8. Januar 2018
Idyllisch und verträumt wirkt es, das altehrwürdige Krakau. Für mich ist es in kürzester Zeit zur neuen Heimat geworden. Was mich an der Stadt so begeistert? Folgt mir auf meiner Tour und erlebt es selbst.
Schon früh am Morgen füllen Marktfrauen auf dem sonnigen Krakauer Hauptmarkt, dem Rynek Glowny, Wassereimer mit Blumen. Den ganzen Tag über konkurrieren an jenem friedlichen Ort farbenfrohe Tulpen mit duftenden Rosen um die Aufmerksamkeit umherbummelnder Schlenderer. Kutscher mit prächtig geschmückten, pferdebespannten Kutschen laden zu romantischen Ausflügen ein. Rhythmisch klackernde Hufe auf gepflastertem Altstadtboden. Einige Touristen suchen die umliegenden Konditoreien auf, um – etwa im Café Noworolski, wo sich schon Lenin gerne aufhielt – mit einem köstlichen Stück Torte in den Tag zu starten.
Das Herz der Stadt – der Rynek Główny
Nun zurück ins Herz der Stadt. Am nordöstlichen Rande des 40.000 Quadratmeter umfassenden Hauptmarkts ragen die zwei Hälse der Marienkirche gen Himmel. Zumindest von der Außenarchitektur her wirkt der gotische Backsteinbau auf diesem mit herrschaftlichen Gebäuden umsäumten Platz eher unscheinbar. Wären da nicht seine unsymmetrischen Türme. Sie trifft den Passanten erfrischend unerwartet, diese harmonische Unvollkommenheit an jenem formvollendeten Ort. Schenkt man der Folklore Glauben, so wurden die zwei ungleichen Gebilde von konkurrierenden Brüdern erbaut. Im Wetteifer um den höheren Turm, erstach der Ältere den Jüngeren – sein Werk blieb unvollendet.
Die römisch-katholische Basilika wurde zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert errichtet. Eine Besichtigung kostet zwei Euro (8 Zloty). Wer aufs Fotografieren nicht verzichten möchte, zahlt etwa einen Euro und zwanzig Cent drauf. Es lohnt sich: Im Kircheninneren erwarten den Besucher prunkvolle Gewölbe, ein goldener Altar, wie es ihn in ganz Europa kein zweites Mal zu bestaunen gibt, sowie prachtvolle Buntglasfenster. Wer an der Außenfassade der Kirche nach einem Zifferblatt Ausschau hält, tut dies vergeblich. In Krakau bleibt die Zeit stehen, sie verschwindet im Schatten des magischen Augenblicks. Mitunter läuft sie gar rückwärts, katapultiert einen in die Vergangenheit.
So hallen zur jeder vollen Stunde mittelalterliche Töne über den Marktplatz. Minuten vorher besteigt ein Trompetenspieler den höheren der beiden Kirchtürme. Er eilt 239 schmale Stufen hinauf, die auch der Besucher für ein paar Münzen erklimmen kann, und spielt oben angelangt das „Hejnal“. Aus vier Fenstern ertönt sein Signal in alle Himmelsrichtungen – Ehe die Melodie einen jähen Abbruch erfährt. Nein, dem musikalischen Treppenbezwinger ist nicht etwa die Puste ausgegangen. Erneut liefert eine Legende Aufschluss: Anno 1241 wurde die Kehle eines Turmwächters – er wollte die Stadt vor dem Angriff der Tataren warnen – von einem Pfeil durchbohrt, sein Signal verstummte. Zur Erinnerung bricht das „Hejnal“ bis heute mitten im Spiel ab.
Krakau blieb während beider Weltkriege nahezu unversehrt, glänzt noch heute mit der ganzen architektonischen Vielfalt der vergangenen Jahrhunderte. Bereits im Mittelalter wurden die Tuchhallen errichtet. Sie liegen im Zentrum des Marktplatzes, unmittelbar neben dem unterirdischen archäologisch-historischen Museum, das übrigens jeden Dienstag kostenfreien Eintritt gewährt. 1555 fielen die im gotischen Stil erbauten Gänge einem Feuer zum Opfer. Später wurden sie im Renaissancestil wieder auf- und im 19. Jahrhundert gründlich umgebaut. Seit jeher wird in den schattigen Arkaden, gewissermaßen im ältesten Einkaufszentrum Krakaus, reger Handel betrieben. Bernstein, Lederwaren und Kunsthandwerk werden feilgeboten.
