studieren weltweit

Und wenn im Paradies doch nicht alles rosig ist?


Montagmittag, 13 Uhr: Ich sitze mit 50 anderen Studenten im Hörsaal und lausche dem Vortrag des Dozenten. Thema das Kurses: Klimawandel. Während an die Wand projizierte Graphen zeigen, wie sich Temperatur und Klima auf der Erde in den letzten hunderttausend Jahren verändert haben, frage ich mich, ob ich am richtigen Ort bin – ob es die richtige Entscheidung war, im Ausland zu studieren.

Inzwischen bin ich seit drei Wochen auf La Réunion. In dieser Zeit ist mir die Insel mitsamt ihren Bewohnern sehr ans Herz gewachsen und langsam pendelt sich sogar eine Art Alltag ein. Nur in einem Aspekt geht es immer noch chaotisch zu: bei meinem Stundenplan. Wie viele und welche Kurse man im Ausland zu belegen hat, bestimmt die Hochschule in der Heimat, hier studieren wir quasi à la carte und setzen uns einfach in die Kurse, die uns interessieren.  Die Voraussetzungen der TH Köln, um das Auslandssemester anerkannt zu bekommen: zwei Prüfungen bestehen und jede Woche im Semester an mindestens 10 Stunden Unterricht teilnehmen. Klingt einfach, oder?

Das Problem: Kurse speziell für internationale Studenten werden uns nicht anerkannt. Wusste ich das, als ich meinen Stundenplan erstellt habe? Nein. Muss ich meinen Stundenplan deshalb komplett umwerfen und neu gestalten? Ja.
Also heißt es: eine weitere Woche damit verbringen, Kurse und Uhrzeiten, die irgendwie in meinen Stundenplan passen könnten, auf einer fremden Lernplattform zu finden, Räume zu suchen, abends nach Hause zu kommen und mich zu fragen, ob ich ernsthaft glaube, eine Klausur in diesem Modul auf Französisch bestehen zu können.

Mentaler Tiefpunkt erreicht

Besagter Montag, 13 Uhr im Kurs Changement Climatique: Vor mir erzählt der Professor irgendetwas davon, in welchem Winkel die Sonne auf die Erde scheint, was das für Auswirkungen hat und wie die Erderwärmung damit zusammenhängt. Es ist nicht nur, dass mir für diese Thematik das französische Fachvokabular fehlt, mir fehlt auch das Grundwissen; ich studiere schließlich Sprachen und Kultur, keine Geographie. Innerlich verfluche ich weiter mein Stundenplanproblem, werde immer wütender, dass ich die (sowohl zeitlich, als auch inhaltlich übrigens sehr passenden) Erasmus-Kurse nicht belegen kann und rutsche mit jeder Minute der Vorlesung tiefer in meine Verzweiflung.

Natürlich will ich meine Französischkenntnisse auf universitäres Niveau ausbauen und auch das Thema des Kurses interessiert mich sehr – aber in erster Linie will ich mein Auslandssemester anerkannt bekommen. Und dafür muss ich diesen Kurs bestehen. Die Vorlesung geht weiter, ich verstehe immer noch nur Bruchteile von dem, was der Dozent auf seinen Folien vor uns an die Wand wirft. Kann ich die Klausur überhaupt bestehen? Noch dazu auf Französisch? Muss ich mir schon wieder einen neuen Kurs suchen? War im Ausland zu studieren am Ende doch keine gute Idee? Bis die Erasmus-Studentin neben mir auf einmal sagt: „Das Thema ist so einfach, darüber habe ich in Deutschland schon drei Klausuren geschrieben“.

Und ich fühle, wie mir ein riesengroßer Stein vom Herzen fällt.

Mir wird eines klar: Ich darf mir nicht so viele Sorgen machen. Im Ausland passiert viel, das sich nicht kontrollieren lässt, man muss einfach darauf vertrauen, dass sich schon eine Lösung finden wird, wenn es soweit ist. Wer mit Anlauf über seinen Tellerrand und aus der Komfortzone springt, wächst am Ende des Tages vielleicht sogar über sich hinaus und entwickelt sich in Hinsichten weiter, in denen man sich zuhause niemals weiterentwickeln könnte.

Dann brauche ich eben länger, um meinen Stundenplan zu erstellen, dann verstehe ich die Thematik einer Vorlesung vielleicht nicht sofort – na und? Dafür lande ich möglicherweise in einem Kurs, der viel interessanter ist als der, den ich ursprünglich belegen wollte, und sitze dann neben einer Studentin, die mir das Thema erklären und vielleicht sogar eine neue Freundin werden kann.

Pas de soucis –“Keine Sorge“, das sagen die Einheimischen mindestens so oft am Tag wie Merci oder Bonjour. Scheinbar wird es noch eine Weile dauern, bis ich dieses Lebensmotto für mich annehmen kann, aber ich versuche es. Und wenn ich dafür etwas länger brauche – na und? Pas de soucis.

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