19. Januar 2017
Eine der größten Metropolenregionen der Welt ist Sao Paulo. Ungleichheit, brasilianische Begeisterung und immer wiederkehrende Vorurteile sind auch in dieser Großstadt keine Seltenheit. Es bräuchte wohl Jahre, um diese Stadt detailliert beschreiben zu können, daher sind die folgenden Zeilen mehrheitlich meine ersten Eindrücke.
Überwältigende Distanzen
Deutschlands Hauptstadt ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Denkmäler, Bauwerke, Parks, Menschen aus allen Teilen der Erde, eine vielfältiges Nachtleben und unzählige weitere Eigenschaften machen Berlin nicht nur zu Deutschlands wohl bekanntester Stadt, sondern auch zu einem Ort an welchem deutsche Geschichte, Gegenwart und Zukunft verschmelzen. Für viele mag Berlin beim erstmaligen Besuch übermannend wirken. Wer sich schließlich dazu entschließt zu Fuß die Stadt zu erkunden, der wird sich in nicht wenigen Fällen nach einem Wochenende neues Schuhwerk zulegen müssen, umschließt Berlin doch mit seinen Außenbezirken nicht nur ein Gebiet von fast 900 km2, sondern bietet auch etwa 3,5 Millionen Menschen Platz. Wem nun unsere Bundeshauptstadt zu groß oder gar zu erdrückend erscheint, der wird in Sao Paulo einen wahren Schlag verspüren.
Sao Paulo ist eine sich sprunghaft ausbreitende Stadt, die innerhalb der Metropolenregion auf einer Fläche von etwa 8.000 km2 über 21.000.000 Menschen Platz bietet. Doch bereits bei der Ankunft erfährt der Besucher, dass diese Stadt sich nicht nur in die Breite, sondern vor allem in die Höhe ausdehnt. Ein Flug über Sao Paulo lässt auch einen Mann von Welt mit offenem Mund zurück. Es reiht sich Hochhaus an Hochhaus, der Großteil zwischen den 1950er und 1960er Jahren errichtet, um dem Zuwachs von Arbeitern aus den ländlichen Gebieten Herr zu werden.
Begibt man sich nun selbst in diesen Großstadtdschungel, so ist es nicht verwunderlich, dass eine leichte Beklemmung spürbar wird. Man fühlt sich geradezu übermannt, ja gar unterworfen von dieser Masse. Tag und Nacht reißt der Menschenstrom nicht ab und wirkliche Ruhe findet man selten. Dieses Gefühl der Beklemmung wird auch durch andere Umstände bestärkt, die Sao Paulo für viele zu einem Ort des inneren Unwohlseins machen. So z.B. ist das Wetter ob des Smogs oftmals eine Mischung aus grau und weiß und spiegelt nicht nur die Farben der bombastischen Betonbauten, sondern nicht selten auch die Stimmung der Einwohner wider. Es ist eine gewisse emotionale Kälte in der Stadt spürbar, die im Gegensatz zu dem den Brasilianern zugeschriebenen feurigen Gemüt steht. Menschenmassen überfluten die Straßen und gleichwohl hegt man, trotz vieler Attraktionen, lauten Gelächters aus Bars und Restaurants, Straßenmusikanten und funkelnden LED-Leuchten, eher ein befremdendes Gefühl, als eine emotionale Wärme. Wohl nicht ganz zufällig beschreibt der populäre brasilianische Musiker Criolo Sao Paulo mit den Worten: „Sao Paulo ist ein Strauß voller Blumen. Doch Blumensträuße bestehen aus toten Blumen“.
Freizeitmöglichkeiten und Vorurteile
Was also tun? Nun, an Freizeitangeboten mangelt es sicherlich nicht.
Ein Konzert vielleicht? Welcher Künstler darf es heute sein?
Kino? Hollywood, arabische Filme, französische Filme, oder doch eher Bollywood?
Einen Spaziergang durchs Grüne? Fang schon mal an die 545 Hektar des Ibirapuera-Parks abzulaufen!
Essen? Wann und wo du willst!
Partymöglichkeiten? Wieviel Geld hast du dabei?
Selbstverständlich war es mir bisher nicht möglich alle diese Punkte in Hülle und Fülle auszuprobieren. Man muss sich seine Zeit schließlich einteilen. Da ich allerdings von vornherein auf ein Konzert eingeladen war, durfte ich dieses schwerlich verpassen.
Samba-tanzend und fußballverrückt: Sind alle Brasilianer so?
