26. September 2022
Seit Mitte August studiere ich an der Universidade Sao Paulo, der USP. Was dabei anders ist zu meinem vorherigen Studium in Deutschland, von Noten über Sprachbarrieren bis zum Campusalltag beantworte ich euch hier.
In diesem Blog-Beitrag möchte ich gerne meine Erfahrungen an meiner Gastuniversität mit euch teilen. Nach einer kurzen Erklärung, was ich eigentlich studiere, werde ich ein bisschen über meine Seminare schreiben und alles, was damit zusammenhängt wie Sprachbarrieren, Unterschiede in der Lehre und das Notensystem. Im zweiten Teil werde ich dann ein wenig mehr auf das Campus-Leben eingehen und versuchen, Dinge zu beantworten, die weniger mit der Lehre zu tun haben. Also – vamos, los gehts!
Was studiere ich eigentlich?
In Deutschland studiere ich Kultur- und Politikwissenschaften an der Leuphana-Universität in Lüneburg. Dieser Studiengang ist sehr offen und individualisierbar und Schwerpunkte können selbst gewählt werden. In meinem Fall bedeutet das, dass ich mich mit vielen verschiedenen sozialwissenschaftlichen Fragen und mit kultureller Praxis beschäftige. Ich weiß, das klingt noch immer sehr abstrakt! Wenn ihr also mehr über den Studiengang erfahren wollt, schaut euch doch einmal hier die Website der Leuphana an oder schreibt mir eure Fragen direkt.
Außerdem habe ich die letzten drei Jahre in verschiedenen Redaktionen beim Fernsehen, beim rbb sowie beim NDR gearbeitet und interessiere mich sehr für Journalismus.
An der USP bin ich an der Fakultät für Kunst und Kommunikation eingeschrieben, dabei belege ich Kurse aus verschiedenen Bereichen. Und das führt auch schon ganz gut meine erste Erfahrung hier ein:
So viel Auswahl!
Austauschstudierende an der USP haben die Möglichkeit, Seminare an allen Fakultäten der Universität zu besuchen. Als ich das herausgefunden habe, habe ich mich wie ein Kind an Weihnachten gefühlt und erst einmal alle Kurse besucht, die ich interessant fand. In der dritten Woche musste ich mich dann entscheiden, ob ich mich offiziell in dem Kurs registrieren wollte oder nicht. Dabei ist es in Brasilien aber anders als in Deutschland und nicht möglich, später im Semester noch aus den Kursen austreten. Die Wahl ist dabei wirklich sehr frei, es gibt bloß ein paar einzelne Seminare, die im Zugang limitiert sind und im Zweifelsfall ist es immer möglich, mit den Dozierenden zu reden.
So viel Auswahl führt aber auch schnell dazu, dass Austauschstudierende zu viele Kurse wählen, findet deshalb unbedingt am Anfang des Semesters heraus, wie die Prüfungen sind und wie hoch die Arbeitslast ist.
Mein Stundenplan
Ich habe mich für sechs Seminare entschieden, von denen vier an der ECA in journalistischen und sozialwissenschaftlichen Bereichen sind. Weitere zwei Kurse sind am psychologischen Institut im Bereich Anthropologie/Psychologie. Bisher bin ich sehr zufrieden mit meiner Kurswahl und bin froh über die Gelegenheit, in weitere Fächer reinschnuppern zu dürfen. Die Seminare dauern unterschiedlich lang zwischen zwei bis zu vier Stunden. Das kann manchmal ganz schön anstrengend werden, denn selbst bei vier Stunden gibt es meistens nur eine Pause! Allerdings ist die Kultur in den Seminaren hier sehr entspannt und so kann jederzeit der Raum verlassen werden. Einige meiner Kommiliton*innen holen sich während des Seminars sogar Kaffee.
