9. Dezember 2019
Eigentlich sollte ich gerade in der Uni sein und eine Prüfung schreiben. Stattdessen sitze ich jetzt in einem Café und schreibe diesen Artikel, denn die Universität ist mit Mülltonnen verbarrikadiert. Wie es dazu kam? Lest selbst…
Emmanuel Macron hat eine neue Rentenreform geplant, die das System vereinheitlichen und Vorrechte für viele Berufsgruppen abschaffen soll. Dabei soll jeder, unabhängig von Beruf, Arbeitgeber und Branche eine Rente erhalten, die den eingezahlten Beträgen entspricht. Das jetzige System ist nämlich aufgrund langer Rentendauern nur schwer finanzierbar.
Deshalb haben die Gewerkschaften der Eisenbahn und öffentlichen Verkehrsbetriebe ab dem 5. Dezember einen unbefristeten Streik geplant. Dieser soll so lange dauern, bis Macron seine Reformpläne zurücknimmt. Hinzu kommen auch Lehrer und der gesamte öffentliche Dienst, da deren Rentenprivilegien durch die neue Reform beeinflusst werden. Auch der Gesundheitsbereich ist mit von der Partie und streikt zusätzlich gegen Kürzungen im Krankenhausbetrieb. Die Gelbwesten dürfen natürlich auch nicht fehlen und Frankreichs Studenten und Studentinnen streiken ebenso. Sie wollen speziell auf das Thema Studentenarmut aufmerksam machen. Jeder fünfte Student lebt in Frankreich unter der Armutsgrenze. Zudem auch auf Themen wie Rassismus, Polizeigewalt, Islamfeindlichkeit und Klassengesellschaft.
Am Mittwoch wurden alle Vorlesungen abgesagt, stattdessen wurde in der Uni der Streik vorbereitet, es gab Vorträge und Diskussionen.
Am Donnerstag war dann der große Generalstreik: Alle Straßen waren voll von Menschen mit Bannern und Parolen. Für mich war eine Demonstration in diesem Ausmaß mit dem Einsatz von Tränengas und unglaublich viel Polizeipräsenz neu, für Franzosen ist das wahrscheinlich etwas weniger besonders. Es waren fast drei Mal so viele Menschen auf den Straßen wie bei den Gelbwesten-Protesten vor einem Jahr, und es sind die größten Proteste in der Amtszeit von Präsident Macron.
Auch am Freitag fanden keine Vorlesungen statt, es wurde eine Generalversammlung abgehalten und bei dieser beschlossen, die Uni noch bis Dienstag zu blockieren. Dann soll es eine neue Generalversammlung geben, bei der Macrons Reaktionen zu dem Streik besprochen werden soll und eine weitere Blockade der Universität bis Weihnachten diskutiert wird.
Es bleibt also abzuwarten, ob der Streik noch bis Weihnachten oder darüber hinaus andauern wird.
Eigentlich hätte ich diese Woche drei Prüfungen, diese werden nun verschoben oder durch die Abgabe von Hausarbeiten per E-Mail ersetzt. An meiner Uni in Passau wäre dieses Szenario undenkbar, die Uni während der Prüfungsphase mit Mülltonnen zu blockieren und eine Unileitung, die dabei auf der Seite der Studierenden steht.
Es ist aber äußerst interessant, diese andere Mentalität mitzuerleben und zu sehen, wie sich Menschen aktiv für ihre Rechte einsetzen.
Frankreich ist und bleibt in jedem Fall das Land der Rebellion.
À bientôt!