2. Juli 2022
Wie verschieden kann das Unileben schon sein in Brasilien? Nach zwei von drei Monaten des Semesters kann ich euch nun schon gut berichten, was mich hier an der UFSC in Florianópolis überrascht hat und was ich von meiner Heimatuni in Augsburg vermisse.
Nach meinen ersten zwei spannenden Wochen in Brasilien hat das Semester Ende April offiziell angefangen. Dadurch, dass einige meiner im Voraus gewählten Kurse nicht mehr angeboten wurden oder sich überschnitten haben, habe ich fast jedes Büro im Gebäude für Sprachen besucht. Anders als an der Uni Augsburg, konnte ich mich nicht einfach online in Kurse ein- oder austragen, sondern musste innerhalb eines bestimmten Zeitraums ein ausgefülltes Formular abgeben. Nachdem ich die zugegeben chaotischen administrativen Probleme geklärt hatte, konnte ich richtig ins Semester starten.
Bin ich wieder in der Schule gelandet?
Im Gegensatz zu Hörsälen und Seminarräumen habe ich den Fuß in ein Klassenzimmer gesetzt mit kombinierten Stuhl-Tischen (siehe Bild) und fühlte mich direkt zurückkatapultiert in meine Schulzeit. Doch nicht nur die Ausstattung der Räume gab mir dieses Gefühl: 75% aller Stunden muss man anwesend gewesen sein, andernfalls fällt man direkt durch. Die Anwesenheit wird genauso gewichtet wie Mitarbeit und die benoteten Hausaufgaben während des Semesters zählen auch zur finalen Note dazu. Im Krankenfall kann man ein ärztliches Attest vorlegen und die Abwesenheit wird nicht gewichtet. Gerade an dieser Stelle habe ich die Flexibilität von Deutschland schon oft vermisst, schließlich kommt es hin und wieder einmal vor, dass ein Termin genau auf die Kurszeit fällt und mit einer kurzen E-Mail zum Dozenten ist dann alles geklärt. Im Gegensatz zu meiner Heimatuni verwenden die meisten Studierenden keine Laptops oder Tablets während der Kurse, sondern machen ihre Notizen handschriftlich. Für mich wäre das nicht vorstellbar!
Viel Arbeit, wenig ECTS
Mein Vorhaben, nur zwei Kurse zu belegen, hat sich in Wahrheit doch in eine andere Richtung entwickelt. Jede Disziplin hat, abgesehen von wenigen Ausnahmen, zwei Wochenstunden à 100 Minuten. Dadurch war mein Stundenplan auch nur mit dem Minimum von Kursen im Wert von 15 verpflichtenden ECTS doch voller als gedacht! Während ich hier für einen Kurs doppelt so viel Zeit in Vorlesungen verbringe, muss ich vorbereitend circa jede zweite Woche eine benotete Aufgabe einreichen. Zusätzlich würde ich sogar noch weniger ECTS erhalten als in einem entsprechenden Kurs in Augsburg. Das positive an den Zwischenprüfungen und der laufenden Evaluation: Semesterende bedeutet Ferienbeginn und nicht wie so oft in Deutschland der Anfang von Hausarbeiten. Das Phänomen, dass manche Studenten nie zur Vorlesung erscheinen und am Ende des Semesters die Prüfung schreiben, konnten meine brasilianischen Kommilitonen nicht so recht glauben.
Campusleben einer anderen Klasse
Zwar konnte ich wegen der vielen Online-Semester an der Uni Augsburg nicht viel Campusleben erfahren, bekomme dafür aber hier das Komplettpaket! Dabei muss aber auch erwähnt werden, dass die der Campus der UFSC um einiges größer ist und auch 30.000 eingeschriebene Studierende im Vergleich zu knapp 20.000 eingeschriebenen Studierenden an der Uni Augsburg gibt. Bei der Größe des Campus gibt es mehrere Cafés für einen Snack zwischendurch und das sogenannte RU (Restaurante Universitário). Mittags und abends kann man dort als Studierende für umgerechnet circa 30 Cent so viel essen, wie auf einen Teller passt. Falls man aber nicht mehrmals in der Woche Reis mit Bohnen essen möchte, kann man beim Wochenmarkt mittwochs sich an dem vielfältigen kulinarischen Angebot erfreuen und zwischen den handwerklichen Ständen schlendern.
Wenn man sich vom Präsenzunterricht und dem lebendigen Campus sozial noch nicht ausgelastet fühlt, kann man immer noch eine (oder beide) der zwei wöchentlich ausgerichteten Studentenparties besuchen. Außerdem gibt es unzählige studentische Initiativen, Veranstaltungen und ein breites Sportangebot. Als am Anfang des Semesters das neue Universitätsoberhaupt gewählt wurde, haben Freiwillige von Raum zu Raum Werbung während der Kurszeiten gemacht. All diese Eindrücke vermitteln mir das Gefühl, dass Studierende hier gerne viel Zeit auf dem Campus verbringen.
Zwischenfazit: lieber in Deutschland oder Brasilien studieren?
Auch wenn das Arbeitsaufkommen hier, geschuldet der minimalen Stundenzahl, höher als an der Uni Augsburg ist, gehe ich hier gerne zur Uni. Die Zwischenprüfungen wirken meiner Prokrastination sehr entgegen und haben auch noch einen weiteren positiven Effekt: die letzte Klausur am Ende des Semesters beinhaltet nicht den ganzen Stoff des Semesters und man hat folglich weniger Stoff vorzubereiten. 😉 Aktuell genieße ich mein Auslandsstudium sehr und bin froh, es hier in Brasilien erleben zu dürfen statt in Deutschland. Letzten Endes kann ich keine eindeutige Antwort geben auf die Frage, wo ich lieber studieren wollen würde. Beide Unisysteme haben ihre Vorteile und die Mischung ist für mich persönlich die beste Entscheidung. 😊