Studieren in meiner dritten Fremdsprache
An meiner Universität ist die Lehre vollständig auf Portugiesisch. Offiziell müssen zwar alle Studierenden Englisch sprechen können und es kann vorkommen, dass Professor*innen mal ein einzelnes Seminar auf Englisch halten, wenn internationale Gastdozierende vor Ort sind. In den eineinhalb Monaten, die ich hier bin, ist das bisher aber nur in einem Seminar passiert. Auch die Texte, die wir lesen, sind vollständig auf Portugiesisch.
Was das Verständnis in den Seminaren und beim Lesen angeht, ist das bisher kein Problem für mich. Allerdings frustriert es mich manchmal, wenn ich Texte schreiben muss und bemerke, dass ich sie viel besser auf Deutsch schreiben könnte. Und auch das E-Mailschreiben macht mich manchmal noch nervös – wie formal ist zu formal und wie persönlich ist zu persönlich?
Meine Tipps, um den Uni-Alltag in einer Fremdsprache zu absolvieren:
- Downloadet euch ein offline Wörterbuch wie dict.cc
- Legt euch eine Liste mit verbindenden Wörtern an, die häufig in wissenschaftlichen Texten vorkommen, um eure Texte natürlicher klingen zu lassen.
- Sucht online Synonyme, um euer Vokabular in den Texten breiter zu gestalten, oder eure Artikel wissenschaftlicher klingen zu lassen.
- Lernt das Schreiben am Computer in der benötigten Fremdsprache am besten vor eurem Auslandssemester.
- Nehmt euch ein kleines Vokabelheft mit oder notiert euch neue Wörter auf eurem Handy.
- Lasst einen Muttersprachler, oder eine Muttersprachlerin Korrektur lesen. Das ist unangenehm, aber versucht, das wenigstens einmal, ihr müsst das nicht jedes Mal machen. Es hilft aber auch beim Schreiben weiterer Texte auf einen bereits Korrigierten zurückkommen zu können. Denkt daran, dass auch Struktur und Formatierung von Texten in eurem Gastland anders sein kann, es ist daher gut zu wissen, wie Muttersprachler*innen ihre Texte schreiben.
- Keine Angst vor Wissenslücken oder Fehlern! Sowohl die Dozierenden als auch die Studierenden wissen, dass das Studium auf einer Fremdsprache hart ist, und werden Verständnis haben. Eure Beiträge in Seminaren müssen also nicht perfekt sein 🙂
Praxis statt nur Theorie, zuhören statt diskutieren
Bisher habe ich die Erfahrung gemacht, dass in den Seminaren an der USP ein größerer Wert auf praktische Erfahrungen gelegt wird. Ich habe beispielsweise in einem Seminar die Chance, auf eine Studienreise zu einer Caiçara-Gemeinde (eine indigene Gruppe) für ein paar Tage nach Rio de Janeiro zu reisen. In meinem Seminar zu Fotojournalismus machen wir die Fotos für die Uni-Zeitschrift und kommen so je nach Thema mit zu Interviews oder auf Demos, um dort zu fotografieren. In einem anderen Seminar wiederum sind wir dazu aufgefordert, selbstständig Kontakt zu unserem Feld herzustellen und darüber Projektberichte zu schreiben.
Gleichzeitig sind die Seminare selbst eher wie die deutschen Vorlesungen angelegt. Es besteht zwar mehr Interaktion zwischen Studierenden und Dozierenden als in Vorlesungen, allerdings entstehen kaum lange Diskussionen, was ich manchmal schade finde.
Matutinas oder Noturnas?
Studiengänge in Brasilien werden unterteilt in matutino und noturno. Matutino bedeutet, dass die Seminare tagsüber sind und noturno, dass die Seminare abends und nachts stattfinden. Dies soll Studierenden, die tagsüber arbeiten müssen, die Chance geben, trotzdem eine Universität zu besuchen. Als Austauschstudierende müssen wir uns nicht für eines von beidem entscheiden, so wie die regulär eingeschriebenen Studierenden. Es wird uns aber empfohlen, vor allem Seminare tagsüber zu besuchen, da die Wege in die Uni und auf dem Campus nachts weniger sicher sind.
