30. September 2020
Ein Tagebuch über vier Tage in Quarantäne. Eine Liebeserklärung an Pizza und eine kleine Erinnerung aufeinander aufzupassen.
Als ich den Anruf bekam, kam ich gerade vom Sport, saß in der Küche und aß zu Abend: Ich bin mit jemand positiv Infizierten in Kontakt gekommen. Na super. Quarantäne also bis Samstag. In einem Studentenwohnheim mit geteilter Küche und Bad. Ich hätte mir Spaßigeres vorstellen können. Nur bis Samstag, weil man sich zehn Tage nach Kontakt mit einer positiv getesteten Person in Quarantäne begeben muss. Sechs davon waren allerdings seitdem schon vergangen.
„Hey Battu!“, rief ich meinem Mitbewohner noch zu, bevor ich in meinem Zimmer verschwand. „Kannst du morgen meinen Küchendienst übernehmen? Ich mach dann deinen, wenn ich wieder raus darf.“ Wenigstens konnte ich mich so vor dem Putzen drücken.
Die Corona-Lage in Groningen hatte sich in den letzten Tagen zugespitzt. Als ich Mitte August hier angekommen bin, konnte die ganze Provinz gerade nur etwas mehr als 500 Fälle vorweisen. Seit März. Groningen ist also beachtlich gut durch die Pandemie gekommen. Im letzten Monat hat sich dann die Zahl verdoppelt. Über 300 aktive Fälle waren es, als ich das letzte Mal nachgeschaut habe. Deutschland hat in der Zwischenzeit Teile der Niederlande als Risikogebiet deklariert. Immer wenn ich raus gegangen bin, hatte ich ein komisches Gefühl in der Magengegend. Ich glaube, das kennt jeder mittlerweile. Auf der einen Seite wollte ich wenigstens ein bisschen vom Studentenleben mitbekommen. Ich hatte mich beim Leichtathletikverein angemeldet und ein paar der Willkommensangebote meiner Studierendenvereinigung mitgemacht. Alles draußen natürlich und unter Auflagen. Die Clubs und Bars haben geöffnet, ich bin nicht hingegangen. „Man muss es ja auch nicht herausfordern“, dachte ich mir. In meinem Studentenwohnheim übertrieb ich es auch nicht, vermeide die Menschenansammlungen, die es halt gibt, wenn sich so viele Menschen ein Zuhause teilen. Ich machte nur etwas mit einer Handvoll Leuten. Trotzdem war ich es, die an besagtem Montagabend den Anruf erhalten hat.
Dienstag, 22.09
Highlight: Es ist wieder ziemlich heiß. Glücklicherweise habe ich einen Ventilator.
Lowlight: Ich rufe ganze elf (!) Mal bei der Corona-Hotline an, jedes Mal fliege ich aus der Leitung. Beim zwölften Mal hänge ich zehn Minuten in der Warteschleife. Als ich endlich dran komme, gebe ich meine Email-Adresse falsch an. Den Termin für den Test bekomme ich trotzdem per SMS zugeschickt. Freitag, 11 Uhr.
Ich gehe die Leute durch, mit denen ich die letzte Woche Kontakt hatte und teile ihnen mit, was Sache ist. Die Reaktionen liegen irgendwo zwischen, „Passiert schon nichts“ und verdeckter Panik.
Quarantäne in einem riesigen Studentenwohnheim ist nicht cool. Der Gang zur Toilette wird immer von einem beinahe Herzinfarkt begleitet. Ich horche, ob für ungefähr zwei Minuten alles still auf dem Flur ist, dann sprinte ich ins Bad. Meine Mitbewohnerin stellt mir Milch vor die Tür. Ernährung heute: Cornflakes.
Mittwoch, 23.09
Highlight: Ich bestelle Pizza. Zwei Mitbewohnerinnen und ich bekommen drei Pizzen zum Preis von zwei. Es sind die kleinen Dinge, die zählen.
Lowlight: Ich hänge 30 Minuten in der Warteschleife, um meine E-Mail-Adresse zu korrigieren, nur damit mir gesagt wird, dass ich besagte E-Mail am Freitag beim Test doch nicht vorzeigen muss.
Meine Internetverbindung hält dieses Mal sogar für über die Hälfte der Zeit meiner beiden Seminare, ich bin begeistert. Sogar meine Serie kann ich sehen, obwohl ich lernen sollte. Man kann ja nicht gerade sagen, dass ich momentan nicht alle Zeit der Welt zum Lernen hätte. Aber wir kennen sie alle, unseren Freund, die Prokrastination. Ich fühle mich schuldig, meine Freunde, mein Geschirr zum Spülen rauszustellen.
