3. August 2020
Unsere Vorstellungen von der arabischen Kultur bestehen oft aus oberflächlichem Wissen, einigen wenigen Urlaubserinnerungen oder auch Vorurteilen. Doch die arabischen Länder haben dank ihrer starken Identitäten auf vielen verschiedenen Ebenen viele kulturelle Schätze zu bieten. Was nehme ich nach sechs Monaten in Jordanien mit?
Um die kulturellen Schätze der arabischen Welt zu erkunden, könnte man fast geneigt sein, Arabisch zu lernen – eine Sprache, die selbst voller Kultur ist. Vorweg: Mein Arabisch ist nach sechs Monaten in Jordanien leider nicht so gut, wie ich es mir erhofft hatte. Alle meine Uni-Kurse waren auf Englisch und der Arabischkurs hatte vor den Klausuren dann doch weniger Priorität. Und die Hauptstadt Ammans ist in vielen Gebieten westlich geprägt. Das beutetet, dass auch meistens Menschen direkt Englisch mit einem sprechen.
1) Die Deutsche Sprache enthält mehr Arabische Wörter als man denkt
Man ist sich dessen vielleicht nicht immer bewusst, aber wir verwenden im Deutschen viele Wörter, die ursprünglich aus dem Arabischen stammen, ohne dies zu wissen. Aufgrund der starken Expansion der islamischen Zivilisation im 7. Jahrhundert hat sich die arabische Sprache auf der ganzen Welt verbreitet. Nach und nach haben sich Grammatik, Wortschatz und dialektale Varietäten herausgebildet und zu dem geführt, was wir heute kennen: eine starke und geschichtsträchtige Sprache.
Begriffe, die wir tagtäglich verwenden, wie Kaffee, Zucker, Orange oder auch Karaffe, Gitarre oder Ziffer stammen ursprünglich aus dem Arabischen. In allen Bereichen des Lebens, von Musik über Mode bis hin zur Mathematik, lassen sich arabische Wörter finden.
Entdecke hier noch weitere aus dem Arabischen entlehnte Wörter. Besonders in der Mathematik ist das Arabische enorm wichtig. Denn auch noch heute rechnen wir ausschließlich mit arabischen Ziffern in Deutschland und den meisten anderen Orten auf der Welt.
2) Studieren in der Wüste in Wintermonaten ? Kälter als man denkt !
Jordanien ist Teil des östlich mediterranen Wettersystems und im Land herrscht ein grundsätzlich angenehmes Klima. Allerdings gibt es deutliche saisonale Unterschiede: Der Hochsommer ist fast zu heiß, und die Winter deutlich milder als in Deutschland. Deshalb hatte ich für meine Reise wenige wirklich warme Anziehsachen eingepackt.
Ein Fehler: Unsere Wohnung war so schlecht isoliert, dass die Innentemperatur in der Wohnung oft dann auch der Außentemperatur (im Winter manchmal 5 Grad) entsprach. Und wir hatten nur eine Klimaanlage, die kühlen und heizen kann. Dies hat direkt zwei Nachteile: Obwohl der Strom in Jordanien als günstig gilt, ist der Verbrauch gestaffelt aufgeteilt: Das bedeutet bei einem hohen Verbrauch steigt auch dann signifikant der Tarif (das Gegenteil zu Deutschland). Zudem war das zentrale Klimaanlagensystem in allen Räumen oben installiert. Dadurch, dass warme Luft nach oben steigt, wurde es bei uns in den Räumen auf Körper-Höhe nie wirklich warm. Und während es dann oberhalb in den Räumen langsam wärmer wurde, entwich die Wärme durch die nicht oder nur wenig isolierten Fenster und Wände.
Zum Glück kann man dem „Winter“ gleich mehrmals entfliehen: In Akaba sind es auch im Dezember noch oft angenehme 20 Grad mit viel Sonne (vier bis fünf Stunden Busfahrt) oder man fährt 40 Minuten zum tiefsten Punkt der Erde ans Tote Meer. Durch den hohen Salzgehalt speichert das Tote Meer die Hitze des Sommers, sodass es auch im Winter dort noch warm ist.
Der Winter sollte jedoch niemanden abschrecken, denn es gibt viel mehr Sonnenstunden in Jordanien als in Deutschland. So fühlen sich manche Tage im Winter nach deutschem Frühling oder Herbst an. Ein schöner Ausgleich zu kalten Nächten in unserer Wohnung.
Wüstenlandschaften weit und breit in Wadi Arava, der Senke vom Toten Meer bis zum Golf von Akaba.
2) In großen Teilen religiöse Toleranz
In Jordanien leben zurzeit etwa 9,5 Millionen Menschen. 93 Prozent der Bevölkerung bekennt sich zum sunnitischen Islam. Etwa fünf Prozent entfallen auf verschiedene christliche Konfessionen. Doch wie sieht es mit der Religionsfreiheit im Land aus? Und was bedeutet das für einen Austauschstudenten wie mich in Amman?
Dazu kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass die Religionsfreiheit in Jordanien auf jeden Fall (zumindest per Gesetz) geachtet wird. Jedoch ist der Islam dominant vertreten im Alltagsleben. Genau wie auf christliche Feiertage in Deutschland Rücksicht genommen werden muss, wird auch im Ramadan zum Teil nicht zwischen Christen und Moslems unterschieden.
Das bedeutet konkret: Auch ein Christ muss sich daran halten, während des Ramadans tagsüber nicht öffentlich zu essen. Das kann zu kuriosen Situationen führen: Denn auch Bars haben an Ramadan geöffnet, aber komplett mit verdeckten Fenstern. Das bedeutet: Tagsüber, bei künstlicher Beleuchtung, sitzen Menschen in relativ dunklen Bars.
