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Semesterferien im Südpazifik

Der Südpazifik ist für viele das Paradies – für mich war es der Schauplatz eines ganz besonderen Abenteuers: der ozeanischen WM-Qualifikation auf der kleinen Insel Samoa. Was mich dort erwartet hat, war mehr als nur Traumstrände und Korallenriffe – ein Einblick in den amateurhaften Profifußball am anderen Ende der Welt.

In meinem Semesterferien ging es für mich ins Südpazifik Paradies, genauer gesagt auf die Insel Samoa. Hauptgrund meiner Reise waren aber weder Strände, Meer oder Korallen, sondern der Fußball. Oder genauer gesagt, die 1. Runde der ozeanischen WM-Qualifikation auf der beschaulichen Südseeinsel Samoa.
Was folgt ist ein kleines Exkurs in die Untiefen des amateurhaften Profifußballs am anderen Ende der Welt. Die Nationalmannschaften der ozeanischen Zwergstaaten zählen zu den schlechtesten der Welt. Auf der 210 Plätze fassenden Fifa-Weltrangliste der Männer belegen die Nationen stets die hinteren Plätze, mit wenig Aussicht auf Besserung.

Aktueller Stand in der FIFA-Weltrangliste (04.10.2024)

  • 185. Samoa
  • 189. Amerikanisch-Samoa
  • 191. Cookinseln
  • 199. Tonga

…..

  • 210. San Marino

Der ozeanische Fußballverband besitzt lediglich elf FIFA-Mitglieder und besteht hauptsächlich aus Inselstaaten im Pazifischen Ozean. Er gilt als der schwächste der sechs Kontinentalverbände und hatte bisher nie einen festen Startplatz für eine Weltmeisterschaft sicher. Es mussten daher in den vergangenen Jahren stets Playoff-Spiele gegen asiatische oder südamerikanische Nationen durchgeführt werden.

Die meist kleinen Inseln haben häufig nicht die großen finanziellen Mittel, kleine Bevölkerungszahlen und schlicht und einfach weniger Interesse am Fußball, da hier meist Rugby an vorderster Stelle steht. Aus diesem Grund finden die Länderspiele häufig keine sonderlich große Beachtung. Für mich war es dennoch der Hauptgrund einmal die weite Reise in das schöne Samoa zu wagen. In dem Artikel möchte ich jedoch weniger auf die ohnehin sehr qualitätsarmen Spiele eingehen, sondern mehr auf einzelne Personen, die ich treffen durfte.

Beschwerliche Anreise

Die kleine Südseeinsel Samoa hat mich bereits vor sehr langer Zeit in seinen Bann gezogen, sie legt etwa 15.000 entfernt von Deutschland. Für mich aus Japan war der Weg zwar kürzer und lohnenswerter, aber immer noch etwa halb so weit. Meine Anreise war dementsprechend sehr anstrengend. Ich musste dreimal umsteigen, verbrachte dabei viel Zeit an den Transitflughäfen in Manila, Brisbane oder Nadi und landete, nachdem ich etwa 30 Stunden auf den Beinen war.
Gegen 1 Uhr nachts kam ich am kleinen internationalen Flughafen Faleolo an, wo mich ein Taxi direkt zum Hotel brachte, in dem ich mich nun erstmal ausschlafen konnte. Den kommenden Tag nutzte ich um mich etwas mit Land und Kultur zu beschäftigen, daher folgen jetzt erstmal ein paar Impressionen.

Mit Blick auf die zunehmende Kommerzialisierung und der extremen Vermarktung hat der Weltfußball für mich in den letzten Jahren immer mehr an Reiz verloren. Der FIFA geht es seit Jahrzehnten nur noch um dieses Höher, Schneller, Weiter. Der Fußball verhält sich dabei als die sogenannte eierlegende Wollmilchsau und wird mehr und mehr ausgeschlachtet. Ich habe schon seit langem mit dem hochtrabenden Profifußball abgeschlossen, ich habe kein Interesse an der Champions League, keinen Lieblingsverein in der Bundesliga und erst recht keine Antwort auf die mir hier in Japan so häufig gestellte „Messi oder Ronaldo“-Fragestellung. Das alles ist mir herzlich egal.

Meine Leidenschaft


Mein Lieblingsverein ist Energie Cottbus, sie pendeln seit Jahren zwischen der Dritt- und Viertklassigkeit und schrammten in den vergangenen Jahren ums ein oder andere Mal an der drohenden Insolvenz vorbei. Hier bekomme ich meine Papiereintrittskarte und kann in bar für mein regionales Bier und die Bratwurst bezahlen. Man kann auch sagen, dass ich immer ein Herz für die Underdogs hatte, die Vereine die mit wenigen Mitteln viel erreicht haben und meist den etwas beschwerlichen Weg gehen mussten.
Aus diesen Gründen schien ich genau am richtigen Platz zu sein. Unter der Schirmherrschaft der FIFA duellierten sich die schwächsten Nationalmannschaften der Welt, deren Spieler teilweise als Bauern oder Fischer arbeiten und nebenbei für ihr Land alles geben, in der Hoffnung, eines Tages das Wunder einer WM-Qualifikation zu erreichen.

