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Raus aus der Komfortzone, rein in den Amazonas

An meiner Praktikumsschule sind seit Ende Juni Winterferien. Innerhalb der vier Wochen, die ich frei hatte, bin ich viel rumgereist. Eines meiner Reiseziele war einen Teil des Amazonas in Ecuador zu besichtigen. Vier Tage habe ich dort in einer kleinen Kommune verbracht. Genauer gesagt: Vier Tage voller Überraschungen, Herausforderungen und jede Menge Überwindung.

In diesem Beitrag werde ich lediglich vom ersten Tag meiner Amazonastour berichten, da sie wirklich sehr umfangreich und komplex war. Ich möchte euch einen Eindruck vermitteln, wie eine solche Tour in den Amazonas aussehen kann und was ich für Erfahrungen gesammelt habe.

Meine Zeit in Ecuador war auf eine Woche begrenzt. Während dieser Zeit musste ich vom Süden in den Norden reisen. Warum? Mein Hinflug landete in der zweitgrößten Stadt Ecuadors, Guayaquil. Mein Rückflug jedoch ging von Quito, der Hauptstadt, zurück. Ich hatte also einen begrenzten Zeitraum, innerhalb dessen ich zwei Dinge berücksichtigen musste: Einerseits eine sinnvolle Route von Süden nach Norden planen, andererseits auf dieser Route eine mehrtägige Amazonastour einbauen. Klingt für eine Woche stressig? War es auf jeden Fall auch! Doch der ganze Stress war es wirklich wert.

Ich habe mich informiert, von welcher Stadt aus ich einen Kurztrip in den Nationalpark Yasuní unternehmen kann.

Aufgrund meiner Reiseroute kam lediglich eine Stadt in Frage, von der aus ich eine geeignete Tour starten konnte – Puyo. Zugegebenermaßen habe ich im Internet auch nur ein einziges Reiseunternehmen gefunden, dass von diesem Ort aus Touren anbietet. Glück gehabt, würde ich da sagen 🙂

Abfahrt um fünf Uhr morgens!

Als ich morgens an meinem Hostel abgeholt wurde, habe ich erst mal mit dem Schloss des Eingangs gerangelt, denn ich konnte die Tür einfach nicht öffnen. Der Guide, der bereits vor der Tür wartete, bemerkte schnell meinen Struggle und kam mir zur Hilfe. Als er das verklemmte Schloss mit etwas mehr Gewalt geöffnet hatte, kam mir erstmal eine Alkoholwolke entgegen. Zunächst dachte ich mir nichts dabei, stieg ins Auto und fuhr mit Fahrer und Guide los. Doch während der Fahrt unterhielt ich mich mit dem Guide namens Delfín und merkte schnell, dass die Alkoholfahne nicht etwa zu viel Desinfektionsmittel für die Hände war. Nein. Delfín war wirklich betrunken.

Mich überkam ein sehr ungutes Bauchgefühl und in meinem Kopf spielten sich bereits die übelsten Szenarien ab. Doch ich dachte mir, dass es jetzt keinen Weg mehr zurück gibt, auch wenn es wahrscheinlich unendliche viele Auswege gab. Ich ließ mich trotz schlechtem Bauchgefühl treiben und ich muss sagen, dass ich das niemandem raten kann. Denn ein solcher Eindruck wie ich ihn hatte, entsteht nicht im luftleeren Raum und ist immer begründet. Wenn du dich also unwohl oder unsicher fühlst, dann sprich die Person an und versuche die Situation zu beseitigen. Ich tat das nämlich nicht. Aber zum Glück ist alles gut gegangen. Und zum Glück habe ich Delfín kennengelernt, denn die gesamte Tour in den Amazonas waren eine Begegnung und Erfahrung, die ich niemals missen wollen würde.

Anreise, Ankunft, Außerirdisch

Wir fuhren etwa drei Stunden bis zu einer Anlegestelle am Fluss Rio Napo. Dort stieg ich gemeinsam mit Delfín in ein Kanu, mit dem wir wiederum drei Stunden den Fluss entlang fuhren. Wir kamen schließlich gegen 12 Uhr in einer kleinen Kichwa Kommune am Wasser an.

Auf dem Kanu auf dem Weg zum Dörfchen.

Als ich das Haus der Familie betrat, verstummten alle und schauten mich misstrauisch, aber erwartungsvoll an. In diesem Moment habe ich gemerkt, wie fern und unbekannt wir einander eigentlich wirklich waren. Nicht nur sprachen wir nicht die gleiche Sprache, auch reiste ich gerade frisch aus der Stadt und dem Trubel an. Lediglich der Vater der Familie sprach ein wenig spanisch. Alle anderen Familienmitglieder sprachen nur Kichwa, weshalb lediglich Delfín mit ihnen sprechen konnte. Denn mein Guide selbst gehört ebenfalls den Kichwa an.

