13. April 2017
Meine Entscheidung ein Auslandssemster in Luleå zu verbringen war gut überlegt. Allerdings hier hin zu ziehen und über längere Zeit hier zu leben ist eine andere Entscheidung. Mich hat interessiert aus welchen Gründen man hier lebt, was die Einwohner Luleås an ihrer Heimat schätzen und was sie hier vielleicht vermissen.
Meine Motivation ins Ausland zu gehen ist das Sammeln von Erfahrungen, die sich von meinem Leben in Berlin unterscheiden. Die Kultur hier in Luleå ist nicht besonders exotisch, die geografische Lage aber allemal. Im Dezember scheint hier nur knapp 3 Stunden am Tag die Sonne – verausgesetzt es ist wolkenlos. Dafür geht sie im Juni für nur eine Stunde unter! Hinzu kommt die Abgeschiedenheit. Aus Deutschland sind wir das Privileg der zentralen Lage in Europa gewohnt, hier befindet man sich am Rand des Kontinents.
Mit drei Personen habe ich darüber gesprochen. Deren Geschichten möchte ich euch erzählen.
Katja Merkle Söderholm
Katja studierte gerade in Berlin, als sie ihren späteren Ehemann kennengelernte. Vor 25 Jahren brachte die Liebe sie also nach Luleå. Heute unterrichtet Sie mit großem Engagement Deutsch und Schwedisch an der LTU.
Katja hat mir verraten, was sie an Schweden schätzt: Insbesondere im Vergleich zu Deutschland genießt sie hier die geringen sozialen Unterschiede und die kaum verbreitete Besessenheit mit Titeln. „Wenn in Deutschland ein Bäcker und ein Professor im gleichen Haus wohnen, dann wundert man sich, hier ist das nichts sonderbares“. Damit einher gehen die geringen Hierarchiestrukturen und die allgemeine Gleichheit innerhalb der schwedischen Gesellschaft. Das hat auch zur Folge, dass jeder Student in Schweden, unabhängig vom Einkommen seiner Eltern, Bafög erhält. Was politisch verankert ist, schlägt sich auf die Grundhaltung der Menschen nieder. Allerdings räumt sie auch direkt ein, dass leider der Rechtsruck, wie er in anderen europäischen Länder derzeit zu beobachten ist, auch in Schweden nicht ausbleibt.
Luleå ist für Katja eine Stadt mit einer guten Infrastruktur. In ihrem Wohngebiet fühlt sie sich wohl, die Schule für die Kinder ist nicht weit und es gibt nahe gelegene Einkaufsmöglichkeiten. Darüberhinaus schätzt sie die Größe Luleås: Groß genug, dass ein Dorfgeschwätz ausbleibt, klein genug um zufällig in der Stadt Freunde oder Bekannte zu treffen.
Auf den momentanen jahreszeitlichen Abschnitt könnte Katja allerdings gut verzichten. Frosttage und Schmelztage wechseln sich ab. Es wird immer wärmer und die Schneemengen, die sich über den Winter angesammelt haben, beginnen zu schwinden. Teilweise ist es ziemlich matschig und der Schnee spuckt aus, was er im Winter verschluckt hat. Danach folgt Regen. Die gute Nachricht: Der Sommer ist wieder schön.
David Magnusson
David ist ein wenig südlich von Stockholm aufgewachsen und vor drei Jahren nach Luleå gezogen. Er studiert hier Architectural Engineering. Als er damals vor der Entscheidung stand wie es nach dem Abitur weitergehen soll, war sein erster Wunsch so weit von zu Hause weg wie möglich zu studieren. Ein Auslandsstudium scheiterte an dem größeren organisatorischen Aufwand (wir wissen aber, dass das nicht schwierig sein muss 😉 ) und er landete schließlich hier am nördlichen Ende der Ostsee. Die einzige Alternative in Schweden bei seinem Studieninteresse ist Göteborg an der Westküste. Aber da regnet es ihm zu viel.
Obwohl er anfangs selber seiner Wahl gegenüber skeptisch war, fühlt er sich sehr wohl hier. Luleå hat in seinen Augen alles was eine Stadt bietet, einfach nur in geringerer Vielfalt als beispielsweise Stockholm. Er vermisst nichts und genießt den Winter. Für ihn ist aber besonders entscheidend, dass er mit seiner Studienwahl total zufrieden ist.
Trotzdem ist Luleå nur eine Station für David „Die meisten Jobs gibt es einfach in und um Stockholm herum“. Außerdem leben da viele Freunde und seine Familie.
Woran sich David allerdings wohl nie gewöhnen wird, ist der teilweise große Unterschied der Tageslängen. Dadurch ist es sehr schwer ein Gefühl für die Tageszeit zu bekommen. Im Sommer freut er sich über die zusätzlichen 3 Stunden Sonne im Vergleich zu seiner Heimat.
Liselott Evasdotter
Liselott ist in Luleå aufgewachsen. Aus Neugier zog sie nach dem Abitur so weit weg von hier wie es in Schweden nur geht, nämlich nach Malmö an der Grenze zu Dänemark. Sie erinnert sich: „Als ich mit dem Zug kurz vor Malmö war, habe ich mich gefragt, was eine andere Reisegruppe für eine Sprache spricht. Ist das deutsch, oder dänisch? Aber dann wurde mir klar, dass es schwedisch war.“ Trotz des fremden Dialekts fühlte sie sich sehr wohl und schloss es aus nach ihrem Studium wieder zurück in den Norden zu ziehen.
Doch nachdem sie ihr zweites Studium in Uppsala abgeschlossen hatte, kam es anders. Liselott zog es zurück nach Luleå. Neben den richtigen Wintern und der Natur hat sie auch ihre Familie vermisst. Darüberhinaus ist sie der Meinung, dass es in den Genen verankert ist, zu seinen Wurzeln zurück zu kehren.
Wie für viele bedeutet für Liselott die Kombination aus Stadt und Natur Lebensqualität. Sie genießt es in der Mittagspause im Sommer Mountainbike zu fahren und im Winter Schlittschuhlaufen zu gehen. Die extremen jahreszeitlichen Gegensätze begeistern sie.
Liselott schätzt es sich als Frau in Schweden sehr frei bewegen und leben zu können. Sie reist gern und kennt daher auch viele andere europäische Länder. Ihre Erfahrung ist, dass das Grundrecht der Gleichbehandlung von Mann und Frau leider nicht überall gelebt wird. So hat sie beispielsweise in Frankreich Sexismus erlebt. Als Frau nicht diskriminiert zu werden ist eine skandinavische Errungenschaft für sie. Darüberhinaus schreibt Liselott ihrem Umfeld solidarische Attribute zu, auch wenn sie findet, dass die Schweden im Norden teilweise ein wenig rückständig sind.
Was sie auf jeden fall vermisst ist eine größere Vielfalt, was Lebenseinstellungen und kreatives Potenzial angeht.
In den nächsten Wochen werde ich euch auch noch über meine persönlichen Eindrücke vom Leben in Luleå berichten.