22. November 2019
Zwei Monate Kathmandu: In dieser Zeit habe ich die beiden größten hinduistischen Festivals miterlebt und auch sonst einiges über die nepalesische Kultur gelernt. Meine Lieblingsbräuche findet ihr hier:
Bhai Tika
„Bhai Tika“ oder „Kija Puja“ heißt der letzte Tag des Tihar-Festivals, an dem die besondere Beziehung zwischen Brüdern und Schwestern gefeiert wird. Das geschieht, wie ich finde, in einer ziemlich komplizierten Zeremonie, die ich nicht in all ihren Elementen verstanden habe. Den groben Ablauf kann man sich aber so vorstellen: Während die Brüder auf dem Boden sitzen, umkreisen ihre Schwestern sie mehrmals und verteilen Ӧl. Anschließend reiben sie die Flüssigkeit in die Haare ihrer Brüder und tragen ihnen auf der Stirn eine siebenfarbige Tika (Saptarangi Tika) auf. Wenn die Tika vollendet ist, beschenken die Schwestern ihre Brüder, häufig mit Früchten und Süßigkeiten, und hängen ihnen Blumenketten um den Hals. Im nächsten Schritt werden die Rollen getauscht: Jetzt bekommen die Schwestern die bunte Tikas und Geldgeschenke. Während der Zeremonie bitten Nepali Gott um ein langes und gesundes Leben für ihre Geschwister.
Ich wurde zur Bhai Tika von einer Nepali-Familie eingeladen und habe seitdem zwei Nepali-Brüder: Sie haben mich wie ihre eigenen Schwestern behandelt und mir ebenfalls eine Saptarangi Tika auf die Stirn gemalt. Insgesamt dauerte die Zeremonie fast zwei Stunden, da die typische Nepali-Familie sehr groß ist und es dementsprechend viele Geschwisterpaare gibt. Außerdem sehen Nepali nicht nur die weiteren Kinder ihrer Eltern als Geschwister an, sondern nennen auch ihre Cousins und Cousinen Bruder und Schwester.
Mir gefällt die Idee, die Bindung zwischen Brüdern und Schwestern zu feiern. Ich weiß noch zu gut, dass ich mich mit meinem eigenen Bruder früher häufig gestritten habe und ihm eher selten für seine Gesellschaft gedankt habe. Ein Tag wie Bhai Tika schafft dafür die perfekte Gelegenheit und erinnert alle Brüder und Schwestern daran, dass es doch gar nicht so schlecht ist, Geschwister an seiner Seite zu haben!
Neue Fahrzeuge segnen
Vor circa drei Wochen hat sich mein Mentor ein Motorrad gekauft. Etwa drei Tage nach dem Kauf hat er dann beim Frühstück ganz nebenbei erzählt, dass er später zu seiner Familie fahren würde. Gemeinsam wollten sie sein neues Motorrad segnen und Gott um Schutz während des Fahrens bitten. Im ersten Moment musste ich darüber lachen: Sicherheit auf den Straβen erhält man meines Wissens nach vor allem durch einen verantwortungsbewussten Fahrstil und nicht durch einen göttlichen Beschützer. Inzwischen denke ich etwas anders darüber. Egal, ob man an einen Gott und seinen Schutz glaubt oder nicht – so viel ehrliche Fürsorge von der ganzen Familie zu bekommen ist doch etwas schönes. Es würde uns wahrscheinlich allen gut tun, einander öfter ganz bewusst gute Wünsche mit auf den Weg zu geben.
Hunde verehren
Es macht mich immer wieder traurig, die vielen Straßenhunde in Kathmandu zu sehen, die hart um ihr Überleben kämpfen müssen. Um so begeisterter war ich vom „Kukur Tihar“, dem zweiten Tag des Tihar-Festivals. An diesem Tag feiern Nepali die Beziehung zwischen Menschen und Hunden und danken den Tieren für ihren Schutz und ihre Loyalität. Das rührt unter anderem von der Rolle der Hunde in der hinduistischen Mythologie: Zum Beispiel sollen Hunde das Tor zur hinduistischen Hölle (Naraka) bewachen, und der Gott des Todes, Yama, zwei Wachhunde besitzen.
An „Kukur Tihar“ schmücken Nepali Hunde mit Blumengirlanden und verwöhnen sie mit leckerem Essen. Auch die Hunde erhalten eine Tika an. Einen Tag lang geht es auch den Straβenhunden gut und sie müssen nicht mühselig nach Futter suchen. Schade, dass es „Kuhur Tihar“ nur einmal im Jahr gibt …
Karten spielen
Karten spielen ist streng genommen kein Brauch, gehört aber fest zur nepalesischen Kultur. Egal ob es ein Festival zu feiern gibt oder jemand Geburtstag hat – im Laufe des Tages werden die Karten ausgepackt. Beliebte Spiele sind Lügen, Rommee, oder das Nepali Spiel „Marriage“, das ich unbedingt noch lernen muss. Gerne wird auch um genau das Geld gespielt, das man gerade erst zum Geburtstag oder zum Festival bekommen hat.
Warum es immer die Karten sein müssen, weiß niemand so genau. Da ich aber generell ein großer Fan von Gesellschaftsspielen bin, sage ich zu einer Runde Karten meist nicht nein. Gemeinsam spielen ist ein guter Weg, Zeit miteinander zu verbringen, und mal von Handys, Laptops und anderen elektronischen Geräten wegzukommen.
Rangoli
Rangoli nennt man bunte Gemälde, die Nepali während des Tihar-Festivals auf dem Boden ihrer Hauseingänge malen. Sie bestehen aus verschiedenen Materialien wie Reis, Mehl, und Blumenstaub und erinnern mich ein bisschen an Mandalas. Traditionell stellen Nepali die Rangoli her, um die Göttin Laxmi in ihr Heim einzuladen.
Auch in meinem Haus malten wir zum Tihar-Festival Rangoli. Die meisten Nepali haben sich dabei extrem viel Mühe gegeben – jedes Detail musste sitzen. Es war sehr beruhigend, eine halbe Stunde lang einfach nur dazusitzen und zu malen – das habe ich seid meiner Kindheit nicht mehr gemacht. Auch für das Ergebnis lohnt es sich in jedem Fall, oder was meint ihr?