26. Februar 2023
Abschiednehmen. Wie geht das eigentlich? Wie trete ich meinen neuen Freund:innen ein letztes Mal gegenüber mit dem Wissen, sie vorerst nicht so schnell wieder sehen zu werden? Und wie verabschiede ich mich von einer Stadt, von einer Zeit, die mich so viel über mich selbst gelehrt hat? In diesem Blogbeitrag nehme ich dich mit durch diese emotionale Zeit; teile meine Gedanken und schreibe über meine verbleibenden Tage in Amsterdam.
Wenn die Zeit schneller vergeht, als ich es wahrhaben kann. Wenn sich mein letzter Monat anfühlt wie nur eine Woche. Wenn die Sonne langsam wärmer und die Tage langsam länger werden. Dann heißt es für mich Kisten packen und „Auf Wiedersehen“ sagen, denn meine letzten Tage in Amsterdam sind gerade angebrochen.
Wie geht Abschied nehmen?
Bevor ich die niederländische Hauptstadt verlasse, möchte ich noch mal die Dinge aufsaugen und erleben, die ich mit Amsterdam verbinde. Ich möchte noch mal durch das Jordaan laufen, möchte in der wunderschönen Architektur versinken, davon träumen, wie es wäre, in einem der Häuser direkt an den Grachten zu leben. Ich möchte Menschen beobachten; Lebenspläne schmieden, während ich einen Kaffee und eine Zimtschnecke in einem der zahlreichen Cafés genieße. Ich möchte vorerst das letzte Mal mit meinen Freund:innen ein Heineken in einer Bar trinken; möchte meine Seele und mein Herz zum Lachen bringen. Ein letztes Mal einen Flat White und Schokocroissant in meinem Stammcafé konsumieren, wenn ich mal wieder seit vier Uhr morgens ungewollt hellwach in meinem Bett liege und nicht wieder zurück in den Schlaf finden kann. Ein letztes Mal Fahrradfahren. Ein letztes Mal mit meinen Kolleg:innen arbeiten. Ein letztes Mal im Vondelpark joggen.
Ich sitze in einem Meeting meines Praktikumsunternehmens. Während ich vor ein paar Minuten noch aufmerksam und neugierig zuhörte, werden meine Augen auf einmal feucht. Die Stimmen verschwimmen. In meinem Inneren beginne ich zu realisieren, dass ich genau in zwei Wochen wieder zu Hause sein werde. Möglicherweise werde ich in diesem Moment Kisten auspacken und nicht begreifen können, wieder in Deutschland zu sein. Ich bin doch gefühlt erst vorgestern in Amsterdam angekommen.
Und augenblicklich wird alles zum letzten Mal sein. Zumindest ein letztes Mal für diesen Lebensabschnitt: für sechs Monate als Praktikantin in Amsterdam leben zu dürfen.
Freundschaften fürs Leben?
Zu Beginn meines Praktikums regten sich Zweifel in mir, wie ich hier nur Freunde finden könnte. Anders als Studierende, die in Amsterdam ein Auslandssemester absolvieren und dadurch zahlreiche Möglichkeiten haben, in direkten Kontakt mit Gleichaltrigen zu kommen, verbrachte ich als Vollzeitpraktikantin den ganzen Tag im Büro. Doch dank „Dating-Apps für Freund:innen“, durfte ich wunderbare Menschen kennenlernen. Personen, die mir ans Herz wuchsen; mit denen die Zeit wie im Flug verging. Sich nun nach einer so langen Zeit von Freunden zu verabschieden, kann schwer sein. Wir formten enge Verbindungen und teilten Erlebnisse und Abenteuer miteinander.
Um Abschied von ihnen zu nehmen, organisierte ich an meinem vorletzten Wochenende ein Farewell-Brunch. Doch wir konnten uns noch nicht „Tschüss“ sagen, weshalb ich in meiner letzten Woche mich noch mal mit jedem traf – ein vorerst letztes Mal. Diese Woche war mehr als emotional für mich, fast täglich musste ich mich verabschieden: montags von Ryoka, mittwochs von Ioanna, donnerstags von Sumaita und Jenni, freitags von Bart, Lot und Till und samstags von Oscar und Hannah.
Eine Farewell-Party, sei es zum Brunch, für Drinks, zum Abendessen oder in welcher Form auch immer ist eine wunderbare Möglichkeit, die eigene Wertschätzung gegenüber anderen auszudrücken und noch mal richtig zusammenzukommen. Ich nutzte diese Gelegenheit, um auch Kontakte zwischen meinen Freunden herzustellen, die sich noch nicht kannten. Manche von ihnen sind nämlich noch nicht lange in der Stadt und manche von ihnen werden noch länger bleiben. Und ehrlich gesagt beseelte mich die Vorstellung, meine lieb gewonnen Freunde könnten sich untereinander kennenlernen und wenn sie wollten vernetzen.
