28. April 2020
Es kommt mir vor, als hätte sich mein Leben innerhalb weniger Tage um 180 Grad gewendet. Mein Leben in Lissabon und mein Leben hier könnten unterschiedlicher nicht sein. Wo vorher Bewegung und Neues war, sind jetzt Ruhe, Gleichklang und Kindheitsträume.
Heute vor genau 33 Tagen bin ich von Lissabon zurück nach Deutschland geflogen. Seit einem Monat wohne ich nun im alten Haus meines verstorbenen Opas. Für mich ist das Haus wie ein kleines Stück Heimat. Ich war hier oft als Kind und habe es schon damals geliebt. Es ist einer der Orte, die mir auf der ganzen Welt am liebsten sind. Die Ruhe, der weite Blick in die Natur, der Gesang der Vögel, die Blumenwiesen. Es liegt auf dem Land, mit großem Garten und Blick auf grüne Felder und den Wald in der Ferne. Seit ein paar Wochen blühen vielen Bäume und die Wiesen sind ein Meer aus gelbem Löwenzahn- und Butterblumen.
Die Tage hier fließen ineinander über. Ruhe ist in mich eingekehrt. Ich nehme die Natur stärker wahr, das Zwitschern der Vögel, Gewohnheiten der Tiere, Tageszeiten, Temperaturen. Das Abendlicht ist mein Liebstes, wenn es schräg in die Wiesen scheint und alles in ein weiches Licht taucht. Ich fange an, die ruhige Landschaft zu lieben, die knorrigen Bäume in der Ferne und die grünen Wiesen, die so still daliegen, wie in einem Gemälde. Morgens der erste Schritt auf die Terrasse, wenn die Luft noch frisch ist von der Nacht und die Vögel noch still. Die vielen Bienen in den blauen Blumen auf der Terrasse. Das Eichhörnchen, das sich ein Nest baut und dem ich immer Nüsse hinlege. Lange Spaziergänge über Blumenwiesen. Sport im Garten und danach Meditation. Auf der Terrasse Texte für die Uni lesen und schreiben. Gartenarbeit. Die Bäume, die jetzt anfangen zu blühen. Der weiße Adler, der in der Ferne seine Runden dreht. Abende vor dem kleinen Feuer in der Küche. Die Sterne beobachten aus der Luke auf dem Dachboden. Dann alles von vorn.
Die ersten Tage hier waren ganz surreal. Mein Gehirn war noch auf Lissabon eingestellt, aber Lissabon war nicht mehr da. Es war, als wäre ich zu plötzlich aus einem Traum gerissen worden und noch nicht ganz in der Realität angekommen – irgendwo dazwischen hängend. Innerhalb weniger Tage hat sich mein Leben um 180 Grad gewendet. Mein Leben in Lissabon und mein Leben hier könnten unterschiedlicher nicht sein. Wo vorher Bewegung und Neues war, ist jetzt Ruhe und Gleichklang. Es ist, als wäre ich in einem Flugzeug voller neuer Menschen gesessen, wäre an vielen Erlebnissen und Eindrücken vorbei gerauscht, hätte jeden Tag etwas Neues gesehen und wäre dann auf eine einsamen, wunderschönen, friedlichen Insel gecrasht, die ich mir nur mit ein paar Vögeln teile. Am Anfang war es nicht einfach, die Insel richtig schätzen zu können, weil ich noch dem Alten hinterher getrauert habe, den gerade erst geknüpften Freundschaften, den vielen Plänen, der langsam vertraut werdenden Stadt, dem Meer und allem, was noch vor mir lag. Doch diese Pläne verblassen allmählich und machen Raum für eine Dankbarkeit für die Zeit, die ich jetzt hier verbringen darf, an diesem Ort, der sich für mich so sehr nach Heimat anfühlt, wie sonst kein anderer und mit wenigen Menschen, die mir nahe sind. Zeit, in der ich viel für mich neu entdecke, das mir als Kind mal Spaß gemacht hat. Diese Zeit hätte ich sonst nie gehabt. Werde ich zurück nach Lissabon gehen? Vielleicht. Ich plane nicht mehr. Ich lasse alles einfach so kommen, wie es kommt. Loslassen und ins Leben vertrauen. Das habe ich in den letzten Wochen gelernt.