12. Juli 2017
Lebensqualität ist nicht unbedingt das erste Wort, das einem zur Beschreibung von Mexiko-Stadt einfällt. Was also macht die Anziehungskraft der Stadt aus? Warum bin ich so gerne hier, obwohl ich auch so oft über die Zustände in der Stadt schimpfe? Eine Spurensuche nach der Magie der Mega-Metropole.
Im Jahr 1325 begannen die Azteken dem Texcoco-See Wasser abzugraben und errichteten darauf die zukünftige Hauptstadt ihres Reichs: Tenochtitlán. 1521 eroberte Hernán Cortés die Stadt, machte sie dem Erdboden gleich und errichtete die heutige Stadt „Mexiko“. Über die Jahrhunderte wurde der See immer weiter trocken gelegt, um die Metropole zu erweitern. Ein Fundament auf einer Seen- und Sumpflandschaft klingt nicht nur komisch, sondern stellte sich als fatal heraus. 1985 kamen bei einem Erdbeben in Mexiko-Stadt so 10.000 Menschen ums Leben.
Wasserknappheit und Überschwemmungen
War es am Ende des 19. Jahrhunderts mit 500.000 Einwohnern noch recht beschaulich, setze ab 1950 eine massive Landflucht hin zur Hauptstadt ein. Von drei Millionen wuchs die Stadt so bis 1990 auf 15 Millionen an. Heute zählt Mexiko-Stadt gut 21 Millionen Einwohner und breitet sich auf etwa 55 Kilometern in Nord-Süd-Richtung aus. Wegen fehlender staatlicher Regulierung, bauten die Zugezogenen in Eigenregie und ließen das Stadtgebiet immer weiter unkontrolliert nach außen wuchern.
Die Wasserversorgung stellt eines der größten Probleme dar. Die Kanalsysteme aus den Bergen reichen nicht aus. Entnahme von Grundwasser führte dazu, dass der Zócalo, der Hauptplatz, schon erheblich abgesunken ist. Absurderweise hat Mexiko-Stadt in der Regenzeit mit massiven Überschwemmungen zu kämpfen. Nach starken Güssen ist die erste Frage in der Whatsapp-Gruppe meines Studiengangs also meistens, ob die Uni noch problemlos zu erreichen ist (was wohl weniger aus Sorge um die Uni geschieht).
Natürlich ist auch die Luftverschmutzung ein großes Problem. In weltweiten Rankings belegt Mexiko-Stadt problemlos einen der ersten Plätze. An besonders schlimmen Tagen gibt es Fahrverbote für Autos mit bestimmten Baujahren.
Warum bin ich freiwillig hier?
Das alles klingt zugegeben nicht unbedingt lebenswert. Andererseits, wer aus Essen kommt, dem gefällt es überall. Anders als in gewissen anderen Hauptstädten, bildet sich hier niemand was drauf ein, aus der Hauptstadt zu sein. Ehrlich gesagt bin ich der einzige, der permanent allen versichert, er sei kein Touri, sondern Chilango (also einer aus Mexiko-Stadt). Um das zu prüfen, erarbeiten meine Kommilitonen momentan ein Examen.
Zudem hat die Stadt so viel zu bieten, dass ich kaum Zeit habe den Rest des Landes zu bereisen. Ausstellungen, Konzerte, kulinarische Sensationen an jeder Ecke und der alltägliche Trubel im Zentrum der Stadt lasten Interessierte voll aus.
Kulturelles Angebot im Überfluss
Die mexikanische Kultur ist reich an Einflüssen europäischer und indigener Herkunft und hat fantastische Malerei und Literatur hervorgebracht. In Mexiko-Stadt konzentriert sich davon natürlich besonders viel. Hier lebten Frida Kahlo und Diego Rivera, die zwei Schwergewichte (im Falle Riveras gar nicht mal sinnbindlich) der mexikanischen Malerei.
Die Stadt ist natürlich auch Heimat für zahlreiche fantastische Schriftsteller, wie z.B. Carlos Fuentes, ein großartiger mexikanischer Autor, der auch hier starb. Hier finden jederzeit unzählige interessante Ausstellungen statt (die aktuelle Warhol Ausstellung hat es mir besonders angetan), Konzerte zwischen Klassik, Pop und Heavy Metal können täglich besucht werden. Wem hier langweilig wird, dem ist nicht mehr zu helfen!
Das Zentrum der Stadt bietet unzählige, sehr gut erhaltene Kolonialgebäude. Mit ein bisschen Fantasie kann man sich vorstellen, wie es hier zu Zeiten der spanischen Okkupation oder in der mexikanischen Revolution zugegangen ist.
Unerklärlich einzigartig
Am Ende ist es wahrscheinlich nicht wirklich rational zu erklären, warum ich Mexiko-Stadt so toll finde. Für immer könnte ich hier wahrscheinlich nicht leben, ich hätte ernsthafte gesundheitliche Bedenken. Die Sicherheitssituation ist tatsächlich gar kein so großes Thema, ich bewege mich in vernünftigem Rahmen relativ frei und hatte bisher keinerlei Probleme.
Das reiche geschichtliche und kulturelle Erbe der Stadt lassen die Faszination nicht abebben, ich könnte mich wahrscheinlich auch ohne Studium sehr gut drei Monate hier beschäftigen. Letztlich ist es wie an jedem Ort der Welt, mit den richtigen Menschen hat man eine wunderbare Zeit. Und so sind es wohl vor allem die Mexikaner, die mir stets halfen und mittlerweile echte Freunde geworden sind, die meine Zeit in Mexiko-Stadt so einzigartig machen.