Es ist ein besonderes Gefühl, dass diese neuen Freundschaften auf Gegenseitigkeit beruhen, beide Parteien Interesse an der anderen bekunden und gerne in die gemeinsame Zeit investieren. Ich lernte hier mehr, ich selbst zu sein, zu versuchen, der Mensch zu sein, den ich in mir drin spüre. Vermutlich kommt das durch das neue, ungewohnte Umfeld ohne vertraute Personen um mich herum. Mehr ich selbst zu sein und so wunderbare Individuen kennengelernt zu haben ist eine bedeutende Erfahrung für mich. Es bestärkt mich in das Leben und macht mich glücklich.
Flair und Spirit einatmen
Abschied zu nehmen, bedeutet für mich auch von der Stadt, in der ich sechs Monate wohnte und lebte, zu verabschieden und mich bei der Stadt zu bedanken. Also laufe ich bewusst durch Amsterdams Straßen, Gassen und Parks. Versuche, das Flair und Spirit des Ortes wahrzunehmen, die Luft einzuatmen. Ich betrachte, wie sich die Klinkersteine um die Sprossenfenster zieren und wie sich die Sonne auf der Wasseroberfläche der Kanäle spiegelt. Schließe die Augen, spüre den Wind, lausche den Stimmen. So viele verschiedene Sprachen. Internationalität ist eine Sache, die ich mit Amsterdam verbinde.
Um mir beim Auszug, aber auch beim Transport meiner Umzugskisten zu helfen, kommt meine Mama für meine letzten Tage mit dem Auto nach Amsterdam. Ich freue mich sehr, noch mal gemeinsam mit ihr die Stadt zu erleben und Zeit mit ihr zu verbringen.
Lass es zu!
Auch wenn der letzte Tag immer näher rückt, nahm ich meinen eigenen Widerstand wahr. Ich war traurig, Amsterdam bald „Lebewohl“ sagen zu müssen, aber trotzdem fühlte ich es nicht wirklich. Jetzt wurde mir bewusst, dass ich diese Traurigkeit nicht zulassen konnte. Zu viele verschiedene Dinge gingen mir durch den Kopf; ich war gestresst vom Packen, von organisatorischen Dingen, wie beispielsweise die De-Registrierung aus Amsterdam und mich von lieben Menschen zu verabschieden. Gedanklich war ich der Gegenwart immer schon fünf Schritte voraus, war bereits wieder in Stuttgart beim Auspacken der Kartons. Ich nahm mir schlichtweg nicht die Zeit, um traurig zu sein.
Schließlich ließ ich zu Tränen, die ich während der Arbeit zurückhielt, fließen zu lassen. Das war auf dem Fahrrad, als ich auf dem Heimweg vom letzten Restaurantbesuch mit einer Freundin zurückfuhr. Die Tränen sprudelten nur so aus meinen Augen, ich schluchzte förmlich. Mir war es in dem Moment egal, was die Menschen um mich herum denken mochten. Ich war traurig, und das wollte gefühlt werden. Ich war traurig, dass sich dieses Kapitel bald schließen würde. Ich war voller Dankbarkeit, so wundervolle Menschen kennengelernt zu haben, für mein Praktikum und das unglaublich willkommen-heißende Team von One Architecture, für die Learnings über mich selbst. Es tut gut, diesen Widerstand losgelassen zu haben und mir nun die Zeit für den Abschiedsprozess zu nehmen – mich kurz zurückzulehnen und auf Pause zu drücken.
Auf Wiedersehen sagen muss nicht für immer sein. Dank der heutigen Technologie und dank Social Media ist es einfach, in Kontakt mit Menschen aus aller Welt zu bleiben. Manche von meinen Leuten werden womöglich auf kurz oder lang zurück in das Heimatland gehen: Deutschland, Frankreich, England oder Japan. Manche bleiben erst mal in den Niederlanden. Also auch wenn ich sie physisch hinter mir lasse, kann ich immer noch mit ihnen in Verbindung bleiben.
Mit einigen verabredete ich mich auch schon für das nächste Mal – für das Cannstatter Frühlingsfest. Es spendet mir Trost, einen Ausblick auf die nächsten gemeinsamen Abenteuer zu haben.
Also dann auf ein Wiedersehen. Danke, dass sich unsere Wege kreuzten, wir einen Teil gemeinsam gingen und vielleicht ja auch noch weiterhin zusammen gehen werden. Danke für die schöne Zeit, für die Abende, an denen mein Bauch vor Lachen wehtat.
Hoogachtend
Paula <3