4. Juni 2023
Ihr habt euch schon immer gefragt, wie es wohl ist, mit sieben Menschen zusammenzuleben? Oder wie es ist, in einem anderen Land mit einer fremden Sprache zu wohnen? Werden Mitbewohner:innen zur neuen Familie für ca. 150 Tage? Wenn ich ehrlich bin, wollte ich anfangs gar nicht mehr in dieser WG wohnen, bis ich meinen Mitbewohner:innen eine Chance gegeben habe. Wie sagt man so schön: „Wenn man unten angekommen ist, kann es nur noch bergauf gehen“.
Eigentlich wollte ich anfangs schnell wieder ausziehen. Vor allem nachdem die Wohnung, in der ich für die nächsten vier Monate wohnen sollte, noch bevor ich eingezogen bin, ausgeraubt wurde. Auch hatte ich noch nie mit so vielen Jungs zusammengelebt. Von Rasier- und Pinkelspuren bis hin zu Bierdosen im Bad, Essensreste und Sandwiches im Badmülleimer – das Chaos zu Hause und dann noch der Einbruch haben mich wahnsinnig gemacht. Letztendlich habe ich mir geschworen, niemanden wegen der Unordnung zu verurteilen und den Leuten auch einfach mal eine Chance zu geben. Nachdem ich mich jedem einzelnen Mitbewohner vorgestellt habe und auch einige neue Gesichter eingezogen sind, ging es erst einmal ans Planen. Denn ohne Putzplan in so einer großen WG geht nichts. Schließlich haben wir den Müll vom Einbruch entsorgt und es ging zur Belohnung in ein Sushi Restaurant. Rückblickend kann ich sagen: Ab diesem Zeitpunkt, hat die beste Zeit meines Lebens begonnen.
Keine Sorge, die Erzieherin ist da!
Es tut gut, aus meiner Komfortzone rauszukommen und auch einfach mal zu sagen, was mich stört. Meine Mitbewohner:innen schätzen das sehr und wir respektieren uns alle gegenseitig. Ich werde teilweise als „Mom“, „Erzieherin“ oder „Oma“ bezeichnet, weil ich gerne meckere, schimpfe oder alles etwas organisierter haben möchte. Denn in einem Haushalt mit sieben Personen – hauptsächlich Jungs – muss ich ab und zu auch meine „Meckerliste“ rausholen. Natürlich sieht es hier trotzdem nicht immer perfekt oder sauber aus, aber ich habe mir angewöhnt, wegzusehen. Wenn dann halt das Bad mal chaotisch ist, mache ich einfach die Augen zu und tu so, als würde es mich nicht stören. Mittlerweile ist es auch wirklich schon so, dass es mir egal ist. Um ehrlich zu sein, bin ich auch nicht perfekt und lasse auch gerne mal was liegen. Es ist wichtig darüber zu reden und Pläne aufzustellen, sonst kann es auch gerne mal schief gehen.
Trotz all dem Chaos muss ich gestehen, dass ich meine WG liebe. Ihr habt richtig gehört, ich LIEBE diese Wohnung. Mit all ihren großen Altbau-Räumen und deren Mitbewohnern. Jeder einzelne hat so viel in den letzten Monaten dazu beigetragen, dass es mir gut geht und ich die beste Zeit hier habe. Ich hatte in meinem Leben noch nie so viele Insider-Witze drauf!
Ganz viel Musik
Unter anderem ist jeder meiner Mitbewohner:innen musikalisch begabt. Einige spielen E-Gitarre, der andere studiert den Studiengang „klassische Gitarre“ und gibt uns sehr oft Privatkonzerte. Andere singen gerne mal lauthals in der Dusche oder beim Kochen und einer ist sogar auf Musik-Streaming-Plattformen zu finden. Da ich selber auch gerne singe und extra mein Mikrofon mit auf meine Reise genommen habe, tut es gut mit anderen eine gemeinsame Leidenschaft zu teilen. Es ist so therapierend, wenn ich nach Hause komme und von dem Klang der klassischen Gitarre empfangen werde. Jeder von uns hat einen ganz verschiedenen Musikgeschmack und jeder empfiehlt jedem einen anderen Song, was ich persönlich ganz spannend finde. Es macht sehr viel Spaß, einfach im Wohnzimmer zu sitzen und gemeinsam verschiedene Lieder zu hören, während noch paar andere Schach spielen. Wir haben nämlich einen sehr großen Projektor, was das ganze nochmal anders gestaltet.
Was ich durch „meine Jungs“ gelernt habe
Ich habe zwischen all dem organisatorischen Stress, Arbeiten, Konzertreisen und Lernen in Deutschland ganz vergessen, wie es ist, im jetzt zu sein. Mit meinen Mitbewohner:innen hier in Norwegen kann ich komplett kindisch sein und ganz viel lachen. Mir wurde also nicht nur gelehrt, den Moment zu genießen, sondern auch, wie wundervoll es sein kann, wenn andere Menschen etwas Gutes für einen tun. Ich habe teilweise so viel Liebe von meinen Freunden bekommen, dass kenne ich aus meiner Heimat gar nicht. Normalerweise bin ich nämlich gerne die „Mom“ und schließe niemanden aus, gebe ganz viel Liebe und denke immer an andere. Es ist schön zu erkennen, dass sowas auch zurückkommen kann. Unter anderem liebe ich die Balance zwischen „kindisch sein“ und „fleißige Studentin“. Es kann nämlich nicht immer nur harte Arbeit existieren, ich muss dabei etwas Spaß haben. Das ganze rumalbern, die Filmabende und das gemeinsame Kochen, hat mir gezeigt, wie sehr ich solche Momente brauche und schätze. Ich fühle mich sehr positiv geladen und habe Lust, mein Leben in Augsburg durch die Augen meiner Mitbewohner:innen zu sehen. Es gibt also nichts, worüber ich mir den Kopf zerreißen muss, den Moment genießen, kindisch sein, als erstes IMMER an mich denken und auch die kleinen Dinge schätzen.
Das nehme ich mit: mein Fazit
Ich hätte mir gerne gewünscht, dass meine Zeit hier anders anfing. Allerdings glaube ich, dass das alles so kommen musste.
In meinen Augen ist jeder einzelne von meinen Mitbewohner:innen ganz besonders. Es ist total egal, dass manchmal Norwegisch gesprochen wurde, da ich selbst am Lernen der Sprache war und mich auch nie jemand ausgeschlossen hat.
Ich sehe diese Wohnung als das Zuhause meiner neuen Familie im Ausland und werde sie sehr vermissen. Es ist sehr komisch zu wissen, dass mein Leben weitergehen wird, aber ohne diese Menschen um mich herum. Bald geht es nach Hause, aber mit neuen Freunden und einer neuen Familie in Gedanken. Ich kann euch also nur empfehlen: Gibt den Menschen eine Chance und lasst euch auf Dinge ein. Am Ende werdet ihr vielleicht mit wundervollen Seelen belohnt. Manchmal müsst ihr mehr auf die Leute zugehen, damit sie sich öffnen und etwas Besonderes daraus entstehen kann.
Nun habe ich einen Grund, wieder zurückzureisen und diese Menschen zu besuchen. Wir haben bereits eine Reise zusammen geplant! Also, versucht euer Glück!