26. August 2024
Es war mein persönlicher „vom Tellerwäscher zum Millionär“-Moment: Eine einfache Mail vom DAAD: Ich wurde ausgewählt, Lehrassistent an der Unicamp zu werden! Nicht in Nordamerika, sondern in Südamerika. Eben war ich noch selbst in der Rolle des Studenten, und zack, war das Bachelorstudium vorbei und auf einmal stehe ich nun in der Universität vor einer Klasse. Wie es mir damit geht?
Es geht mir wunderbar! Ich liebe es einfach zu unterrichten und mit den Studierenden und dem Kollegium zu kommunizieren. Die akademische Lehre macht mir besonders viel Spaß, weil die Leute motiviert sind, etwas zu lernen, und ich mit sehr intelligenten Leuten zusammenarbeite. Für mich persönlich ist es auch schön zu sehen, wie ich mein eigenes Wissen und meine kommunikativen Fähigkeiten weitergeben kann. Die Unicamp ist brasilienweit für ihre Lehre und Forschung bekannt.
Unweit vom Campus befindet sich auch das CNPEM – das nationale Forschungszentrum für Energie und Materie. Mein Arbeitsplatz ist jedoch ein anderer: Das Spracheninstitut CEL, also das Centro de Ensino de Línguas, ist zu meinem zweiten Zuhause geworden. Hier habe ich mein Büro und meine Klassenzimmer, wo ich mich die meiste Zeit aufhalte. Das CEL bietet viele Möglichkeiten, sich einzubringen und aktiv die Sprachlehre der Unicamp mitzugestalten. Ich kann mir beispielsweise eigene Kurse überlegen. Nächstes Semester möchte ich einen Kurs mit dem Titel Deutsch als Wissenschaftssprache anbieten. In der Deutschabteilung sind wir insgesamt drei Personen: zwei Lektorinnen und ich als DAAD-Lehrassistent. Die Deutschkurse sind nach Niveau geordnet und in sieben Stufen aufgeteilt. Ich unterrichte die Kurse Deutsch V und Deutsch VII und hospitiere im Kurs Deutsch I als Tutor. Außerdem biete ich zweimal die Woche eine Sprechstunde an, in der die Studierenden Fragen stellen können. Auch so bin ich für die Studierenden ein Ansprechpartner neben den Professoren.
Erste Erfahrungen in der Rolle als Lehrassistent
Das Programm „Deutschlehren.International“ dient auch dazu, Lehrassistenten auf die zukünftige Lektorentätigkeit vorzubereiten. Aus diesem Grunde mache ich hier alles, was meine beiden Kolleginnen hier auch machen: eigene Klassen geben, Sprechstunden anbieten und eigene akademische Projekte verwirklichen. War ich aufgeregt? Nein. Ich dachte mir: Schauen wir mal, was wird. Ein bisschen angespannt war ich vielleicht. Ich habe zwar schon über 300 Stunden Unterrichtserfahrung in meiner Sprachschule in Hamburg, aber hier in Brasilien ist es dennoch etwas anderes. Schließlich sind das hier akademische Kurse. Der Fokus liegt am Ende auch auf der Wissenschaft, während es in Deutschland eher um die Vorbereitung auf das Leben und Arbeiten in Deutschland ging. Meine Studierenden haben mich als Lehrkraft jedoch super aufgenommen. Wir sind alle im selben Alter, teilweise sind sie sogar älter als ich. Neben dem Unterricht haben sie mich auch eingeladen, mit ihnen zu essen und mir den Campus gezeigt. Am Wochenende gehen wir auch mal zusammen feiern – ich bin ein großer Fan des brasilianischen Funk, und da komme ich hier echt auf meine Kosten. Wirkt das unprofessionell? Zunächst einmal habe ich nur optionale Kurse, zu denen sich die Studierenden anmelden, weil sie Lust haben, Deutsch zu lernen. Jedoch ist es auch ein kultureller Unterschied zu Deutschland. Viele gehen hier mit ihren Professoren oder Dozenten mal in eine Bar. Es sind Bezugspersonen, die einen ein ganzes Studium lang begleiten. Außerdem bin ich teilweise