Es gibt diese sich hartnäckig haltenden Vorurteile über den stets heiteren, Samba tanzenden, fußballfanatischen, begeisterungsfähigen Brasilianer. Meine Erfahrungen diesbezüglich haben dieses Bild für mich ein wenig eingeschränkt. Brasilien ist ein Land vieler verschiedener Gesellschaftsschichten. Wahrlich, die meisten Leute sind fußballverrückt, wenngleich nicht alle. Samba, so scheint es, ist selbstverständlich jedem ein Begriff; die (korrekte) Ausführung dieses Tanzes scheint, zumindest in den Kreisen der oberen Mittelschicht und Oberschicht, nicht allzu verbreitet zu sein. Wenngleich auch ich mich wunderte als mir an einer Stelle gesagt wurde: „Samba tanzen hier nicht so viele, das ist eher eine Sache für die Leute auf den Straßen Rios“.
Was ich allerdings bei jenem Konzert erlebte, überraschte mich dann doch positiv. Dies begann mit einer für die hiesigen Verhältnisse achtungsvollen Pünktlichkeit von etwa 30 Minuten Verspätung. Da das Konzert in einer Art Theater abgehalten wurde, waren alle Sitzplätze vorher zugeteilt und restlos belegt. Hätte ich vorher gewusst, dass nach einem kurzen Wink des Sängers während des ersten Liedes alle Schaulustigen sich schlagartig von den Sitzen erheben würden, um zu tanzen, ich hätte mich wohl erst gar nicht gesetzt. Zumindest dieses Vorurteil lässt sich nach dem bisher Gesehenen vorerst belegen: Die Brasilianer scheinen doch ein relativ munteres Volk zu sein, das sich ausgelassen der Musik hingibt.
Freud und Leid sind nah beieinander
Es ist daher schon ein seltsames Gefühl, wenn man auf der einen Seite diese Begeisterung erlebt, jedoch wenig später Zeuge der Gleichgültigkeit wird, welche den zahllosen Obdachlosen, Streunern und Vagabunden entgegengebracht wird, die im Schatten der schier endlos großen Hochhäuser auf ihr Glück warten. Sie leben teilweise in notdürftig zusammengeflickten Unterkünften, die dem Namen „Hütte“ spotten und nur unter größter Anstrengung der eigenen Vorstellungskraft als solche ausgemacht werden könnten. Ich fuhr an einem sehr regnerischen Tag an einigen jener Unterkünfte aus Stoff und Pappe vorbei und las dabei hin und wieder den Schriftzug: „Jesus, hilf mir.“ Es schien als sei auch Jesus in Trauer ob des Leides dieser Menschen. Nur zutreffend scheinen daher die Worte, mit welchen der bereits zitierte brasilianische Künstler Sao Paulo umreißt: „In Sao Paulo existiert Liebe nicht“.
Dieses Leid und die sozialen Unterschiede sind es jedoch, welche Sao Paulos Graffitis zu einer Attraktion gemacht haben. Derer unzählige zieren nämlich das Stadtbild der Millionenmetropole. Ihre Motive sind sehr vielseitig, erzählen jedoch nicht selten von den großen Ungleichheiten und Abgründen dieser Stadt. Erzählen stellt hierbei eine nicht geringe Untertreibung dar – sie schreien den Betrachter geradezu an: Grässliche Fratzen sind hier zu sehen, die die sozialen Unterschiede deutlich machen. Oftmals wurden sie durch Kampagnen der Oberschicht entfernt, was wiederum zu großen Protesten führte. Schlussendlich wurden deswegen in nicht wenigen Fällen Kampagnen revidiert und eingestellt. Ein unbedeutendes Detail, mag so mancher denken. Ein Sieg der Schwachen, der Meinungsfreiheit und der Hoffnung möchte wohl mancher entgegnen.
Robert Patrick
21. Januar 2017
Ist es radsam, als Single, in Sao Paolo urlaub zu machen? Ich habe auch von Freunde gehoert: „Das beste Kaffee der Welt versteckt sich in Sao Paolo“. Stimmt das?
Jonathan Salzwedel
23. Januar 2017
Hallo Herr Patrick,
vielen Dank für Ihre Frage. Wenngleich Sao Paulo bisweilen recht einsam wirken mag, kann ich nach meinen ersten Eindrücken dennoch sagen, dass man auch als Single sehr wohl einen erfreulichen Urlaub dort verbringen kann – dies allerdings nicht, wenn sie Sonne, Strand und Meer suchen.
Da ich selbst kein Kaffeetrinker bin, kann ich diesbezüglich leider keine genaueren Angaben machen. Von der Annahme ausgehend, dass ein Kaffeexporteur wie Brasilien auch Kaffe zuzubereiten weiß, würde ich glauben, dass Sie in Sao Paulo einen sehr schmackhaften Kaffe zu trinken bekommen.
Mit den besten Grüßen,
JS