11. September 2020
Als ich nach Moskau ging, hätte ich nicht gedacht, dass ich diese Stadt so sehr mögen und so vermissen würde. Trotz des wegen der Corona-Pandemie kurzen Aufenthalts dort, ist Moskau definitiv eine Stadt, in der ich mir vorstellen könnte zu wohnen.
Nun bin ich schon zwei Monate in Deutschland, mein Semester ist ebenfalls seit zwei Monaten vorbei und meine Uni schloss bereits vor fünfeinhalb Monaten. Trotzdem weine ich innerlich meinem Auslandssemester immer noch ein bisschen hinterher. Ich hatte mich riesig gefreut, das Land, das ich gut kannte, aber vielleicht nur oberflächlich, besser kennenzulernen; eine mir bekannte Stadt neu zu entdecken, etwas zu reisen und einen neuen Blick auf das politische Geschehen vor Ort zu bekommen.
Eine sonnige Begrüßung im Februar
Gelandet bin ich am 3. Februar abends. Lena, eine Freundin meiner Mutter, holte mich ab Bahnhof ab und brachte mich zum Wohnheim an der Universität. So konnte ich bereits einen ersten Blick auf das lange, imposante und gut beleuchtete Gebäude werfen, das im nächsten Semester meine Uni werden sollte. Auf dem Weg erzähle mit Lena, seit November hätte es kaum Sonne gegeben, es wäre ewig grau und der Schnee wechselte sich mit Regen ab. Die Regierung hatte deswegen entschieden, die Weihnachtsbeleuchtung in der ganzen Stadt auch noch im Februar hängen zu lassen. Und diese war wundervoll, an jeder Ecke glitzerte es und an einem der Bahnhöfe wurde der Kreml in Miniatur. Überall waren Tiere und Figuren aus Lichterketten und erfreuten die Bewohner und Gäste der Stadt. In jeder Straße herrschte feierliche Stimmung. Ich traute mich gar nicht, an den Stromverbrauch zu denken. Am nächsten Morgen wachte ich auf und es war purer Sonnenschein, und so gestaltete es sich auch in den kommenden Wochen. Die Sonne wollte mir scheinbar die Stadt von ihrer schönsten Seite zeigen und hieß uns neue Studenten eine der aufregendsten Städte der Welt willkommen.
Riesige Vorfreude
Die Atmosphäre an der Uni war interessant, spannend und verwirrend zu gleich. Es gab nur ein Gebäude, aber dieses war riesig und verwinkelt. Die Flure hatten Namen: Wall-Street, Montmartre oder Unter den Linden und verrieten, wo die Uni ihre Studierende in der Zukunft sah. Es gab eine Garderobe, an der man seine Jacke lassen musste und viele Frauen auch ihre Schuhe wechselten. In Büros wurde man auf gar keinen Fall mit Jacke reingelassen, auch nicht, wenn man sie in der Hand hielt. Die meisten Männer hatten Anzüge an und begrüßten sich immer mit festem Händedruck. Die Frauen sahen aus, als kämen sie frisch vom Laufsteg, alles schien perfekt zu sitzen. Die meisten tragen hohe Schuhe und es gibt Misswahlen an der Uni.
In den Veranstaltungen herrscht Anwesenheitspflicht und zu Beginn standen wir zur Begrüßung der Dozenten auf. Gerade ältere Professoren erlaubten es nicht, den Raum während der Vorlesung zu verlassen. Es war komisch, interessant, skurril, absurd und spannend für jemanden, der in Deutschland eher eine lockere Atmosphäre aus der Uni kennt. Alle Stundierenden sprechen zwei Fremdsprachen fließend, ein Aufnahmekriterium an der MGIMO.
Ich war immer wieder überrascht, wenn mich jemand in perfektem Deutsch angesprochen hat, aber die Person noch nie lange in Deutschland war. Am Valentinstag und am 8. Mai (Weltfrauentag) schien die Uni mit Blumen überschüttet zu sein, fast jedes Mädchen hatte einen Strauß in der Hand. So streng und konservativ es scheint, war es dann aber doch nicht. In den Vorlesungen fanden Diskussionen statt und in eine der vielen Cafés und Mensen war kein Unterschied mehr zu einer deutschen Uni zu spüren.
