25. Januar 2017
Schuhe an, Rucksack auf und abmarschiert. Eine Woche Nordirland, das nenne ich einen feinen Ausklang der Semesterferien. Doch dass diese eine Woche so intensiv werden würde, hätte ich vorher nicht gedacht. Wer und was mir auf meinen Wegen so begegnet ist? Kommt mit auf eine Reise durch das Land, dessen Hauptstadt durch eine lange Mauer geteilt ist und in dem sich Riesen Gute Nacht sagen.
Ach ja, war das eine schöne Zeit. Mit einem Interrail-Ticket in der Tasche und einer vagen Reiseroute im Kopf steige ich in Dublin in den Zug. Zum ersten Mal reise ich alleine und muss sagen: Ich bin begeistert. Wie flexibel man ist! Silva, denke ich mir, wenn du schon einmal so weit im Norden bist, dann auch richtig. Also lasse ich mich in den sechs Tagen, die ich Zeit habe, (grob gesehen) entlang der Nordküste treiben und finde mich an interessanten Orten wieder – der eine schöner als der andere. Hier nun meine persönlichen Highlights.
Interrail, ist das nicht die totale Katastrophe in Irland? Klare Antwort: Nein. Zugegeben, die Irische und Nordirische Bahn ist nicht so gut angebunden wie unsere Deutsche Bahn, dafür aber pünktlicher. Sie fährt zu den wichtigsten Orten und ist deswegen perfekt, um sich einen ersten Eindruck vom Land zu machen. Die Strecke von Belfast über Coleraine nach Derry/Londonderry gilt übrigens als eine der schönsten Zugstrecken Europas.
Derry/Londonderry oder auch: Der Beginn
Ich mag das Weltenbummlergen in mir tragen, doch selten komme ich an Orte, in denen Geschichte so intensiv gegenwärtig ist. Der Nordirland-Konflikt ist präsenter als ich vermutet hatte. Bei einem Rundgang im urigen und größtenteils katholischen Derry/Londonderry, das übrigens als einzige irische Stadt noch von einer Mauer umgeben ist, bekomme ich ein authentisches Bild vergangener Konfrontationen zwischen nationalistischen, katholischen Iren, die ein vereintes Irland fordern, und protestantischen Unionisten, die der englischen Krone treu sind. Sie wollen, dass Nordirland weiterhin Teil des Vereinigten Königreiches bleibt. Aber schaut selbst.
Ihr fragt euch, wieso die Stadt den langen Namen Derry/Londonderry trägt? Ganz einfach. Der ursprüngliche irische Name ist Derry. Doch als die Engländer kamen, haben sie es zu Londonderry umbenannt, um eine Verbindung zu ihrer Krone herzustellen. Um weitere Konflikte zu vermeiden, wurde die Kombination beider Versionen als offizieller und politisch korrekter Name eingeführt. Das heißt, je nachdem ob jemand die Stadt Derry oder Londonderry nennt, kann man grob vermuten, von welchem politischen und religiösen Hintergrund er kommt.
Im Sinne des Nordens: Der Giant’s Causeway
Oh, wie schön ist doch der Norden. Entlang der Küste gibt es viele kleine Orte zu entdecken, zu denen man nur leider nicht mit dem Zug kommt. Also mache ich kurzen Prozess und entscheide mich für die kostengünstigste Version: Trampen.
Trampen, ist das nicht gefährlich alleine? Und dann auch noch als Mädchen? Klare Antwort: Nein. Ganz im Gegenteil. Als weibliches Wesen kommt man viel schneller von Ort zu Ort, mein Rekord liegt bei unter einer Minute (höhö). Natürlich gibt es auf der ganzen Welt Idioten, aber die Iren sind ein wirklich nettes Völkchen. Wenn man also auf sein Bauchgefühl hört, kann dabei nichts schiefgehen.
Und es lohnt sich. Der Giant’s Causeway ist die einzige UNESCO-Welterbestätte Nordirlands und besteht aus tausenden naturgeformten Basaltsäulen, die etwa 60 Millionen Jahre alt sind. Legenden sagen, dass der Damm vom irischen Riesen Fionn mac Cumhaill, ein Sagenheld der keltischen Mythologie, gebaut wurde, der sich im Streit mit dem schottischen Riesen auf der anderen Seite des Meeres befand.