Im Vergleich zu den Christen in anderen Ländern des Nahen Ostens leben die meisten in Jordanien ein sicheres und stabiles Leben. König Abdallah und die Regierung scheinen anerkannte Kirchen zu tolerieren und bis zu einem gewissen Grad zu unterstützen. Ich selber war überrascht, wie viele christliche deutsche Austauschstudenten mit mir an der German Jordanian University studierten.
3) Gastfreundlichkeit verstehen und lieben lernen
In Jordanien wird Gastfreundschaft hochgehalten, im Gegenzug sollte man sich den Menschen und ihrer Kultur gegenüber respektvoll verhalten. Aus diesem Grund sollte man zu 99% der Einladungen auch nicht nein sagen. Du magst keinen Tee? Du wirst ihn mögen lernen.
Es ist eine „heilige Pflicht“ bei den Beduinen, Gäste aufzunehmen und zu versorgen. Man wird zu einem Tee eingeladen und muss als Anhalter in Jordanien auch kaum mehr als fünf Minuten am Straßenrand warten. Und immer heißt es mit Begeisterung: „Ahlan wa Sahlan fi Al-Urdun“ – Willkommen in Jordanien!
4) Im Nahverkehr die Ruhe zu bewahren
Der Straßenverkehr in der Metropolregion Amman ist (nett gesagt) ein riesiges Chaos und Abenteuer. Es gibt weder Züge noch Bushaltestellen mit entsprechenden Fahrplänen und Preisen. Auf dem Weg zur Uni stellt man sich einfach an die Straße und steigt in den nächstbesten Bus ein. Wenn man aussteigen will, klopft man ans Fenster.
Es gibt jedoch keine Schilder, wohin der Bus überhaupt fährt. Eine gute und zwangsläufige Übung, das gelernte Arabisch einzusetzen. Trotzdem war dann doch wieder die jordanische Gastfreundlichkeit entscheidend: Nach einigen Wochen kannte ich so viele Kommilitonen, dass ich jeden Tag morgens vor meiner Haustür von neuen Freunden abgeholt und meistens auch nach den Vorlesungen wieder nach Hause gefahren wurde. Das war dann doch entspannter als der Bus-Dschungel.
5) Viele tolle Menschen, Abenteuer und vielseitige Reisemöglichkeiten in die Natur
Jordanien bietet neben vielen sympathischen Menschen, die ich bis jetzt kennen lernen durfte, auch eine große Vielfalt an Sehenswürdigkeiten und Möglichkeiten zum Reisen.
Übernachten in einem traditionellen Beduinen-Camp in der Wüste mit Jeep-Touren und Kamelreiten, der Besuch der Felsenstadt Petra, eine siebenstündige Wanderung durch beeindruckende Wüstenlandschaften oder auch das Baden im Toten Meer, sind nur einige von vielen tollen Erlebnissen, die ich in Jordanien hatte. Eine Mischung aus alten Burgen aus der Kreuzfahrerzeit, Islamische Festungsanlagen, Römische Städte und alten Zivilisationen bietet Geschichtsbegeisterten wie mir eine schier unglaubliche Auswahlmöglichkeit.
Heilschlamm am Toten Meer: Baden und Schweben bei 25 Grad im Dezember: Mit seinen vielen Mineralien wohltuend und belebend auf Haut und Körper.
Ein Beispiel dafür ist das römisch geprägte Zeitalter im Mittleren Osten: Wer denkt, er würde schon viel über die Lebensweisen der Römer kennen, lernt in Jordanien noch einmal eine ganze andere Perspektive kennen: Denn vor ca. 1900 Jahren mussten sich auch die Römer dem Wüstenklima anpassen und so wirken Ruinen und Ausgrabungen in der Wüste noch einmal in einem ganz anderen Kontext als römische Ausgrabungen in meiner Wahlheimat Köln.
Römische Säulen in Gerasa: Teil der „neuen“ römischen Provinz Arabia Petraea.
6) Der erste Austauschstudent im Fach Renewable Energies? Einfacher als man denkt!
Obwohl es eine Kooperation zwischen meinem Institut an der TH Köln und der German Jordanien University gibt, war ich der erste Student meines Faches in Köln, der sich für ein Auslandssemester in Jordanien entschieden hat. Dies bedeutet am Anfang natürlich einen gewissen Extra-Aufwand zu überprüfen, welche Module überhaupt am eigenen Institut anerkannt werden können, da dies vorher noch nie passiert ist.
Und es birgt auch Risiken: Denn man hat keine Erfahrungswerte über Professoren oder Noten-Anrechnungen. Deshalb empfehle ich auf jeden Fall, vorher das Learning Agreement auszufüllen und von den Professoren der eigenen Universität per Unterschrift bestätigen zu lassen. Damit könnt ihr sicher sein, dass später auch wirklich die Module und Noten in Deutschland angerechnet werden. Alles in Allem kann ich aber sagen, das ich mit ein wenig Aufwand doch schnell alles Wichtige klären konnte.
Fazit
Allgemein kann ich sagen, dass es eine sehr bereichernde Erfahrung war, sowohl auf mein Studium bezogen, als auch auf meine persönliche Entwicklung. Ich habe viele neue Erfahrungen gesammelt und zahlreiche neue Leute aus aller Welt kennengelernt.
Ich hoffe, ich konnte dem einen oder anderen mit diesem Blog weiterhelfen und eventuelle Unklarheiten weitestgehend aufklären. Ich wünsche jedem, der ein Auslandssemester in Jordanien plant, eine tolle Zeit und maximale Erfolge!
Euer Malte