Anwesenheitschecks und Notensystem
In Brasilien besteht Anwesenheitspflicht! Wenn ich als ein Seminar zu häufig verpasse, falle ich automatisch durch. Es ist daher wichtig, dass ihr herauszufinden, wie häufig ihr fehlen dürft und ob die Seminarleitenden Anwesenheitslisten führen.
Das Notensystem in Brasilien geht von null bis zehn, wobei zehn die beste Note ist. Die Punkte, die in den verschiedenen Seminaren verteilt werden, sind dabei nicht einheitlich geregelt. Und so vergeben einige Fakultäten mehr Punkte und andere weniger. Es ist deswegen sehr wichtig, in Erfahrung zu bringen, wie viel Arbeitsaufwand tatsächlich hinter einem Seminar steht, sonst könnt ihr euch schnell überfordern.
So, jetzt ein wenig über das Campus-Leben an der USP:
Vamos bandejar – auf in die Mensa!
Die Mensa, das bandejão wie es in São Paulo heißt, ist zentraler Treffpunkt für alle Studierenden. Nach den Seminaren am Morgen gehen fast alle in kleinen Gruppen zusammen Mittagessen. Dabei gibt es immer die brasilianische Basis: Bohnen, Reis und einen Salat. Dazu ein vegetarisches und ein Fleischgericht sowie ein Stück Obst. Und das Ganze kostet nur zwei Reais, umgerechnet 40 Cent! Das ist auch für lokale Preise extrem günstig und eine soziale Maßnahme der Uni.
Für viele ausländische Studierende ist die Menge an Bohnen mit Reis am Anfang eine kleine Herausforderung. Ich habe mich aber sehr schnell daran gewöhnt und wenn ich mittlerweile ein paar Tage keine Bohnen esse, habe ich das Gefühl, es würde etwas fehlen.
Die Universität, die eine Stadt ist
Die USP ist die größte Universität Brasiliens und so wird der Haupt-Campus auch „cidade unversitaria“ – Universitätsstadt genannt. Dabei gibt es acht verschiedene Campusse in dem gesamten Bundesstaat! Insgesamt hat die USP fast 100.000 Studierende und über 5.000 Dozierende. Das bedeutet, dass es an der Universität vieles zu entdecken gibt – aber auch viel zu laufen. Obwohl ich in nur zehn Minuten auf dem Campus bin, dauert es dort noch einmal mehr als 20 Minuten, bis ich in meiner Fakultät ankomme!
Grüner Campus mit vielen Angeboten
Der Vorteil ist aber, dass es ein riesiges Angebot an Aktivitäten gibt. Neben verschiedenen Grünflächen, einem riesigen Stadion und großen Sportplätzen, gibt es so auch mehrere Schwimmbecken. Außerdem gibt es ein Kino, verschiedene Ausstellungen und Museen wie das Archäologische und Ethnologische Museum oder das Museum der Ozeanographie. Außerdem gibt es ein Krankenhaus und eine Tierklinik, wo Behandlungen für umsonst oder geringe symbolische Preise angeboten werden.
Ich liebe die USP
Ich liebe die USP und verbringe sehr gerne Zeit auf dem Campus. Bisher bin ich sehr zufrieden mit meinen Seminaren und habe den Eindruck, etwas über Themen lernen zu können, die in Deutschland weniger Relevanz haben wie indigenes Wissen oder eben die landeseigene Geschichte Brasiliens. Daher habe ich das Gefühl, über meine Seminare meiner Mission „Brasilianisch für Fortgeschrittene“ noch ein wenig näher zu kommen, den ich lerne zurzeit neben Portugiesisch sehr viel über das Land, seine Politik und Geschichte.