Klassentreffen im Paradies

Anders als in Europa werden die WM-Qualifikationsspiele hier an einem Wochenende in ein und demselben Stadion nacheinander durchgeführt. Es verbringen also alle vier teilnehmenden Nationen samt ihrer Anhängerschaft etwa eine Woche auf der gleichen Insel. Das bildete eine ziemlich angenehme Atmosphäre auf Samoa. Das Land ist ziemlich klein, besteht grob gesagt aus zwei Hauptinseln und hat 160.000 Einwohner. Für eine Woche etwa kommen die Nationalmannschaften in die Hauptstadt, um die Spiele zu bestreiten, weshalb das Leben in der Hauptstadt sehr aufregend ist. Es hatte Vibes von der Heim-EM in Deutschland, denn es treffen in einem kurzen Zeitraum viele Kulturen und fröhliche Menschen aufeinander, die ihr Land vertreten wollen. Natürlich nur im minimalen Maßstab.

Es gibt tatsächlich ein Ereignis, dass vielen Fußballfans ein Begriff ist und welches wohl wie kein anderes für den Sport in Ozeanien steht. Ein Spiel in der ozeanischen WM-Qualifikation aus dem Jahre 2001, welches aus den Rekord- und Geschichtsbüchern nicht mehr wegzudenken ist. Ein Ereignis, das selbst Hollywood aufhorchen ließ.

Die Jahrhundertniederlage

Am 11. April 2001 fand im Rahmen der Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft das Spiel zwischen Australien und Amerikanisch-Samoa statt. Australien trat mit vielen Stars an, die in europäischen Spitzenvereinen unter Vertrag standen, während das Außengebiet der USA mit einer reinen Amateurmannschaft und einem Altersdurchschnitt von 18 Jahren antrat. Erwartungsgemäß fertige Australien den Gegner ab, jedoch in einem noch nie da gewesenen Ausmaß. Nach 90 Minuten stand ein Ergebnis von 31:0 auf der Anzeigetafel im „international Sports Stadium“ von Coffs Harbour. Das Spiel entfachte eine große Diskussion über die Gleichberechtigung beim ozeanischen Fußballverband, weswegen Australien daraufhin in den asiatischen Verband wechselte.

An diesem Tag hütete der 20-jährige Nicky Salapu das Tor des Underdogs, welche zudem als Torhüter mit den meisten Gegentoren in einem offiziellen Länderspiel in die Geschichte einging. Nicky Salapu lebt aktuell in einem kleinen Fischerdorf auf Samoa und ist noch immer Kapitän und Nationalspieler von Amerikanisch-Samoa, natürlich gilt er nach wie vor als große Legende.
Auch für mich ist er ein absolutes Vorbild, eine Identifikationsfigur und eben einfach einer der nie aufgegeben hat.

Als ich ihn nach einem Foto fragte war ich sehr aufgeregt, im Grunde ist er auch einfach nur ein ganz normaler Spieler, aber irgendwie doch eine kleine weltweite Berühmtheit. Er war sehr freundlich und fragte mich wie mir seine Wahlheimat Samoa gefällt und wo ich her sei, es war ein schöner Moment für mich. Seine Geschichte wurde in der amerikanischen Sportkomödie „Next Goal Wins“ thematisiert, in der es darum geht, dass Amerikanisch-Samoa lange Zeit als schlechteste Nation im Weltfußball angesehen wurden, da sie erst im Jahre 2011 ihren allerersten Sieg feiern konnten.
Der Film berichtet auch über das Schicksal einer weiteren ganz besonderen Person, dich ebenfalls persönlich treffen durfte.

Jaiyah Saelua gilt als eine solche Fa’afafine. Sie heißt ursprünglich John und kam als letztes Kind einer Familie mit fünf Söhnen zur Welt. In der samoanischen Kultur ist es gängig, dass in solch einem speziellen Fall, wenn die Familie nur Söhne und keine Töchter hat, immer ein Kind als Mädchen erzogen und behandelt wird. Somit war ihr Weg früh geebnet. Für mich war das relativ schwer zu verstehen, ich fand es etwas ungerecht so in das Leben eines Menschen einzugreifen, nur weil man gern ein Mädchen in der Familie gehabt hätte. Allerdings ist es in der Kultur weit verbreitet und toleriert.