Ehemalige Residenz der polnischen Könige – die Wawel
Wer die Hauptstadt Kleinpolens besucht, sieht sich gezwungen, den Wawelhügel zu erklimmen, um zur gleichnamigen Burganlage zu gelangen. Auf dem südlichsten Ausläufer des Krakau-Tschenstochauer Jura, eines 161-155 Millionen Jahre alten Kalksteingebirges im südlichen Zentralpolen, thront tausendjährige Baugeschichte.
Die Festung wurde von Romanik, Gotik, Renaissance und Barock gleichermaßen beeinflusst. Verlässt er das Areal in Richtung Weichselufer, so kommt der Tourist an einer sagenumwobenen Höhle vorbei. Hier soll einst ein feuerspeiender Drache sein Unwesen getrieben haben, ehe er von Stammesfürst Krak niedergestreckt wurde. Jene Heldentat erst ermöglichte die Stadtgründung.
Gegen das Vergessen
Trotz aller zauberhaften Fantastereien, die Stadtchronik Krakaus weist auch düstere Kapitel auf, brutale Seiten, mörderische Zeiten. Eine Autostunde westlich der Stadt befindet sich das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz. Über eine Million Menschen wurden hier grausam ermordet. Mit Spielbergs Film „Schindlers Liste“ rückte 1993 auch das jüdische Viertel Kazimierz in den Fokus der Öffentlichkeit.
Das ehemalige jüdische Viertel – Kazimierz
Einst eine selbstständige Stadt, im 14 Jahrhundert vom gleichnamigen König gegründet, wurde sie um 1800 zum Stadtteil Krakaus. Wer eine jüdische Taverne – Tipp: das Restaurant „Dawno temu na“, in der Straße Szeroka 1 – aufsucht, um bei Klezmer Musik koschere Leckereien zu verspeisen, vergisst rasch, dass einstige Bewohner hier ums nackte Überleben kämpften.
Insgesamt wohnten nach 1940 etwa 64.000 Juden in Krakau, gemeinsam machten sie ein gutes Viertel der Stadtbevölkerung aus. Die Mehrheit wurde nach Beginn der deutschen Besetzung 1941 ghettoisiert, verfolgt, in das Konzentrationslager Plaszow und das Vernichtungslager Auschwitz deportiert oder bei Widerstand an Ort und Stelle umgebracht. Jahrelang galt der Stadtteil Kazimierz als Armutsquartier; er verfiel, verlotterte. Heute ist er als hippes Party- und Szeneviertel zu neuem Leben erwacht, schier aufgeblüht. Durch die engen, dunklen Gässchen weht ein Hauch von Bohème, ein etwas nostalgischer Charme. Nahe der traditionellen Kneipen befindet sich auch der Marktplatz Plac Nowy. Irritiert passiert der Deutsche die Stände, auf denen sich unzählige Nazi-Artefakte türmen. An Imbissständen bekommt der Hungrige Zapiekanka, eine Art polnische Pizza.
Auch haben sich im jüdischen Viertel zwei Food-Truck-Parks breitgemacht. Schnelles, aber leckeres Essen gibt es etwa am Judah Square. Frisch werden Speisen – das Angebot reicht von Sushi bis hin zu polnischen Traditionsgerichten – in klapprigen Fahrgestellen zubereitet. Gegessen wird auf bequemen Liegestühlen, in Hängematten oder an zusammengebauten Bierkästen inmitten einer bunten, jungen Menschenvielfalt. Statt mit städtetypischer exzentrisch- abenteuerlicher Atmosphäre aufzutrumpfen, besticht Krakau mit seinem idyllischen Charme. Nichtsdestotrotz zieht es immer mehr junge Menschen in das hübsche Städtchen an der Weichsel.
Ich kann jedem Erasmus-Studenten Krakau und die hier ansässige zweitälteste mitteleuropäische Universität wärmstens empfehlen.