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Und plötzlich hört die Straße auf! Leben in einer geteilten Stadt

Vor genau drei Wochen bin ich in Nikosia angekommen. Drei Wochen an der Uni habe ich bereits hinter mir. Die Zeit vergeht wie im Fluge und es gibt so viel Neues zu entdecken. Dabei möchte ich euch aber von Anfang an mitnehmen. Es war nämlich – wie so oft – ein etwas turbulenter Start. Von zu viel Sonne, einem herrlichen Filmfestival, Zeit für mich selbst und dem Leben in einer geteilten Stadt.

Seit drei Wochen bin ich nun auf Zypern. Dass ich überhaupt angekommen bin, grenzt allerdings an ein kleines Wunder. Am letzten Tag meines kleinen Sommer-Kykladen-Abenteuers hatte ich es mit der Sonne nämlich ein klein wenig übertrieben – und mir prompt einen Sonnenstich eingefangen. Die Details der overnight Fährfahrt nach Athen erspare ich euch. Es sei nur so viel gesagt: Die meiste Zeit davon habe ich nicht an meinem Platz verbracht. Mit Medikamenten ausgestattet, hatte ich es letztendlich dann doch ins Flugzeug und von Larnaca nach Nikosia geschafft – um danach erstmal 15 Stunden am Stück zu schlafen und leider die Einführungsveranstaltung an der Uni zu verpassen. Aber alles nicht so tragisch, wie mir die ERAMUS-Beauftragte sogleich versicherte, erstmal gesund werden.

Kaum angekommen und schon ziemlich in love mit Nikosias Stadtbild – und den politischen Statements.

Ich musste also erstmal langsam machen und mich mit Schonkost und ein paar kleinen Spaziergängen durch die Altstadt begnügen. Dabei habe ich schnell bemerkt, Nikosia ist klein aber fein, alles konzentriert sich auf die sternförmige Altstadt: Veranstaltungsorte, Cafés, Bars, Museen – und ich wohne mittendrin und gleichzeitig dank der Dachterrasse doch irgendwie über den Dingen. Das tut mir im Moment so gut. In Berlin und Beirut hatte ich oft Distanzen von bis zu 45 Minuten, um Freund:innen zu treffen oder zu Veranstaltungen zu gehen. Hier brauche ich maximal 20 Minuten zu Fuß, selbst wenn es über die Grenze in den Norden geht.

Speaking of Grenzen …

Auch nach drei Wochen habe ich mich noch nicht daran gewöhnt, jedes Mal den Ausweis vorzeigen zu müssen und kurz „Niemandsland“ zu betreten, das immer noch von den Vereinten Nationen (UN) überwacht wird. Zu Beginn hatte ich sogar Gedanken wie: „Kann ich das überhaupt mit meinem Gewissen vereinbaren?“, schließlich ist der Norden faktisch besetztes Gebiet, das so nur von der Türkei anerkannt wird. Im Nachhinein schäme ich mich etwas dafür, denn wie so oft, ist das ganze Thema weitaus komplexer, als dass man es nur darauf reduzieren und damit eine Seite quasi boykottieren könnte. Doch dazu mehr in einem späteren Blogbeitrag zur Geschichte Zyperns seit den 1950ern.

Hier gehts nicht weiter – und das gleich in 5 verschiedenen Sprachen.
Bei meinen Streifzügen durch Nikosia ergeht es mir öfter so, dass die Straße auf einmal aufhört und stattdessen ein solches Schild auftaucht, dicht gefolgt von Stacheldrahtzaun oder verriegelten Toren mit darauffolgender von der UN überwachten Pufferzone.

Es ist also völlig normal, mehrmals am Tag die Grenze über die drei innerstädtischen Grenzübergänge zu überqueren. Im Norden ist vieles erschwinglicher, Zigaretten, Lebensmittel und Ausgehen, weswegen die politischen Zwiste hier auch gerne mal über Bord geworfen werden. Viele türkisch-zypriotische Menschen, die im Norden wohnen kommen auch tagtäglich zum Arbeiten in den Süden. Alleine türkischen Staatsangehörigen ist es verwehrt, die Grenze vom Norden in den Süden zu überqueren. Tavli wird allerdings auf beiden Seiten gespielt und dabei derselbe griechische/ türkische Kaffee getrunken (aber bitte niemandem verraten).

Eine Stadt als lebendes Mahnmal

Überall in der Stadt finden sich immer noch bewusste und unbewusste Mahnmale, die an die konfliktreiche Geschichte Nikosias erinnern. Auf der griechischen Seite sehr offensichtlich in Form von Denkmälern und erhaltenen Schützengräben. Auf der türkischen Seite subtiler durch das Auslöschen der Sichtbarkeit der griechischen Präsenz und das Ersetzen durch türkische Elemente.