Ich mit Bemalung
Hier wurde ich zur Begrüßung und als Zeichen des Willkommens im Gesicht mit Farbe bemalt.

Nachdem Delfín also ein wenig mit der Familie gesprochen hatte, machten wir auch schon gleich eine Wanderung in die Umgebung des kleinen Dörfchens.

Wanderung mit unerwarteten Herausforderungen

Auf der Wanderung zeigte Delfín mir sehr interessante Dinge. Zum Beispiel wie man Wasser aus einer Liane gewinnen kann, indem man sie einfach aufschneidet. Er zeigte mir auch, wie die Yucca-Pflanze, eine der Hauptnahrungsmittel im Amazonas, aussieht und erntete die essbare Wurzel gemeinsam mit mir. Zu guter letzt fing er einen Salamander und erklärte stolz, dass dieser Salamander eine besondere Art sei. Denn würde man den Schwanz abschneiden, dann würde er einfach nachwachsen. So weit, so interessant. Doch als nächstes stieß Delfín mich wirklich vor den Kopf, als er mich bat, dem Salamander bitte den Schwanz abzubeißen. Ich hielt das anfangs erst für einen schlechten Witz, doch er erklärte, dass man den Schwanz essen könne und ich mir keine Sorgen machen müsse, da er ja nachwächst. Na ja, erst zögerte ich, doch Delfín sagte mir ich solle das volle Erlebnis mitmachen. In diesem Moment überkam mich ironischerweise eine zu große Scham, nicht als Spielverderberin beziehungsweise angeekelte Tourist zu wirken, also biss ich zu. Im Nachhinein frage ich mich, ob ich auch das volle Erlebnis hätte mitnehmen können, wenn ich nicht zugebissen hätte, denn ich bin mir fast sicher: Ja hätte ich! Doch ich habe mal wieder nicht auf mein inneres Bauchgefühl gehört und einfach gemacht. Schade eigentlich. Denn vor allem auf die eigenen Bedürfnisse sollte ich ja eigentlich hören. Na ja, egal. Ich mache es ja kein zweites Mal, dachte ich. Aber im Laufe des Tages machte ich es nochmal, zumindest so ähnlich.

Und so geht Fischen richtig

Nun hatten wir also Yucca-Wurzeln für das Abendessen. Delfín fehlte jedoch noch der Fisch. Also gingen wir nachmittags gemeinsam fischen. Der Sohn der Kichwa-Familie half uns dabei, denn er hatte ein langes großes Netz zum Fischen dabei. Und tatsächlich kamen auch ein paar kleine Fische ins Netz. Der Guide zerrte sie aus dem Netz und streckte mir einen Fisch ins Gesicht: „Weißt du wie wir die Fische töten? Wir beißen ihnen einfach in den Kopf. Also, beiß da jetzt rein!“

Drei Mal dürft ihr raten, was ich getan habe. Und ja, ich würde es wirklich nicht nochmal machen. Doch aus Respekt der Kichwa-Familie gegenüber und überhaupt wegen der Möglichkeit, eine so gering verbreitete Ethnie und Kultur kennenzulernen, habe ich es getan.

Zu Abend kochte Delfín die Yucca-Wurzeln in warmem Wasser und hüllte die Fische in große Blätter ein, um sie in die Nähe der Feuerstelle zu legen.

Das Essen schmeckte wirklich gut und obwohl ich ständig von der Familie beobachtet wurde, war ich sehr dankbar dafür, diese Kultur zu einem Bruchteil kennenzulernen zu dürfen. Bei dem Abendessen sprach ich Delfín außerdem auf die Situation am Morgen an, als er betrunken war. Dabei war er ganz peinlich berührt und erklärte mir, dass er am Abend vor der Abfahrt mit einigen Freunden etwas trinken gegangen sei und überredet worden sei, noch etwas länger zu bleiben und mehr zu trinken. Nachdem ich das gehört hatte, waren auch die letzten schlechten Bauchgefühle im hintersten Eckchen verschwunden. Irgendwie ja auch nur menschlich, dachte ich mir.

Der größte Mehrwert? Mein Perspektivenwechsel

Während meiner Zeit am Amazonas habe ich häufig gemerkt, dass ich an den Rand meiner Komfortzone gelangt bin. Doch die gesamte Erfahrung in der Familie war wirklich kostbar, denn ich habe gesehen, wie ich aus meinem westlich geprägten Denken auf eine Kultur wie die der Kichwa blicke. Obwohl unsere Welten wahrscheinlich nicht unterschiedlicher sein könnten, habe ich eine große Bewunderung für die Familie und ihre Kultur entwickelt.

Es ist ein wichtiger Perspektivenwechsel, den ich jeder Person empfehlen kann. Denn ich glaube manchmal steckt man viel zu tief darin, seine eigene Lebenswelt als allgemein gültigen Standard zu sehen.

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