26. Februar 2020
Ein historischer Augenblick für das Land: Saudi-Arabien ändert seine Einreisebestimmungen und bietet seit kurzem die Möglichkeit, sogenannte EVisa für einen Besuchsaufenthalt im Königreich zu beantragen. In drei einfachen Schritten bekommt man das Visum für umgerechnet 150 Euro, vom Computer zu Hause. Meist direkt für eine Länge von sechs bis zwölf Monaten und der Erlaubnis zum Multiple Entry. Dieses Visum können Menschen aus 49 Ländern beantragen, inklusive der Schengen-Staaten und den USA, Australien und Kanada. Was steckt dahinter?
Das Land im Wandel: Vision 2030
Das Land will sich öffnen und nicht mehr ausschließlich vom Öl abhängig sein. Bis 2030 sollen zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes vom Tourismus kommen. Dies ist eines der Ziele der sogenannten Vision2030. Bis zum Jahr 2030 will das Königreich sich stark modernisiert haben. Die Änderungen erstrecken sich über die Unterhaltungsbranche, dazu gehört der Bau von hunderten geplanten Kinos und Konzerthalten, über wirtschaftliche und gesellschaftliche Änderungen, darunter auch das Touristenvisum. Bis 2030 sollen die fast 350 Ziele in den verschiedenen Sektoren umgesetzt werden. Vor allem mit den Änderungen in Bezug auf den Tourismus stellt sich die Frage, ob das Land und die Gesellschaft darauf vorbereitet sind.
Urlaubsfeeling in Saudi-Arabien?
Die Hafenstadt Djidda, direkt am roten Meer, bietet eigentlich gute Voraussetzungen für einen sonnigen Strandurlaub. Tatsächlich gibt es Strände, die an den Wochenenden auch gut besucht sind. Hier unterscheiden sich die öffentlichen Strände, an der Corniche entlang, die nur von Männern oder Kindern genutzt werden dürfen und die privaten Strände. Diese liegen im Norden der Stadt und unterteilen sich in jene, die ausschließlich für Frauen zugänglich sind und in gemischte Strände (für beide Geschlechter), an denen man häufig (westliche) AusländerInnen findet. Offiziell ist es Saudis nicht erlaubt, diese Strände zu betreten. Preislich liegt der Eintritt, je nach Strand, zwischen 25 und 70 Euro pro Person. Hier können Frauen auch z.B. einen Bikini tragen.
Die Kleiderordnung
Die bisher bestehenden Kleidungs- und Verhaltensvorschriften nach dem konservativen wahabitischen Islamverständnis wurden im Zuge der Öffnung des Landes für Touristen abgeändert. Das Tragen einer Abaya (bodenlange Bedeckung für Frauen) ist nun keine Pflicht mehr, wobei ich bisher tatsächlich sehr selten eine Frau ohne Abaya gesehen habe. Dies kann natürlich vom jeweiligen Stadtteil abhängen, in einigen Cafés und Restaurants werden die Abayas auch geöffnet oder (sehr selten) ausgezogen. Eine Ausnahme bilden Veranstaltungen mit westlichem Publikum, mehrheitlich in Compounds, wo Abayas teilweise verboten sind und Einheimischen der Eintritt verwehrt wird. In dem Stadtteil wo ich lebe, der einen hohen Anteil von Einheimischen hat, kann ich beobachten, dass die Frauen dort sogar zum Großteil Niqab (Bedeckung, bei der nur die Augen sichtbar sind) oder schwarze, geschlossene Abayas mit einem normalen Hijab, tragen. Bunte, geschweige denn offene Abayas, sind eher die Ausnahme.
Bezüglich besonderer Hinweise zur Bekleidung rät das Auswärtige Amt: „Vermeiden Sie auffällige Kleidung und Zurschaustellung oder gar Verteilung christlich-religiöser Symbole.“ Als Leitfaden für potentielle Touristen hat das saudische Ministerium ein allgemeines Gesetz zur öffentlichen Ordnung hervorgebracht. Hier wird vor allem darauf hingewiesen, keine zu kurze Kleidung zu tragen, sowohl für Männer als auch Frauen. Ebenfalls werden eine Reihe von Geldstrafen aufgelistet, die man bei Nicht-Einhaltung der Regeln zahlen muss. Bußgelder in einer Höhe von bis zu 1500 Euro müssen bei zu aufreizender Kleidung, dem Spielen von Musik während der Gebetszeiten und öffentlicher Zurschaustellung von Zuneigung gezahlt werden. Dies gilt übrigens nicht nur für Saudis, sondern tatsächlich genauso für AusländerInnen.
Auch die Aufteilung in „Family section“ (für Frauen und Familien) und „single section“ (für Männer, bzw. Männergruppen) in Restaurants sind per Gesetz nicht mehr obligatorisch. Dies bleibt nun jedem Restaurantinhaber selbst überlassen. Wie ich allerdings beobachtet habe, ist die Aufteilung in den meisten Restaurants noch vorhanden. Oftmals sogar durch eine Mauer, mit zwei verschiedenen Eingängen getrennt, daher müsste sogar grundlegend in den Innenräumen ein kompletter Umbau stattfinden, was für viele Restaurantinhaber sicher auch eine Kosten- bzw. Aufwandsfrage wäre.
Aus meiner persönlichen Sicht von dem Leben hier vor Ort und aus Gesprächen mit Saudis kann ich sagen, dass es sicher noch einige Jahre braucht, bis das Land bereit für einen Touristenboom ist. Bis dahin muss wahrscheinlich noch einiges passieren, allerdings sind die Änderungen und Modernisierungsvorhaben schon der richtige Weg hierfür. Eine solche grundlegende Veränderung braucht allerdings Zeit und kann sicherlich auch kritisch sein, wenn sie unvorbereitet von heute auf morgen auf die Bevölkerung trifft. Aus Gesprächen mit jungen Saudi-AraberInnen konnte ich erfahren, dass der gesamte Wandel, zumindest in meiner Generation, begrüßt wird, es allerdings viel zu schnell ginge. Eine gute, saudische Freundin erklärte mir: „Der Wandel kam über Nacht. Natürlich freuen wir uns darüber, aber es ging zu schnell. Wir wissen nicht, was morgen passiert.“
BriWi
26. Februar 2020
Sehr schön geschrieben mit vielen Infos, die es sonst nicht zu lesen gibt und die einen persönlichen Eindruck aus diesem Land wiedergeben! Danke Inga