Die Welt der Fa’afafine


John wurde also schnell zur Jaiyah und musste mit Puppen statt Autos spielen. Ziemlich früh wurde ihr jedoch sportliches und vor allem fußballerisches Talent nachgesagt, welches auf der kleinen Insel mit weniger als 50.000 Einwohnern auch stets gefördert und verlangt wurde. Es kam wie es kommen musste und als geborener Mann bat sich ihr nur die Möglichkeit für die amerikanisch-samoanische Nationalmannschaft der Herren zu debütieren. Im Alter von 15 Jahren spielte sie 2004 sein erstes Länderspiel und ist somit die erste Fa’afafine im Weltfußball. Das wurde schnell publik gemacht, sodass ich 2010 einen Zeitungsartikel darüber las und Jaiyah Saelua von da an mit großem Interesse verfolgte. Jaiyah war sozusagen die erste Lady im männlichen Profifußball und hat sich nebenbei als beinharte Verteidigerin etabliert.

Fanfoto mit Spielerin
Im Anschluss unseres Gesprächs schenkte sie mir eine Flagge Amerikanisch-Samoas, mit der ich dann ihr Land supporten konnte.

Sie hat beim ersten Sieg des Landes 2011 über Tonga in der letzten Sekunde den Ausgleichstreffer durch eine Rettungsaktion auf der Linie verhindert und seit spätestens diesem Moment Legendenstatus. Mittlerweile hat sie ihre Karriere beendet und den Prozess der geschlechtsangleichenden Operation abgeschlossen. Heute lebt sie als Frau, sowohl in ihrem Körper als auch in ihrer Identität und wurde erst kürzlich von der FIFA in den elitären Kreis der Legends benannt. Auf Samoa konnte ich sie treffen und ein paar Worte mit ihr wechseln.

Englische Härte

Das Turnier wurde an zwei Tagen komplett ausgespielt, um den Sieger für die kommende Runde zu ermitteln. Aufgrund der komplizierten Flugverbindungen entschied ich mich nur für den ersten Spieltag, an dem ich die Spiele zwischen Tonga und Cookinseln, sowie das samoanische Derby zwischen Amerikanisch-Samoa und Gastgeber Samoa verfolgen konnte. Der Eintritt war frei, allerdings gab es dafür auch keine Eintrittskarte oder gar Verpflegungsstände, was etwas enttäuschend war. Das erste Spiel zwischen Tonga und den Cookinseln fand vormittags statt, das führte dazu, dass es nur wenige Schaulustige anzog. Was mir schnell auffiel, war zum einen das unorganisierte Auftreten beider Teams, aber auch das überharte Einsteigen in vielen Zweikämpfen. Man merkte schnell dass es alle Beteiligten sehr ernst nahmen. Andererseits haben die Schiedsrichter aber auch sehr locker gepfiffen und trotz Handgreiflichkeiten oder rüdem Foulspiels nur im seltendsten Fall eine Karte gezeigt.

Die 10 mitgereisten Cook Islander sorgten trotz Niederlage für eine ausgelassene Stimmung.

Kurz nach dem Anpfiff erschien noch eine samoanische Schulklasse, die die Atmosphäre etwas auflockerten, indem sie beide Teams anfeuerten. Tonga gewann das Spiel etwas überaschend mit 3:1 und qualifizierte sich somit für das Finale, welches drei Tage später stattfinden sollte.

Im zweiten Spiel setzte sich der Favorit und spätere Turniersieger Samoa mit 2:0 gegenüber dem kleinen Rivalen hinter der Datumsgrenze durch. Amerikanisch-Samoa wurde dabei von unzähligen mitgereisten Fans unterstützt und auch nach dem Spiel stark bejubelt. Das schien wohl Wirkung gezeigt zu haben, denn am zweiten Spieltag gewann Amerikanisch-Samoa tatsächlich mit 2:1 gegen die Cookinseln, was den ersten Sieg seit 9 Jahren bedeutete. Nicky Salapu feierte wohlgemerkt an diesem Tag seinen insgesamt vierten Sieg mit der Nationalmannschaft in seiner fast 24 Jahre andauernden Karriere als Torhüter von Amerikanisch-Samoa. Man kann sich vorstellen, was ihm dieser Sieg bedeutet hat.

So hart die Spiele auch geführt wurde, so ausgelassen und herzlich war die Stimmung danach. Plötzlich waren alle Freunde, obwohl man sich während des Spiels beinahe tätlich angegriffen hatte. Aber genauso soll es ja auch sein.
Ich bin auf alle Fälle sehr glücklich mir damit einen kleinen Traum erfüllt und dieses tolle, aber kleine Land einmal besucht zu haben.

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