1. November 2020
Eines meiner größten Ziele hier im Ausland ist es, die Kultur und die Sprache zu lernen und zu leben. Meine Uni in Lissabon bietet dieses Jahr das erste Mal ein Tandem-Programm an und ich habe direkt zugeschlagen.
Für diejenigen unter euch, denen Tandem kein Begriff ist, hier eine kurze Erklärung zu Beginn und wie das Ganze abläuft:
Ein Tandem ist zwar auch der Name für ein Fahrrad für zwei Personen, aber in diesem Fall geht es um etwas anderes. An dem Begriff Tandem haftet die Bedeutung „miteinander“. Das Tandem-Programm der Universidade Católica Portuguesa (UCP) möchte die StudentInnen nicht zum Fahrradfahren motivieren, sondern zum gemeinsamen Lernen einer Sprache. Das ist eine immer beliebter werdende Sprachlernmethode, bei der sich zwei Menschen mit unterschiedlicher Muttersprache zusammentun und sich gegenseitig beim Lernen helfen.
So funktioniert Sprachtandem
Ich möchte Portugiesisch lernen, also habe ich das Formular für das Tandem-Programm ausgefüllt und angegeben, welche Muttersprache ich spreche und eben auch, welche Sprache ich gerne lernen möchte. Die Uni hat sich dann darum gekümmert, dass ich einem Tandempartner zugeordnet werde, der Deutsch lernen möchte und dessen Muttersprache Portugiesisch ist. Zudem hatte ich die Möglichkeit, meine Interessen und Hobbys anzugeben, damit ein passender Partner mit ähnlichen Interessen ausgewählt werden kann.
So wurde ich dann mit Maria zusammen gebracht. Sie ist Portugiesin, aufgewachsen in der Nähe von Lissabon und spricht etwa genauso gut Deutsch wie ich Portugiesisch. So wie ich hat sie diesen Sommer mit dem surfen angefangen, ist allgemein sportbegeistert und reist leidenschaftlich gern. Aber wie geht es nach dem perfekten Match weiter?
Das erste Tandem-Treffen
Wie der Zufall es so will haben Maria und ich einen gemeinsamen Kurs, wir haben uns also zuvor bereits gesehen, jedoch noch nie miteinander gesprochen. Maria hat mir zu Beginn eine E-Mail geschrieben, die Uni hat unsere Kontaktdaten der jeweiligen Person weitergegeben, um die Kontaktaufnahme zu vereinfachen. Wir haben dann Nummern ausgetauscht und uns direkt ein paar Tage später verabredet. Wir sind für unser erstes Tandem-Treffen in ein Café gegangen, das in der Mitte zwischen unseren beiden Wohnorten liegt.
Am Anfang haben wir uns erstmal auf Englisch unterhalten, damit wir uns ein wenig kennenlernen konnten. Wir haben über unser Studium gesprochen, Dinge, die wir gerne in der Freizeit machen und von unserer Familie erzählt. Dabei haben wir einige Gemeinsamkeiten festgestellt. Wir beide kommen aus einer großen Familie. Maria wollte, wie ich, eigentlich nicht „Medien und Kommunikation“ studieren, jedoch haben unsere beiden Eltern uns geraten erstmal etwas „Normales“ auszuprobieren. Maria wollte Schauspielerin werden, ich damals nach dem Abitur Modedesign studieren. Da wir beide das Surfen für uns entdeckt haben, haben wir auch gleich beschlossen, dass wir mal zusammen zum Strand fahren. Denn einer Tandem-Partnerschaft sind keine Grenzen gesetzt, man kann eigentlich alles machen, was man möchte und ganz nebenbei die Sprache des anderen lernen.
Die Sprache mit einem Muttersprachler lernen
Nachdem wir genug gequatscht hatten, überlegten wir uns ein kleines Konzept, wie wir am besten zusammen lernen könnten. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir erst eine halbe Stunde Deutsch sprechen und dann eine halbe Stunde Portugiesisch. Dabei haben wir über die Themen gesprochen, die wir aktuell in unserem Sprachkurs durchnehmen. In ihrem Fall sind das derzeit Feiertage und bei mir der Klimawandel. Dass ich schon ein etwas schwereres Thema im Sprachkurs durchnehme liegt daran, dass leider kein Kurs mit dem Level A2 angeboten wird und ich deshalb direkt in den Kurs mit Sprachniveau B2 gekommen bin. Ich muss zugeben, dass ich leider mit dem Anspruch ein wenig überfordert bin und dadurch strengt mich das Lernen noch mehr an. Ich hoffe aber, dass ich durch die Treffen mit Maria den fehlenden Stoff leichter nachlernen kann.