Donnerstag, 24.09
Es gibt weder wirkliche Lowlights noch Highlights. Ich stehe um fünf Uhr morgens auf, um ja niemanden in der Gemeinschaftsdusche zu begegnen. Ich könnte lernen, tue ich aber nicht. Stattdessen beende ich meine Serie. Meine Mitbewohnerin bringt mir Brot und etwas Obst vom Einkaufen mit. Gesunde und vielfältige Ernährung läuft. Meine Nachbarin hasst mich vermutlich, telefoniere ich doch viel und lange nach Hause. Durch die dünnen Wände hört sie vermutlich jedes Wort, obwohl ich mich bemühe, leise zu sprechen.
Freitag, 25.09
Highlight: Der Test! Ich komme endlich mal aus meinem Zimmer raus. Auch wenn es nur fünf Minuten bis zum Testzentrum sind, es sind fünf Minuten an der frischen Luft! Ich schmeiße mich zum ersten Mals seit Montag in Jeans.
Lowlight: Der Test! Ich zweifle ein wenig an der Menschheit. Ich sitze in einem Corona Testzentrum (!) und es gibt doch tatsächlich Menschen, die ohne Maske hineinkommen. Der Test selber fühlt sich etwas eklig an, ist aber auszuhalten.
Ich überlege, ein Sportworkout zu machen. Den Hype fand ich aber schon ätzend, als die Pandemie im März begonnen hatte. Aus Rücksicht auf den armen Menschen, der unter mir wohnt, lasse ich mein Vorhaben sein.
Samstag, 26.09
Freiheit! Die vorgeschriebene Zeit, die man nach Kontakt mit einem positiv Infizierten in Quarantäne verbringen muss, ist vorbei. Als Fazit: Quarantäne alleine auf 19 Quadratmetern ist langweilig, aber muss sein, um seine Mitmenschen zu schützen.
Montagsupdate, 28.09
Mein Telefon klingelt – meine Testergebnisse sind da. Ich bin negativ.
Dienstagsupdate, 29.09
Die Regierung verschärft die Maßnahmen. Es wird über eine Maskenpflicht diskutiert. Restaurants, Bars und Clubs schließen um 22 Uhr. Sportveranstaltungen müssen wieder ohne Publikum stattfinden, Menschenansammlungen draußen werden zahlenmäßig begrenzt. Die Maßnahmen sind auf zwei Wochen ausgeschrieben, verbessern sich die Zahlen nicht, droht ein erneuter Lockdown.
Lass uns wieder Solidarität zeigen!
„Corona, was ist das?“, ist eine Haltung, die ich in den letzten Wochen und Monaten immer häufiger bei vor allen jungen Menschen mitbekommen habe. Wir ziehen in ein fremdes Land, eine neue Stadt und damit weit weg von unseren geliebten Menschen. Die Sorge um genau diese aber, um unsere Großeltern, unsere Eltern mit Vorerkrankung und unseren Freund mit Asthma hat uns vorsichtig werden lassen, am Anfang der Pandemie. Wir haben aufgepasst, Bilder auf Instagram in unseren Stories geteilt, die uns an Abstandsregeln und Händewaschen erinnerten. Die Köpfe geschüttelt über sogenannte „Coronapartys“. Die Medien Anfang März waren voll mit Bildern überfüllter Krankenhäuser, dem Pflegepersonal wurde applaudiert, die Pandemie war mitten in unseren Köpfen. In Deutschland lebten wir nicht im ganz strengen Lockdown, trotzdem gaben wir acht, es gab kaum ein anderes Thema. Wir konnten uns zusammen reißen, begriffen die Tragweite sahen sie tagtäglich vor Augen. Solidarität war ein großes Wort geworden. Dann kam der Sommer. Ein nicht ganz normaler Sommer, aber wir trafen uns wieder mit Freunden, sahen unsere Großeltern wieder, Hochzeiten konnten wieder stattfinden. Alles unter Auflagen, aber vieles war wieder möglich. Corona und seine Folgen traten langsam in den Hintergrund. Die Pandemie war immer noch da, nur langsam erschien sie harmloser, die Zahlen gingen zurück.
Spoiler: Der Sommer bleibt nicht für immer. Also zumindest nicht bis zum Ende der Pandemie. Sie kommt gerade zurück und zumindest hier in Groningen, mit voller Wucht. Die Niederlande verzeichnet mittlerweile fast 3000 Neuinfektionen am Tag. Langsam kommt der Virus wieder in unseren Köpfen an. Ich bin mir sicher, dass wir auch die zweite Welle gemeinsam meistern können. Desinfiziert eure Hände, vermeidet große Menschenansammlungen und passt aufeinander und auf euch selbst auf! Denn nur so können wir andere gemeinsam schützen!