24. September 2020
„Das eine Spanisch“ gibt es nicht
Auf der Welt gibt es 483 Millionen spanische Muttersprachler – mehr hat nur das Chinesische.
Schon auf der iberischen Halbinsel – mit Lateinamerika fangen wir erst gar nicht an – gibt es eine ganze Reihe Dialekte mit unterschiedlicher Aussprache und unterschiedlichen Vokabeln. Dazu kommen völlig eigenständige(!) Sprachen. Das Ausrufezeichen setzte ich deswegen, weil es tatsächlich Sprachen sind, die mit dem Spanischen nichts gemein haben und so mancher Sprecher – verständlicherweise – empfindlich darauf reagiert, wenn man sie als Dialekte versteht. Die bekanntesten: Vasco (Baskisch), Gallego (Galicisch) und Catalán (Katalanisch).
Was an deutschen Schulen und Unis gelehrt wird, ist in aller Regel Castellano (Kastilisch) – die Amtssprache, die man in der Mitte und im Norden des Landes spricht, mit der man sonst aber auch überall klar kommt.
In Sevilla, dort, wo ich studiere, ist der andalusische Dialekt verbreitet – dazu an anderer Stelle mehr, denn das würde hier und jetzt den Rahmen sprengen. Nur soviel: Für Anfänger ist Andalusisch nicht ganz einfach zu verstehen. Und wenn meine Mitbewohner – beide aus Andalusien – einmal loslegen und anfangen zu reden, reden, reden, als hätten sie Nähmaschinen im Mund, dann erfreue ich mich einfach dem Sound des rhythmischen Singsangs und lächle und nicke. In der echten Welt gibt es keine Untertitel. Und ich bin doch erst seit einer Woche hier. Aber das wird.
Spanische Vokabeln für Fortgeschrittene
„Danke“, „bitte“ und „ich heiße soundso“ kenne ich schon. In mein Vokabelheft trage ich nur die besonders schönen Wörter und Formulierungen ein, die ich in Film, Fernsehen, Buch und Alltag so aufschnappe. Zum Beispiel:
Auf schlechter Milch sein
Jeder, der mal in einer WG gewohnt hat, kennt das. „Ist die Milch noch gut?“, voreilig nimmst du einen Schluck und hast dir die Frage selbst beantwortet. Wenn das passiert, dann bist du auf schlechter Milch („estar de mala leche“ = „schlecht gelaunt sein“).
Auf/von Rosen gehen
Jetzt suchst du den Mitbewohner, der es versäumt hat die schlechte Milch wegzuschütten. Keiner will es gewesen sein. Es scheint, als würde der Übeltäter auf Röschen davongehen („irse de rositas“ = „ungestraft davonkommen“). Schlimmer noch: Der Haupttatverdächtige scheint dir die heiße Kartoffel weitergeben zu wollen („pasar la patata caliente“ = „jemandem den schwarzen Peter zuschieben“).
Mit dem Kopfkissen sprechen
Du bist genervt, weil deine Mitbewohner deine Nasen berührt haben („tocar las narices“ = „jemanden ärgern/nerven“). Du gehst zu Bett und sprichst mit dem Kopfkissen („hablar con la almohada“ = „eine Nacht darüber schlafen“).
Lebender Onkel und russischer Berg
Am nächsten Tag sieht die Welt wieder ganz anders aus. Du gehst mit deinen Mitbewohnern in den Freizeitpark. Hier bist du total in deiner Soße („estar en su salsa“ = „in seinem Element sein“). Als erstes geht ihr auf den lebenden Onkel („tiovivo“ = „Karussell“), danach fahrt ihr noch eine Runde über den russischen Berg („montaña rusa“ = „Achterbahn“). Auf ein elastisches Bett („cama elástica“ = „Trampolin“) möchtest du nicht steigen, denn die schlecht Milch schlägt dir noch immer etwas auf den Magen.
Taschentuch und halbe Orange
Ihr hattet einen schönen Tag im Freizeitpark. Du und deine Mitbewohner, ihr seid wieder wie Fingernagel und Fleisch („como uña y carne“ = „wie Topf und Deckel“). Du hast am Zuckerwattenstand sogar einen netten Menschen kennengelernt und dich zum Date verabredet – vielleicht ist dieser Mensch ja deine Zwillingsseele („alma gemela“ = „Seelenverwandte/r“). Ihr geht zurück in die WG und seid froh darüber, dass ihr euch kennengelernt habt. Die Welt ist ein Taschentuch („el mundo es un pañuelo“ = „die Welt ist ein Dorf“). Und wenn dir die Mitbewohner doch nochmal auf die Nerven gehen, dann stellst du einfach ein Känguru ein („canguro“ = „Babysitter“) und triffst dich mit halben Orange („media naraja“ = „bessere Hälfte“) noch einmal am Zuckerwattenstand.