23. Dezember 2016
In der Weihnachtszeit hat Heimweh Hochsaison. Besonders, wenn man sich in einem anderen Kulturkreis aufhält, während zu Hause alle Weihnachts-Markt-/-Feier-/-Backen-/-Besinnlichkeits-Bilder posten. In keiner anderen Jahreszeit kann ich so klar auf dem Kalender ablesen, wie „festlich“ ich mich um diese Zeit fühlen werde, in keiner anderen Jahreszeit gibt es so viele Bräuche, an denen ich teilnehme und die mir auch wichtig sind. Aber was tun, wenn 6.000 Kilometer östlich alles in nicht ganz so gewohnten Bahnen verläuft?
Importieren, was zu importieren geht
Nur weil in meinem Umwelt niemand weiß, dass die Adventszeit begonnen hat und am 24. Dezember übrigens Weihnachten sein wird, muss Weihnachten ja nicht ausfallen. Besonders der Deutschunterricht ist eine großartige Gelegenheit (Stichwort: Landeskunde) sehr vielen Leuten zu erklären, was alles zu Weihnachten dazugehört (und es auch sich selbst bewusst zu machen). Dafür bin ich dann schonmal bereit meinen Studis ein paar Süßigkeiten zu spendieren, im Unterricht die Methode „singen“ einzusetzen und zu riskieren, dass bei meinem Adventskalender alle Schokoladenstückchen von ihrem Platz geschüttelt werden, während ich ihn in die Uni trage (ist nicht passiert, puh ;).
Das Highlight dieser Bemühungen war auf jeden Fall die DAAD-Weihnachtsfeier, auf der es mir und meinen Kollegen gelungen ist, ein bisschen echte Besinnlichkeit nach Almaty zu bringen. Wir hatten selbst Weihnachtsplätzchen gebacken, den Deutschraum mit Weihnachtsbäumchen, Kerzen und Lichterketten dekoriert und uns, in Kasachstan gar nicht so leicht zu findende, Weihnachtsmützen aufgesetzt. Mein Highlight der Feier war auf jeden Fall das Wichteln, bei dem man gegen Lösen einer Deutschaufgabe (Gedichte sagen war zu schwer….) eins der von allen mitgebrachten Geschenke auswählen durfte. Nicht ganz ideal gewählt war mein Bastelprojekt: Aurelio-Sterne. Obwohl fast alle der 26 Teilnehmenden sich im Falten versuchten, bekam am Ende niemand den Stern fertig. Nächstes Jahr denk‘ ich mir was Einfacheres aus. Schade.
Ablenken und arbeiten
Nicht nur wegen des von mir leicht unterschätzten Aufwands eine Weihnachtsfeier zu planen (Raum buchen, Werbung machen, Einkaufen, backen, dekorieren, Lieder suchen, Infos zusammenstellen….) hatte ich im Dezember kaum Zeit für Heimweh. Sowohl privat (neues Hobby – jedes Wochenende Snowboarden, Besuch von Vanessa und ihrem Freund) als auch beruflich, war der Dezember der bisher vollste Monat in meiner Zeit als Sprachassistentin. In der ersten Dezemberwoche fand in Almaty die DAAD-Winterschule statt: Ein 7-tägiges Programm für das 20 Deutschlernende aus ganz Kasachstan nach Almaty kamen und zum Thema „Deutsche Bräuche in Kasachstan und Deutschland“ Workshops besuchten und Exkursionen u.a. zum deutschen Haus, dem Zentrum der deutschen Minderheit in Kasachstan unternahmen.
In der Woche danach war ich eingeladen im Unterricht einer befreundeten Deutschlehrerin nochmal über Weihnachten zu erzählen. Darüber hinaus endeten im Dezember einige Deadlines für DAAD-Stipendien, sodass ich das IC-Büro beim Sichten der vielen Bewerbungsbriefe unterstützen konnte. Ein besonders cooles Programm sind die Hochschulsommerkursstipendien (im DAAD-Sprech kurz HSK). Wer ein solches bekommt, darf nächsten Sommer für einen Monat nach Deutschland fliegen und an einer deutschen Uni einen Intensivkurs besuchen. Eine coole Möglichkeit, wie ich finde – viele meiner Studis waren noch nie außerhalb Kasachstans!
Alles spannende, abwechslungsreiche Aufgaben, die wenig Zeit ließen für Melancholie. Die setzte jetzt vor Kurzem ein, als wirklich ALLE Deutschen, die ich in Almaty kenne, nach Deutschland flogen. Warum hatte ich kein Flugticket gekauft?!
Elektronische Nähe
Gegen Heimweh geholfen hat auf jeden Fall auch die „elektronische Nähe“. Über Whatsapp konnte ich, dank meiner Mutter, blitzschnell die traditionellen Plätzchenrezepte und auch das ein oder andere Bild von meinem Patenkind auf dem Weihnachtsmarkt empfangen. Allen, die ich vermisste, schrieb ich kurzerhand eine Postkarte und den fünf Stunden Zeitverschiebung zum Trotz konnte ich auch mit vielen lieben Menschen zu Hause skypen. Meine Weihnachtspost wurde mir übrigens auch abfotografiert über Whatsapp zugestellt, weil sie natürlich wie jedes Jahr bei meinen Eltern ankam.
Wie nah das weihnachtliche Deutschland ist, wurde mir auch auf traurige Weise nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin klar. Am 20. Dezember fragten mich so gut wie alle Leute, denen ich begegnete nach der Lage in Deutschland und ob es meinen Verwandten gutgehe – u.a. meine Russischlehrerin, meine Mitbewohnerin, aber auch der Taxifahrer, der mich am Abend nach Hause fuhr. Eine Frau aus der Kirchgemeinde, die ich hier besuche, schrieb mir sogar eine liebe Nachricht, in der sie versprach für mehr Sicherheit und Frieden zu beten. So blieb ich, dank globaler Nachrichten, auch mit meiner Trauer über den Terror in meinem Land nicht allein.
Schöne Alternativen finden
Die wichtigste Zutat, um das erste Weihnachten ohne meine Familie zu überstehen, ist schöne andere Pläne für die Feiertage zu haben. In den vier Monaten, die ich jetzt hier in Kasachstan lebe, sind mir viele sehr nette Menschen begegnet und besonders zu den Europäer_innen hatte ich schnell eine gute Verbindung, weil wir so viele Eindrücke und Einschätzungen der Situation in Kasachstan teilten. Ich freue mich darauf, zusammen mit meiner Sprachassistenzkollegin Sandra und ihrem Mann, und anderen Freund_innen und Bekannten an Heiligabend in Astana zu sein und auf der Weihnachtsfeier bei der DAAD-Lektorin, die ebenfalls Sandra heißt, mehr zu hören und zu erleben, wie an anderen Orten in Europa und in anderen Familien in Deutschland Weihnachten gefeiert wird. Ich bin sicher, dass mein Weihnachtsfest 2016 unvergesslich wird und natürlich muss ich mein Heimweh nicht wegreden – aber ich werde es überleben und nächstes Jahr das immer gleiche Weihnachten zu Hause umso mehr genießen.