Große Enttäuschung Ende März
Museen-, Theaterbesuche sowie abends weggehen wollte ich machen, wenn es etwas wärmer wird. Moskau hat ein enorm großes Angebot an kulturellen Veranstaltungen, von Ballett, klassischen oder modernen Konzerten über Ausstellungen zu Tanzstunden im Park. Mein Gedanke: Ich bin ja noch lange hier, ich hab noch Zeit, war falsch. Am letzten Tag ging ich durch die Gänge der Uni, atmete tief ein und hoffte, die Atmosphäre dadurch noch eine Weile mitnehmen zu können. Ich kaufte mir eine Kaffeetasse mit dem Logo als Erinnerung an die kurzen sechs Wochen, die ich der MGIMO verbringen durfte.
Die großen Museen waren eine der ersten Einrichtungen, die schlossen, danach Kosmetikstudios und Friseure. Immer, wenn ich nach Russland komme, tobe ich mich richtig aus, Haare schneiden, Maniküre, Gesichtsreinigung ist dort so viel günstiger und ich freue mich jedes Mal darauf. Aber Corona machte mir ein Schnitt durch die Rechnung. Keine Uni, kein Theater und sonst auch kein kulturelles oder soziales Leben war mehr möglich. Traurig über die weltweiten Ereignisse entschied ich mich, trotzdem in Russland zu bleiben und zu meinen Großeltern zu reisen. Immerhin gingen die Vorlesungen online weiter. Einige meiner Kommilitonen kamen auch im Anzug zu den Online-Vorlesungen, was mich zurück an die Uni erinnerte und mich zum Lächeln brachte.
Happy End im Moskauer Sommer
Am 7. Juli flog ich dann von Wolgograd nach Moskau zurück und bliebt dort bis zum 16. Juli. Mittlerweile war es warm geworden und sogar in Moskau hielt das Wetter. Während es in Wolgograd normal ist, mehrere Monate über 30 Grad zu haben, kann es in Moskau im Sommer auch mal 16 Grad kalt werden. Ich hatte Glück mit dem Wetter. Die ersten Museen öffneten wieder und auch paar Restaurant konnten unter strengen Corona-Auflagen ihre Terrassen öffnen.
Lifestyle in Moskau
So interessant, verwirrend und spannend wie die Uni ist auch Russlands Hauptstadt, es ist ein Ort der Gegensätze. In der Stadt stehen alte Plattenbauten neben neuen palastartigen Hochhäusern und supermodernen gläsernen Türmen. An den Metrostationen sitzen ältere Damen egal bei welchen Wetter und verkaufen Obst und Gemüse und im Winter gekochte Maiskolben oder gefüllte Teigtaschen, um ihre Rente aufzubessern. Sie sitzen da in Wollstiefeln und mit Wolltüchern, gleichzeitig sieht man junge Frauen in Pelzmänteln und mit Designertaschen in High Heels über die vereisten Bürgersteige eilen. Auf der Straße, die wie eine Autobahn durch die Stadt führt, fahren Maybachs neben alten Ladas. In der alten Fabrikhalle des roten Oktobers findet man moderne Kunst und ist der Lieblingsplatz für Hipster geworden. Nebenan im klassischen Kunstmuseum sieht man Damen, die sich nach Feierabend im Abendkleid Bilder anschauen. Obwohl in Moskau mehrere Millionen Menschen wohnen und man mit dem Auto fast überall im Stau steht, ist die Stadt perfekt sauber.
In meiner letzten Woche in Moskau sah ich in den Parks (über 100 in Moskau und zusätzlich viele grüne Höfe zwischen den Häusern) wieder Spaziergänger, Sportler auf Rollschuhen, die Kunststücke vorführten und Menschen, die mit viel Abstand wieder Yoga im Freien machten oder einzelne Pärchen, die unter freiem Himmel tanzten. Ich war in der letzten Woche dreimal abends auf dem roten Platz und es war immer wieder faszinierend. Obwohl Touristen in der Stadt fehlten, war überall etwas los, die Moskoviten selber lieben es, durch ihre Stadt zu schlendern und diese zu genießen. Und ich durfte selber noch mal Teil des Moskauer Lifestyle werden, zusammen mit den Einheimischen den Sommer genießen und ein Stück von meinem Herzen an die Stadt verlieren.
Liebesgrüße nach Moskau
Moskau ist definitiv eine moderne Weltmetropole, die niemals schläft, aber gleichzeitig sehr grün ist, in der immer Neues passiert, in der jeder seine Ecke findet und seinen Interessen nachgehen kann, in der die Menschen gestresst, aber gleichzeitig überwältigend gastfreundlich sind und die man sich einfach nur verlieben muss. Moskau, Tschüss für jetzt! Ich verspreche, nächstes Mal werde ich länger bleiben.