1. Oktober 2024
„Du machst doch nur Urlaub“ oder „Dir kann es doch gar nicht schlecht gehen“ – solche Sätze musste ich während meines ersten Auslandssemesters oft hören. Dabei ging es mir zeitweise überhaupt nicht gut. Auf meinem Blog möchte ich zeigen, dass psychische Gesundheit euch nicht davon abhalten sollte, ins Ausland zu gehen. Ich teile meine Erfahrungen und gebe Tipps, wie ihr euch schon vor der Ausreise besser vorbereiten könnt.
Schon seit Beginn meines Bachelorstudiums 2018, war mir klar: Ich will ins Ausland. Leider hat mir Corona damals erstmal einen Strich durch die Rechnung gemacht und ich musste hierbleiben. In dieser Zeit ging es mir psychisch so schlecht wie nie, denn ich durchlebte meine bis dahin schwerste und längste depressive Phase. Als ich im September 2021 dann endlich ins Ausland konnte, habe ich mich zwar gefreut, war aber wirklich nicht in einer guten Verfassung. Vor allem in den ersten Wochen ging es mir extrem schlecht und ich hatte sogar überlegt, mein Semester abzubrechen. Zum Glück hat sich bei mir das Blatt nach einigen schweren Monaten gewendet und ich hatte die beste Zeit meines Lebens.
Inzwischen sind drei Jahre vergangen, in denen ich gesünder werden konnte und auch lernen konnte, wie ich es dieses Mal besser machen kann. Jetzt freue ich mich sehr im Rahmen meines Doppelmasters ein Semester in Clermont-Ferrand zu verbringen. Ich sehe das ganze auch wie ein 2. Chance und möchte euch einige Ratschläge auf den Weg geben, die mir auch helfen.
1. Achte auf deine phsyische Gesundheit
Das klingt vielleicht erstmal etwas banal, aber ich kenne es ja von mir selbst. Arztbesuche sind meist eine große Überwindung, auch wenn wir alle wissen, sie sind nur zu unserem Besten. Kümmere dich also darum, dass du vor deinem Auslandsaufenthalt deine Routineuntersuchungen abhakst und gegebenenfalls kleine Probleme abchecken lässt. Der Arzt kann dir dann bei Bedarf noch etwas verschreiben, wie zum Beispiel in meinem Fall, für meine plötzlich aufgetretenen Hautirritationen. Im Ausland wirst du so oder so vor genügend Herausforderungen stehen und so vermeidest du, dass dir weitere gesundheitliche Probleme in die Queere kommen.
Therapiesuche in Deutschland
Falls du es noch nicht weißt: Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen eine Therapie zu 100 Prozent von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Ich finde, dafür sollten wir dankbar sein. Leider betragen die Wartezeiten oft mehrere Monate, also kümmere dich am besten frühzeitig um einen Therapieplatz. Eventuell kannst du die Therapie dann über Onlinesitzungen im Ausland fortsetzten. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es am Anfang ganz schön überfordern kann, wenn man nicht weiß, wie und wo man suchen muss. Beim Patientenservice oder bei der kassenärztlichen Vereinigung (nur Bayern) kannst du nach Therapiemöglichkeiten in deinem Umfeld suchen.
2. Augen auf bei der Länderwahl
Wenn du weißt, dass das Auslandssemester für dich eine große Herausforderung wird, dann empfehle ich dir erstmal die „Light Version“. Wer sagt denn, dass du gleich ans ganz andere Ende der Welt fliegen musst und in eine komplett andere Lebensrealität eintauchen musst? Mit Erasmus gibt es so viele Möglichkeiten, in einer Distanz von wenigen Flugstunden eine unvergessliche Zeit zu verbringen. Der große Vorteil ist einfach, dass du im Notfall viel schneller nachhause kommst oder jemand zu dir kommen kann. Außerdem befindest du dich immer noch in der EU, wo die Gesundheitssysteme sich ähneln. Zudem kann ich dir nur ans Herz legen, dir eine sonnige Destination auszusuchen oder zumindest nicht in den nördlichsten Teil von Norwegen zu gehen, wo du überhaupt kein Vitamin D mehr bekommst. Mir hat das gute Wetter damals sehr geholfen, denn so konnte ich mich trotz depressiver Phase eher noch motivieren, zumindest ein bisschen herauszugehen.