Am Grab eines von türkischen Truppen „kaltblütig“ ermordeten 83-jährigen Mannes, das heute direkt an der Grenze liegt. Das Schicksal des Mannes ist für das Narrativ der griechischen Zypriot:innen symbolhaft. Wohl handelte es sich hierbei aber um ein tragisches Missverständnis, da der taubstumme Mann die Warnungen der türkischen Seite nicht hören konnte.

Auf der griechischen Seite geht man am besten ein wenig abseits der Wege entlang der heutigen Grenze, um eine Idee von den damaligen Verhältnissen zu bekommen.

Das Leben der Anderen.
In der Mittagshitze bei 40 Grad die Stadt zu erkunden hat seine Vorteile. Man kann ungestört an Orte gehen, die einem sonst eher verwehrt geblieben wären. Hier der Blick auf die türkische Seite durch die Schießscharte einer ehemaligen griechischen Barrikade.

Kultur, Musik und Leben soweit das Auge reicht

Als ich den Sommer über verkündet habe, dass meine nächste längerfristige Station Zypern sein wird, traf dies vor allem bei griechischen Personen oft auf großes Erstaunen. Von „Aber was willst du denn da, da ist doch nichts los“ bis hin zu „Ojee, willkommen in der Hölle der Erzkonservativen und Korrupten“, war alles dabei. Mit dem Schlimmsten rechnend und emotional darauf gewappnet, für die Monate eher außerhalb meiner Komfortzone zu leben, kam ich also hier an.

Noch (oder schon wieder?!) mit etwas müden Augen, aber up and about auf dem Weg zur Queerwave.

Aber was soll ich sagen, diese Hiobsbotschaften haben sich überhaupt nicht mit meinem ersten Eindruck gedeckt. Als ich hier angekommen bin, startete direkt ein unglaublich tolles queeres Filmfestival, bei dem ich fast jeden Abend mit Freund:innen, aber auch alleine bei den Screenings war. Ein save space für die LGBTQ+ Community des nördlichen und südlichen Teils der Insel, mit allabendlichen Dragshows und DJ-Sets in einer tollen Kunstgalerie mit Dachterrasse. Es war ein Fest!

Open Air Screening von „Fierce – A Porn Revolution“ bei der Queerwave.
Viele der Filme haben mich traurig, wütend und nachdenklich zurückgelassen. Und gleichzeitig habe ich eine unglaubliche Solidarität unter den Besucher:innen des Festivals gespürt.

Auch weiterhin finden in besagter Galerie Workshops zur Geschichte der queeren Community auf Zypern statt, aber auch Konzerte und Ausstellungen, die ich definitiv nicht auslassen werde. In drei Wochen geht es zudem als Volunteer zum Kunstfestival „Xarkis“ in einem wunderschönen Dorf in den Bergen. Ich werde berichten. 😉

Ein weiteres Highlight sind die kleinen Bars und Tavernen, in denen abends Musiker:innen zusammensitzen und griechische, türkische (oder um ganz korrekt zu sein osmanische) und zypriotische Lieder spielen. Darum herum wird mitgesungen und alle fühlen es einfach, vom 70-jährigen Opa, der auch noch dazu tanzt, bis zum 20-jährigen Bouzouki-Spieler.

Das Kafeneio „Erma“ vereint Buchladen und Café in einem – lieben wir.

Und nicht zu vergessen die tollen Cafés überall, wobei ich bereits im Norden wie im Süden ein Lieblingscafé ausgespäht habe. Direkt vor meiner Haustüre befindet sich zudem ein Kafeneio, wo immer jemand sitzt, den ich bereits kenne und mit dem ich ein kurzes „Schwätzchen“ halten oder einen Frappé trinken kann beziehungsweise muss, auch wenn ich eigentlich dringend den nächsten Bus zur Uni kriegen sollte.

Gleichzeitig schaffe ich es gerade auf wundersame Weise trotzdem sehr bei mir zu sein und darauf zu hören, wie viel Gesellschaft und Freizeitbeschäftigung ich neben der Uni und den vielen anderen zu erledigenden Dingen tatsächlich brauche. So mache ich oft auch alleine Ausflüge ans Meer oder in die Berge oder bleibe freitagabends ganz ohne schlechtes Gewissen einfach mal zuhause in der Hängematte – so wie heute.

Γειά σας από την Κύπρο. 🌞…
Einen Gang runterfahren – das gelingt mir gerade ganz wunderbar.

Im nächsten Beitrag gehts ums Ankommen an der Uni – das ebenfalls heiter bis wolkig war, aber schließlich für alle Beteiligten ein happy end bereithielt. 😉

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