Erinnerung an Hygienemaßnahmen und der Aufforderung zum Testen sollte man dort gewesen sein. Unumstritten ist diese digitale Ermittlung nicht: Ein Ausbruch in einem LGBTQ+ Club im Mai hat die Stigmatisierung dieser Gruppe und die Frage nach Privatsphäre in Corona-Zeiten nochmals in den Vordergrund gerückt.
Social distancing?
Wie viel social distancing wird hier praktiziert? Südkorea hat vor Kurzem ein fünfstufiges Social-Distancing-System eingeführt, das abhängig von den Infektionszahlen eingesetzt wird. Level 3 bedeutet, dass die meisten öffentlichen Einrichtungen schließen müssen und dass sich nicht mehr als zehn Personen treffen dürfen. Bei Level 2 werden Veranstaltung auf 100 Personen begrenzt und Restaurants müssen ab 9 Uhr schließen. Level 1 bedeutet weitgehende Normalität, wenn auch mit den oben genannten präventiven Maßnahmen.
Ich selber erlebe die Stimmung gegenwärtig noch eher locker, besonders jüngere Leute unternehmen viele Aktivitäten, auch im größeren Rahmen. An Halloween mussten daher in Itaewon und Hongdae (Stadtteile mit lebendigem Nachtleben) alle Clubs schließen, dennoch kam es dort zu riesigen Menschenansammlungen auf den Straßen. Allerdings verändert sich das mittlerweile wieder etwas: Seit Mitte November kommt es wieder zu einem Anstieg der Infektionszahlen, weshalb nun ab morgen (24. November) das Level 2 Social Distancing für zwei Wochen gilt. Sämtliche Veranstaltungen unseres Buddy-Programms wurden abgesagt, die Öffnungszeiten für Restaurants werden begrenzt, Cafés dürfen nur Take-out anbieten (diese Maßnahme wird mich vermutlich am meisten treffen, da ich sehr viel Zeit dort verbringe). Ähnliche Maßnahmen wurden beim Ausbruch im August eingeführt. Die Inzidenz (Infektionen je 100.000 Einwohner) in Südkorea liegt aktuell bei 59.80, in Deutschland bei 1114.40 (bezogen auf Infektionen seit Beginn der Pandemie).
Ich treffe mich bislang oft mit anderen Leuten, meistens in kleineren Gruppen, aber manchmal auch mit mehreren, auch mal in Restaurants und Cafés. Verboten ist es nicht und das Risiko halte ich hier persönlich momentan für eher gering (solange man sich an die Regeln bezüglich Maske, Hygiene, etc. hält). In Clubs gehe ich nicht, obwohl es bisher möglich war, aber es gibt auch einige, die das tun. Ich selbst fühle mich kaum eingeschränkt in meinem Alltag – jedoch gilt das auch nicht für alle; meine älteren Verwandten beispielsweise gehen kaum raus und fühlen sich deutlich eingeschränkter.
Wie präsent ist Corona hier im Alltag?
Neulich erzählte ich beiläufig beim Telefonieren meiner Schwester, die gerade in Schottland lebt, dass ich am Abend mit Freunden Essen gehe. Nichts wirklich Besonderes für mich hier, aber undenkbar und unmöglich gerade für sie. Es kommt mir beinahe so vor, als ob ich in einer kompletten Parallelwelt lebe, so unterschiedlich ist mein Leben hier im Vergleich zu dem meiner Freunde und Familie daheim. Zumindest gegenwärtig, wo die Lage in Europa täglich schlechter zu werden scheint.
Corona ist auch hier nicht aus dem Alltag verschwunden. Im Gegenteil, die Masken erinnern einen stets an die Beharrlichkeit und Präsenz des Virus. Die Straßen und die U-Bahn sind deutlich leerer als sonst, einige Geschäfte gibt es nicht mehr. Aber hier scheint Corona zu einem akzeptierten Begleiter des Alltags geworden zu sein, den man gut im Griff hat. Man weiß von seiner Existenz, man handelt vorsichtiger seinetwegen, es gibt Einschränkungen, aber er dominiert nicht das Leben und schränkt es so sehr ein, wie es im Westen der Fall ist. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass die Regierung hier einen deutlich schlüssigeren Corona-Kurs fährt als in Deutschland.
(M)ein persönlicher Glücksfall
Für mich gibt es aktuell auf der ganzen Welt kaum einen besseren Ort als Südkorea, um dort zu leben. Jeden Tag bin ich glücklich darüber, hier mein Auslandssemester machen zu können. Ich fühle mich hier sicher und mein Vertrauen in die „Corona Response“ der südkoreanischen Regierung ist groß. Obwohl die Zahlen aktuell wieder etwas steigen und die Social-Distancing-Maßnahmen hochgefahren werden, sehe ich das Ganze noch entspannt (wenn auch mit entsprechender Vorsicht) und bin recht zuversichtlich, dass sich die Lage bald wieder bessern wird. Beim Blick auf die Entwicklungen in Deutschland und Europa kann ich manchmal nur den Kopf schütteln – die derart weit verbreitete Masken-Inakzeptanz und Corona-Leugner stoßen bei mir auf Unverständnis.
Ich fühle mich hier frei – manche mögen vielleicht den „Preis“ dieser Freiheit kritisieren, die temporäre, mangelnde digitale Privatsphäre (die ich nicht als solche empfinde), den Freiheitsentzug während der strengen Quarantäne. Wenn das der Preis von Freiheit und einem fast normalen Leben während Corona-Zeiten ist, dann bin ich jederzeit gerne bereit, ihn zu zahlen. Die Entscheidung muss allerdings jeder für sich selber treffen.
Waldi
11. Dezember 2020
Hallo Jasmin,
mein Enkel Niklas studiert zur zeit in Soul, und berichtet etwa das kleiche.
Bin froh das dort die Einsicht besser als in Deutschland ist.
Mit lieben Grüßen
Walter Schneider
Jasmin
24. November 2020
Es ist echt beeindruckend zu sehen, wie die südkoreanische Bevölkerung mit dem Corona Virus umgeht.
Ich wünsche dir noch ganz viel Spaß, Cara!
LG
Jasmin