15. September 2020
Zwei, drei Wochen vor Semesterstart sitze ich schon im Flieger. Wie ist die WG? Wie sehr bekommt man die Pandemie zu spüren? Über Nasen, die aus Masken schauen, „beige“ und „Pilze“ auf Spanisch und ein 90er-Jahre-Ohrwurm.
Konrad Adenauer-Flughafen Köln-Bonn. Das Gepäck ist aufgegeben – ein bisschen mehr als dreißig Kilo; die Dame am Schalter war kulant. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, so wenige Passagiere habe ich hier noch nie gesehen – zugegebenermaßen fliege ich aber auch nicht sehr häufig. Mami und Papi noch einmal drücken und adiós!
Der Pilot hatte es eilig. Planmäßige Flugzeit: drei Stunden, tatsächliche Flugzeit: zweieinhalb. Hier bin ich also und habe noch immer diese Stimme im Kopf, die mir zuflüstert: „Wieso machst du das nochmal?“
Fünf Minuten auf spanischem Boden und ich merke sofort, dass Corona hier ernster genommen wird als in der alten Heimat. Zwei Frauen in weißen Overalls und Visieren weisen uns den Weg. Im Vorfeld habe ich einen Fragebogen ausfüllen müssen: Haben Sie Symptome? Was ist der Grund ihrer Reise? Wann waren Sie das letzte Mal in einer Tierhandlung?
Am Ende des Gangs steht noch jemand im weißen Overall, und über ihm hängen zwei Apparaturen – ich halte sie für Überwachungskameras, aber offenbar messen sie meine Temperatur. Der Mann im Overall nickt mir zu, wünscht mir einen schönen Aufenthalt. Das alles dauert keine zwei Minuten.
Es hat trotzdem etwas Beklemmendes. Meine Mitreisenden und ich halten Abstand, jeder hat eine Maske auf und diejenigen, bei denen dabei die Nase rausschaut – das muss ich leider so deutlich schreiben – die sprechen deutsch.
Antonio holt mich am Flughafen ab. Er ist ein Cousin meiner andalusischen Mutter. Ein Cousin von gefühlt 50 und wir haben uns seit sehr vielen Jahren nicht gesehen, würden einander nicht auf der Straße erkennen – auch nicht ohne Maske. „Welche Farbe hat dein Oberteil?“, schreibt er per WhatsApp. Ich muss googlen, was „beige“ auf Spanisch bedeutet (langweilig! Auch „beige“). Dann Ellbogengruß und nette Worte.
Er fährt mich in meine Wohnung im Stadtteil Macarena. Ein Mitbewohner ist schon da. Name: Jesús, Alter: ungefähr meins, Beruf: Student, gemeinsame Facebookfreunde: einen – meine Cousine, die mir seine Handynummer vor einigen Wochen gegeben hat, weil er noch auf der Suche nach einen Mitbewohner für seine Dreier-WG war.
Er hilft mir dabei die Koffer in den dritten Stock zu bringen. Wir haben sofort einen Draht zueinander und darüber bin ich heilfroh. Es dämmert mir langsam wieder, wieso ich ein Erasmus-Jahr machen wollte: um mit Spaniern in Spanien zu sein. Um ein spanisches Leben zu leben.
Eeeeeeeeh Macarena!
Jesús und ich gehen einen Happen essen und so kann er mir gleich noch das Viertel zeigen. Im Vorfeld hatte ich schon gesehen, dass Macarena im Norden Sevillas liegt – in der Nähe meiner Fakultät, aber sonst recht weit weg vom Schuss … so meine Vermutung, stimmt aber nicht ganz. Wir gehen zwanzig Minuten und sind im Stadtzentrum bei den ikonischen Setas.
Während unseres Stadtbummels tragen wir übrigens Maske. Zu jedem Zeitpunkt. Wie jeder – oder sagen wir „die aller aller meisten“ – Spanier. Die Strafe bei Nichteinhaltung liegt hier bei 100 Euro. Und dabei spielt es keine Rolle, dass um 1 Uhr die Straßen Macarenas fast menschenleer sind und die nächsten Nachtschwärmer gut 200 Meter vor uns über den Bürgersteig torkeln. Wir tragen Maske, bis wir im Außenbereich der Bar bei ein paar Zitronenbäumen sitzen. Rauchen ist hier seit der Pandemie nur dann erlaubt, wenn man einen Abstand von zwei Metern zu anderen Gästen einhalten kann. Wir desinfizieren uns die Hände und bestellen uns etwas zu essen … und dann noch etwas … und noch etwas ….
Es ist spät geworden; die Taschen habe ich am morgen ausgepackt. Aber zuerst sind wir am Vormittag einkaufen gegangen. Und ich habe noch etwas über meinen neuen Mitbewohner erfahren, der so schon einen guten Eindruck macht: Er kann fantastisch kochen!