Apps zur Unterstützung der mentalen Gesundheit
Es gibt inzwischen mehrere wissenschaftlich fundierte Apps, die von den Krankenkassen bezahlt werden und verschiedene Arten von Online-Training anbieten. Ich hatte damals die App Selfapy, welche speziell auf Depressionen zugeschnitten ist, es gibt inzwischen aber auch für andere Erkrankungen solche Apps. Natürlich können sie keine Therapie ersetzen, aber eine gute Möglichkeit sein, um die Zeit überbrücken zu können oder eben, wenn man im Ausland ist.
3. Erstelle einen Notfallplan
Wenn du denkst, dass es für dich so schwer sein wird, dass du abbrechen willst, dann setze dir eine Deadline, die aber nicht vor der Hälfte deines Aufenthalts liegt. Am Anfang warten die meisten Herausforderungen auf dich und es dauert einfach, bis du an einem neuen Ort ankommst. Gib dir deswegen genug Zeit, um dem Ganzen eine Chance zu geben. Wenn du am Ende wirklich abbrechen willst, dann hast du nicht voreilig gehandelt und dir eine faire Chance gegeben. Ich wollte damals in den ersten Wochen nichts mehr als nachhause, aber nach circa 8 Wochen ging es endlich bergauf und plötzlich wollte ich am liebsten gar nicht mehr nachhause. Hätte ich damals sofort aufgegeben, hätte ich so viele schöne Momente verpasst. Also: Nicht aufgeben, ohne überhaupt gekämpft zu haben!
4. Routinen übernehmen
Routinen sind auch daheim ein wichtiger Baustein, die mir dabei helfen, meinen Alltag trotz Depressionen zu bewältigen. Versuch also, so viele deiner Routinen mitzunehmen oder vor der Ausreise welche aufzubauen und diese weiterzuführen. Mir hat das immer sehr geholfen, damit noch ein paar Ähnlichkeiten zu meinem Leben von daheim bestehen. Dazu zählt zum Beispiel Sport machen und sich bewegen. Ich suche zum Beispiel immer, bevor ich mich länger an einem Ort aufhalten werde, nach Fitnessstudios und habe dann schon etwas, auf das ich mich freuen kann. Das muss natürlich nicht das Fitnessstudio sein, sondern einfach ein Hobby, das du gerne weiterführen möchtest. Vielleicht traust du dich ja sogar etwas ganz Neues auszuprobieren? Das kann auch eine gute Möglichkeit sein, vor Ort Leute außerhalb des Erasmusumfelds kennenzulernen.
5. Schüre Vorfreude
Am besten informierst du dich vor deiner Ausreise schonmal ein bisschen über Aktivitäten und mögliche Ausflüge, die du vor Ort unternehmen kannst. So schürst du Vorfreude und kannst dich darauf konzentrieren, was für schöne Erfahrungen du machen wirst. Außerdem empfehle ich dir, eine Liste zu erstellen, mit allen Gründen warum du ins Ausland gehst. Je nachdem wie künstlerisch begabt du bist, könntest du dir auch eine Art Vision Board erstellen. (Fällt für mich also raus :D). Wenn du also einen schlechten Tag hast, kannst du dir alle diese Aspekte vor Augen führen und so deinen inneren Zweifler zum Schweigen bringen. Wenn es möglich ist, plane bereits im Vorhinein einen Besuch, von jemandem, der dir sehr wichtig ist. Ich würde dir empfehlen, diesen Besuch circa auf die Hälfte deines Aufenthalts zu legen, denn am Anfang solltest du dich darauf konzentrieren, neue Leute kennenzulernen. Mich hat damals meine beste Freundin besucht und in den ersten schweren Wochen, hat mich die Aussicht, mit ihr die Gegend zu entdecken, dazu motiviert, nicht aufzugeben.
Ich hoffe, dass euch diese Ratschläge helfen werden. Wenn ihr Fragen habt oder ein offenes Ohr braucht, dann meldet euch gerne bei mir. Und nicht vergessen: Du schaffst das!
P.S.: Natürlich hängt es auch von deiner individuellen Krankheitsgeschichte ab, ob du ins Ausland gehen kannst. Je nachdem kann es auch das Richtige sein, erstmal gesünder zu werden und dann zu einem späteren Zeitpunkt ins Ausland zu gehen. Deine Gesundheit sollte immer an erster Stelle stehen.
Alles Gute und bis bald
Valeska