Nachdem ich mich also selbst von der Wahrheit dieser Geschichte überzeugt habe, düse ich weiter gen Osten zur Carrick-a-Rede Rope Bridge. Eine Hängebrücke, die 30 Meter über dem Meer baumelt und sich großer Beliebtheit erfreut. Nicht einmal für die Dreharbeiten von Game of Thrones wollte die Regierung die Brücke abnehmen, sodass sie im Nachhinein aufwendig aus den Bildern geschnitten werden musste.
Sie spielten das Lied von Eis und Feuer
Habe ich da gerade Game of Thrones gehört? Korrekt! Rund 75% der Serie wurden in der nordirischen Landschaft oder den Titanic Studios in Belfast gedreht. Perfekt also für eine GoT-Tour zu den einprägsamsten Drehorten, an die man alleine ohne Auto nur schwer kommt. Winter is coming, liebe Freunde.
Letzter Stopp: Belfast
Die Stadt, in der die Titanic gebaut wurde und die Jonathan Swift zu seinem Meisterwerk „Gullivers Reisen“ inspiriert hat. Riesen laufen einem tatsächlich häufig über den Weg in Nordirland – im übertragenen Sinne, selbstverständlich.
Nun aber ans Eingemachte: Wie groß ist das aktuelle Konfliktpotential in der Hauptstadt?
Um von der Lage einen authentischen Eindruck zu bekommen, mache ich eine Black Taxi Tour, eine Rundfahrt zu den historischen Orten der Auseinandersetzungen. Bobby, unser Taxifahrer, ist Katholik und erzählt uns mit viel Anteilnahme (und nicht sehr objektiv) von früheren Zeiten.
Wir stoppen an der Peace Wall, eine von vielen Friedensmauern, die bei dem Start der Unruhen Ende der 60er-Jahre gebaut wurden, um das katholische und protestantische Viertel voneinander zu trennen. Was damals noch als eine temporäre Konstruktion vorgesehen war, ist schnell zu einem bis heute unentbehrlichen Garanten für Frieden geworden. Es ist nur drei Jahre her, dass die letzte Glasflasche mit bösen Absichten über die Mauer geflogen ist. Die Durchgänge werden über Nacht geschlossen, denn, wie Bobby das so schön formuliert hat, es reicht ein Arschloch aus, das nachts angetrunken aus dem Pub kommt und an der falschen Stelle die falschen Sachen sagt, um die ganze Situation aus den Angeln zu heben. Ich muss sagen, dass mich das sehr überrascht hat. Wie schnell kategorisiert man geschichtliche Fakten doch als weit vergangen ein, ohne sich wirklich bewusst zu machen, dass die Geschichte von den Menschen in Nordirland auch in diesem Moment noch gelebt wird.
Der Nordirlandkonflikt bewegt die Menschen hier mehr als wir denken. In bestimmt der Hälfte meiner Autofahrten wurde das Thema von selbst angesprochen. Sowohl Protestanten als auch Katholiken scheint es wichtig, die Fehler der anderen immer wieder aufzuzählen. Dabei sind wir doch alle Christen! Da ist es schwer, den Überblick über Stereotypen und Vorurteile zu behalten. Ein vereintes Irland wünschen sich viele, doch man ist auch realistisch. Allein schon aus wirtschaftlichen Gründen ist eine Abspaltung vom florierenden Vereinigten Königreich nicht oder nur sehr schwer möglich, so gesehen könnte sich die Republik die Anbindung an Nordirland gar nicht leisten.
Intensiv scheint ein passendes Adjektiv zu sein, um meine Reise zu beschreiben. Doch es gibt noch weitere. Interessant, lehrreich, schön, gelassen, spontan, bereichernd. Das war nicht das letzte Mal.
Lisanne
13. März 2017
Danke für deine zahlreichen Blogeinträge!
Ich hab die Möglichkeit im Herbst nch Limerick zu gehen.. gibt es eine Möglichkeit dir eine Mail zu senden und dich mit Fragen zu bombardieren? :DD