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Kritik an das Praktische Jahr

Dein Medizinstudium beginnt als Ersti und endet als PJler:in. Nach zehn Semestern, einem Präparierkurs, unzähligen Klausuren, zwei Staatsexamen und vielen schlaflosen Nächten ist es so weit: Du darfst endlich Vollzeit als Praktikant:in arbeiten und dabei hoffen, auch etwas zu lernen.

Im folgenden Beitrag geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit dem PJ. Es handelt es sich dabei um kein journalistisch recherchiertes Format und auch nicht um den Verlauf des Praktischen Jahres in der Schweiz. Viel mehr geht es um die Regelungen und Umsetzung des Praktischen Jahres in Deutschland und um meine individuelle und persönliche Sichtweise darauf. Ich beziehe mich nicht explizit auf persönliche Vorkommnisse oder die Kliniken, in denen ich mein PJ absolviert habe. Um vorab zu erfahren, wobei es sich beim Praktischen Jahr genau handelt, lies meinen Beitrag, in dem ich das PJ kurz erkläre.

Willkommen im PJ

Über die Vor- und Nachteile des Praktischen Jahres lässt sich viel diskutieren. Dabei geht es in der Regel nicht um den Nutzen des PJ. Meiner Meinung nach ist es die perfekte Gelegenheit für dich, mit „Welpenschutz“ im Klinikalltag unter Supervision zu praktizieren und dabei praktische Erfahrungen zu sammeln. Zudem wirst du intensiv im „Handwerk“ Medizin ausgebildet und wälzt dich während eines Jahres nicht nur durch Bücher. Du triffst auf echte Patient:innen und es geht ins Ärzt:innenzimmer. Du lernst Menschen körperlich zu untersuchen, Arztbriefe zu schreiben und Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln. Außerdem lernst du das interdisziplinäre Arbeiten mit anderen Berufsgruppen wie Krankenpfleger:innen, Physio- und Ergotherapeut:innen kennen und hast die Chance, deine eigenen Routinen zu entwickeln.

Tobias in dunkelblauer OP Kleidung vor einem Spiegel. Seine Haare werden durch eine OP-Haube abgedeckt und eine OP-Maske verdecken seinen Mund und seine Nase.
Während meines Praktischen Jahres hatte ich die Möglichkeit mein bis dato angesammeltes Wissen endlich anzuwenden.

Ich habe erlebt, dass der Verlauf des Praktischen Jahres ausnahmslos vom Land, Bundesland, der Stadt, dem Krankenhaus, der Fachabteilung und dem Interesse der Mitarbeitenden abhängig ist. Dazu kommt der aktuelle Fachpersonalmangel und damit einhergehend die fehlenden Kapazitäten für eine ganzheitliche Ausbildung. Meiner Meinung nach ist es sehr wahrscheinlich, dass du als PJler:in morgens drei Stunden Blut abnimmst, anstatt mit den Ärzt:innen auf Morgenvisite zu gehen und etwas zu lernen. Es kann passieren, dass du Botengänge übernimmst, um zum Beispiel Proben ins Labor zu bringen, weil die Pflege keine Zeit hat. Ab und an kann es vorkommen, dass du von Ärzt:innen vergessen wirst, weil sie in Arbeit versinken und gedankenverloren versuchen, ihre Dienste zu überstehen. Ich habe den Eindruck, dass am Ende des Tages die Ausbildung eines Medizinstudierenden für viele Ober- und Assistenzärzt:innen vor allem eines ist: zusätzliche Arbeit, für die es weder Zeit noch zusätzliche Entlohnung gibt.

Geld regiert die Welt

Kommen wir zur sogenannten Aufwandsentschädigung. Obgleich du als PJler:in in der Regel Vollzeit arbeitest, morgens genauso wie die Assistent:innen zur Morgenübergabe gehst und abends mit ihnen Feierabend machst, erhältst du meiner Kenntnis nach nicht mehr als 300 – 500 €/Monat. Und auch das ist abhängig vom Land, Bundesland, der Stadt, dem Krankenhaus und der Fachabteilung. Es gibt also Praktikumsstellen, bei denen du gar kein Geld bekommst. Argumente, die mir dafür bereits entgegengebracht wurden sind: Es handelt sich beim Praktischen Jahr um ein Praktikum/eine Ausbildung, Praktikant:innen dürfen meistens auch etwas früher nach Hause gehen und machen keine Überstunden, PJler:innen sind eben noch keine Assistent:innen und haben nicht die gleiche Verantwortung und „früher erhielten PJler:innen gar nichts“.

