19. November 2018
Um Italien ranken sich viele Vorstellungen und Klischees: ein Land voll Pizza und Pasta, wo die Menschen den lieben langen Tag Kaffee trinken und das Leben in vollen Zügen genießen. Doch wie ist es wirklich, in Italien zu leben? Ein Tag im Leben einer Studentin in Trento.
8.00 Uhr – Kaffee
Ich wache auf und das erste Geräusch am Morgen ist ein leises „Klack Klack Klack“. Das Zeichen dafür, dass meine Mitbewohnerin den Gasherd angemacht hat und der Kaffee in der Mokka-Kanne in wenigen Minuten fertig sein wird. Während wir unser (deutsches) Frühstück (Müsli, Obst, Milch oder Joghurt) zubereiten, beäugt mein italienischer Mitbewohner unsere Essgewohnheiten wie immer argwöhnisch und kommentiert es beiläufig mit „ihr Deutschen und das Essen“. Er isst seinen Müsliriegel und trinkt seinen Tee, zu dritt sitzen wir am Tisch und besprechen unsere Pläne für den anstehenden Tag. Nach dem Frühstück setze ich mich über meine Texte und lese. Am Wochenende lädt mich mein Mitbewohner oft dazu ein, mit in die Bibliothek zu kommen, wo für gewöhnlich alle meine Kommiliton*innen sind und lernen. Dass ich es manchmal bevorzuge, in den eigenen vier Wänden zu lernen und lesen, wo ich gemütlich in Jogginghose und Wollsocken bleiben kann, können sie oft nicht verstehen. An einem Wochentag wie heute geht es aber nicht in die Bib, sondern zu meinem 11-Uhr-Seminar, das in Wirklichkeit (wie alle Seminare) erst zur akademischen Viertelstunde um 11.15 anfängt.
11.15 Uhr – Ein Smartphone-freies Seminar
Das Seminar, „Sociological approaches to culture“, handelt heute von Bourdieu. Dieses Seminar ist Computer- und Handy-frei, es gibt weder Power Points vom Professor noch irgendwen, der am Laptop mittippt. Zu Anfang war ich noch skeptisch, mittlerweile genieße ich meine zwei handy-freien Stunden aber sehr. Ich bin deutlich konzentrierter und höre auch tatsächlich zwei Stunden lang zu.
13.05 Uhr – endlich Essen
Noch 55 Minuten bis der nächste Kurs beginnt. Meine Kommilitonen und Kommilitoninnen, ausschließlich Italiener und Italienerinnen, überlegen, ob wir in die Mensa, einen Art Fleisch- und Käse-Laden oder zur Bäckerei gehen. Die Mensa fällt raus – selbst in Italien ist sie ein Ort des kulinarischen Grauens und überteuert obendrein. Während es in einigen Bäckereien auch kleine Pizzen oder belegte Brötchen gibt, entscheiden wir uns heute zu „Castelli Romani“ zu gehen. In Gedanken versuche ich ein deutsches Äquivalent zu dieser Einrichtung zu finden, scheitere aber. Der Laden ist sehr klein, nur eine winzige Theke, ein paar Mülleimer (hier herrscht Mülltrennung!) und eine kleine, ältere Frau schmücken den Innenraum. Es Imbiss zu nennen, würde die Kochkünste der Inhaber und die kulinarischen Genüsse, die man hier findet, herabwürdigen. Weich gekochtes Schweinefleisch im Brötchen (die Bamberger würden es wohl „Krustenbraten-Brödla“ nennen), Mortadella oder kleine Köstlichkeiten wie Arancini: ein Paradies für Fleischesser.
Die Hände triefend vor Fett, stehen wir vor dem Laden und unterhalten uns über den neuesten Uni-Klatsch, die besten Restaurants und über neue politische Videos im Netz. Teils Italienisch, teils Englisch redend gehen wir zurück zur 200 Meter entfernten Soziologie-Fakultät.
14.00 Uhr – Durchhalten
Nur noch sechs Stunden Uni, dann ist endlich Feierabend. Ein paar Referate und Diskussionen später beginnt mein letzter Kurs für heute.
16.00 Uhr – Ein tanzender Professor
Der Raum füllt sich und ein paar mehr Student*innen, hauptsächlich Erasmus-Studierende, gesellen sich zu uns. Während einige meiner Kurse ausschließlich für Master-Studierende sind, ist dieser Kurs auf Englisch auch für Bachelor-Studierende auf Erasmus geöffnet. Ein sehr sympathischer, immerzu gestikulierender Professor tritt ein und die nächsten vier Stunden beschäftigen wir uns mit Sprache und Gesellschaft, bilden Kleingruppen, arbeiten an Projekten und diskutieren im Anschluss im Plenum. Wenn er aufgrund der Fremdsprache den Eindruck hat, dass wir die beschriebenen Situationen noch nicht in ihrer Gänze verstanden haben, spielt dieser Professor Situationen oft pantomimisch nach – und steigt dazu schon mal auf einen Tisch, legt sich darauf, tänzelt herum oder umarmt Studierende (natürlich nur, nachdem er sie um Erlaubnis gebeten hat). Ein wunderbar lebhafter Kurs.
20.00 Uhr – Feierabend: Aperitivo
Geschafft. Feierabend. Jetzt ist Zeit für einen Aperitivo. Nach einem langen Uni-Tag geht man zum Tagesabschluss häufig noch auf ein bis zwei Getränke in eine Bar. Viele Läden haben deshalb unter der Woche zu dieser Zeit Happy Hour und so finden wir uns bei l‘angolo dello sfizio wieder, wo es sowohl diverse italienische Spezialitäten wie frittierten Mozzarella oder auch Aperol Spritz für nur einen Euro gibt. Neben meinen Kommiliton*innen treffe ich hier zufällig auch noch ein paar andere Bekannte. Der Preis zieht Studierende wohl magisch an. Ein paar schöne Gespräche später verabschieden wir uns und gemeinsam mit meiner Mitbewohnerin fahre ich mit dem Fahrrad nach Hause.
22.00 Uhr – Abendessen?
Zuhause angekommen treffen wir unsere Mitbewohner in der Küche. Einer von ihnen kocht gerade sein Abendessen, er kommt aus dem Süden Italiens und isst somit gewohnheitsmäßig ein paar Stunden nach uns. Ich setze Tee auf und verabschiede mich auf mein Zimmer.
24.00 Uhr – Buona notte
Ein paar Instagram-Bilder und Serien später mache ich das Licht aus. Zeit zu schlafen. Das „Klack Klack Klack“ des Kaffees ist nur noch acht Stunden entfernt.