Wenn man jemandem seine Muttersprache beibringen möchte, muss man geduldig sein und sich trauen, den anderen zu verbessern und ihm vielleicht Tipps zu geben. Vor allem am Anfang muss man sich erst ein wenig einstimmen, denn einen richtigen Dialog zu führen ist ganz anders als im Unterricht. Eine gute Übung, die wir ausprobiert haben, war zum Beispiel die Dinge im Café zu benennen. Das hört sich erstmal sehr simpel an, aber Maria konnte so gut den Unterschied zwischen die, der und das üben. Ich habe da tatsächlich noch nie bewusst darüber nachgedacht, aber die richtigen Artikel zu setzen ist auf Deutsch deutlich schwieriger als auf Portugiesisch. Auf Portugiesisch ist es sogar recht eindeutig mit der Endung, zum Beispiel heißt „der Tisch“, im Deutschen männlich, auf Portugiesisch heißt es „a mesa“ und ist feminin. Das erkennt man eindeutig an der Endung -a, solche Endungen im Deutschen haben wir leider nicht.
Danach haben wir einen Text aus ihrem Deutschbuch gelesen. Ich habe sie korrigiert und ihr Wörter erklärt, wie beispielsweise was ein „Christkind“ ist. Das haben wir auch gleich als Anreiz dafür genommen, über die unterschiedlichen Weihnachtstraditionen in Deutschland und Portugal zu sprechen.
Die Tandem-Vorteile
Tandem ist mehr als nur Sprache lernen, es bringt viele unterschiedliche Vorteile mit sich, vor allem für Austauschstudentinnen, wie mich.
Kultur direkt erleben
Es gibt keine bessere Möglichkeit, eine fremde Kultur zu erleben, als durch jemanden, der in dieser Kultur aufgewachsen ist und lebt. Es sind die kleinen, feinen Unterschiede die uns kulturell prägen und die wir, ohne es zu bemerken, in uns aufnehmen. Zum Beispiel habe ich an diesem Tag von Maria gelernt, dass in Portugal die Geschenke nicht unter den Weihnachtsbaum gelegt werden. Manche Portugiesen tauschen die ihre Geschenke erst am Morgen des 25. Dezember aus oder sogar erst am sechsten Januar, dem Dreikönigstag. Obwohl wir beide mit der christlichen Tradition aufgewachsen sind, haben wir sie dennoch ein wenig anders erlebt. Ein Christkind kam bei Maria noch nie vorbei.
Lernen ohne Prüfungsdruck
Ich tue mich nicht so leicht damit, eine neue Sprache zu lernen. Vor allem in dem fortgeschrittenen Sprachkurs komme ich manchmal nicht mit und traue mich nicht, zu sprechen. Mit Maria habe ich weniger Hemmungen tatsächlich zu reden und sie gibt mir viel Bestätigung und dadurch auch Sicherheit.
Eine Freundschaft entwickeln
Vor allem in der aktuellen Situation, in der Social Distancing angesagt ist, ist es nicht so leicht, als Austauschstudentin in einem anderen Land neue Leute kennenzulernen. Damit das Sprachenlernen mit Tandem auch funktioniert, ist es ratsam, sich regelmäßig zu treffen. Maria und ich wollen uns fest an einem Tag der Woche für ein bis zwei Stunden treffen. Zusätzlich haben wir auch gesagt, dass wir uns unregelmäßig am Wochenende treffen können, um beispielsweise gemeinsam zum Surfen zu gehen oder ins Kino. Eine Tandem-Partnerschaft legt also bereits die ersten Grundsteine für eine Freundschaft und ich bin zuversichtlich, dass Maria und ich uns weiterhin gut verstehen werden.
Aktuell sind die Corona-Vorsichtsmaßnahmen in Portugal, im Gegensatz zu Deutschland noch eher milde. Die Restaurants und die Bars dürfen bis Abends noch geöffnet bleiben und so haben Maria und ich viele Möglichkeiten uns zu treffen. Sollte sich die Situation in den nächsten Wochen verschärfen, werden wir wahrscheinlich unsere Treffen auf Zoom oder Skype verlegen, auch wenn der eine Teil der Tandem-Erfahrung von persönlichen Treffen lebt.