Ein steril abgedeckter OP-Tisch mit OP Utensilien wie Scheren, Hammer, Haken.
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, „Sei froh! Früher haben PJler:innen gar kein Geld bekommen.“

Nun ist es so, dass du als PJler:in in der Regel zu 100 Prozent arbeitest. Da bleibt schlichtweg keine oder nur sehr wenig Zeit noch nebenbei zu arbeiten. Nun ist das Studium von Grund auf nicht darauf ausgerichtet, vor dem 25. Lebenjahr zu enden. Sprich: Vor oder inmitten des Praktischen Jahres darfst du dich vom gesetzlichen Kindergeld verabschieden und spätestens dann als gesetzlich Krankenversicherte:r deine eigenen Krankenkassenbeiträge bezahlen. Das sorgt ab 25 für eine zusätzliche finanzielle Belastung von rund 330 Euro/Monat. Wenn du nun finanziell unabhängig bist, keine Unterstützung durch Freunde und Familie bekommst oder möchtest und nicht im Lotto gewonnen hast, hast du meiner Erfahrung nach spätestens in deinem Praktischen Jahr ein Problem. Selbstverständlich kannst du auch von Montag bis Freitag in der Klinik arbeiten und am Wochenende oder an den Abenden deinem Nebenjob nachgehen. Alles ist möglich und machbar. Doch die Frage, die du dir als Medizinstudent:in im Jahre 2023 stellen darfst, ist: Zu welchem Preis?

Husten, Schnupfen, Heiserkeit

Während des gesamten Praktischen Jahres haben Medizinstudierende Anspruch auf 30 freie Tage. Und dabei handelt es sich nicht um Urlaub. Es sind explizit freie Tage, denn auch Krankheitstage zählen hier rein. Solltest du also krank werden, werden dir automatisch freie Tage abgezogen. Während eines Tertials darfst du maximal 20 Tage fehlen. Solltest du mehr fehlen, wird dein Tertial oder dein Praktisches Jahr vom jeweiligen Landesprüfungsamt nicht anerkannt. Zu Beginn der COVID-19-Pandemie gab es eine Sonderregelung für Studierende, die besagte, dass eine gesetzlich vorgeschriebene Quarantäne von 14 Tagen keine Auswirkungen auf die maximal 30 Freitage hat. Doch diese Sonderregel galt zu Beginn meines PJ (05/2022) nicht mehr und Fehlzeiten aufgrund von Quarantäne oder einer Coronaerkrankung werden wieder regulär auf die im PJ zustehenden Fehltage angerechnet. Kleiner Rückblick: Im Frühjahr/Sommer 2022 gab es noch immer Quarantäneregelungen mit Möglichkeiten der „Freitestung“. Und als PJler:in hattest du auf die eine oder andere Weise fast täglich mit COVID-19 zu tun und damit im Vergleich zur restlichen Gesellschaft ein erhöhtes Infektionsrisiko. Klingt logisch, oder? 

„Nur ein Jahr“

Dieser Beitrag ist bewusst kritisch geschrieben, da ich innerhalb des letzten Jahres den Eindruck bekommen habe, dass nur wenig über die Schattenseiten des Praktischen Jahres gesprochen wird. Das Medizinstudium und Praktische Jahr sind mehr als Spiegel- und Aufzugselfies in OP-Kleidung. Selbstverständlich ist das Praktische Jahr sehr wichtig und meiner Meinung nach auch essenziell für angehende Ärzt:innen. Ich selbst habe Unmengen gelernt und bin dankbar für meine Ausbildung und die Mühen der vielen Kolleg:innen, die mich auf meinem Weg bis heute begleitet haben. Gleichzeitig sollte meiner Meinung nach der Umstand, dass es sich beim PJ um ein Pflichtpraktikum handelt, nicht dafür sorgen, dass das Jahr insgesamt eher schlecht als recht läuft. Auf der einen Seite ist es nur ein Jahr und auf der anderen Seite ein ganzes Jahr. Ich habe den Eindruck, dass die Probleme systemischer Natur sind und ich möchte deutlich machen, dass ich nicht mit einem Finger auf einzelne Personen oder Personengruppen zeige. Ich denke, dass die Probleme ihre Ursprünge unter anderem im Fachpersonalmangel, im veralteten hierarchischen medizinischen System, in der fehlenden pädagogischen Ausbildung von lehrenden Ärzt:innen und in der fehlenden Aufmerksamkeit seitens der Universitäten und der Politik haben.

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