sogar jünger als meine Studierenden. Auch ich war in Deutschland mit meinem brasilianischen Portugiesisch-Dozenten feiern oder in einer Bar. Dennoch habe ich seinen Unterricht ernstgenommen und so geht es mir hier auch. In der Klasse werde ich respektiert und meinem Konzept wird gefolgt, außerhalb bin ich eben aber auch ein junger Mann, der noch viel lernt als Lehrassistent. In Brasilien ist es auch üblich seine Dozenten mit Vornamen anzusprechen. Ich finde das gut. Nur weil wir uns privat begegnen und uns auch mal außerhalb der Universität treffen, sollte das nicht meine Autorität untergraben. Wir sind alle erwachsen. Sie sehen mich im Unterricht als Leiter der Einheit, wissen aber natürlich auch, dass ich am Ende des Tages ein junger Student bin, der gerne das Studentenleben in vollen Zügen genießt. Das mache ich hier auch, aber es liegt eben auch ein großer Fokus auf meiner Arbeit. Mir persönlich macht das viel Spaß – ich arbeite sehr gerne und nutze das Programm voll aus. Schließlich habe ich mich lange darauf beworben. Ich habe keine festen Arbeitszeiten, sondern gestalte meinen Tagesablauf flexibel. Ich unterrichte die Kurse V und VII, und den Rest mache ich, weil es mir gefällt und ich etwas lernen möchte. Das ist schließlich der Grund, warum ich hier bin. Besonders beim Hospitieren meiner Kolleginnen lerne ich noch eine Menge dazu und mache mir gerne währenddessen Notizen, um die Ideen in meinen Unterricht einfließen zu lassen. Ab und zu leite ich auch selbst Unterrichtseinheiten.
Bewegung und Singen im Unterricht
Am meisten Spaß macht mir eine Anfängerübung zur Phonetik. Diese habe ich bei einem DAAD-Vorbereitungsworkshop in Bonn im Seminar der Aussprachetrainerin Sandra Kroemer kennengelernt. Mithilfe dieser Übung sollen die Schüler verstehen, wie die Melodie der deutschen Sprache funktioniert, bevor sie die Wörter verstehen. Schließlich ist das auch der erste Kontakt zur Sprache von Babies: Sie bewegen sich im Bauch der Mutter schon zur Melodie der Sprache, ohne etwas zu verstehen. Bei der Übung wird geklatscht und sich bewegt – was für Brasilianer:innen glücklicherweise kein Problem ist. Etwas, das bei uns eher Fremdscham auslösen kann, ist hier völlig normal und macht viel Spaß – Tanzen und Singen sind eben tief in der Kultur verankert. Das merke ich auch auf der Straße, wenn plötzlich junge Menschen anfangen, öffentlich Capoeira zu tanzen.
Die Übung funktioniert folgendermaßen: Die Schüler:innen bekommen drei Satzblöcke vorgelegt und sprechen sie mir nach. Pro Silbe wird einmal geklatscht –auf der betonten Silbe wird lauter geklatscht: „Ohh-ein-schö-ner-Kaf-fe“ und „Mhhh-ein-schö-ner-Tee“. Dasselbe passiert mit den anderen Sätzen. Sobald sie diese beherrschen, wird die Klasse aufgeteilt, und es wird ein Kanon geklatscht und gesprochen. Das ist immer sehr lustig und gar nicht mal so einfach für die Studierenden. Aber gerade Bewegung und Aktivität sind unsagbar wichtig im Unterricht. Auch das Singen von Kinderliedern gehört für mich dazu: Die Texte sind leicht verständlich und die Melodie ist eingängig. Das ist perfekt zum Lernen. Das Lied „Der Körperteil-Blues“ eignet sich besonders, denn er vereint das Lernen von Vokabeln mit Tanzen und Singen. Ein Vorteil dabei ist, dass die Studierenden lernen, welche Körperteile gemeint sind und dadurch nicht alle Wörter übersetzen werden müssen.
Aussprachetraining für den DAF-Unterricht
Eine DAAD-Dozentin gibt praktische Unterrichtstipps
Sandra Kroemer war eine der Dozentinnen beim DAAD-Vorbereitungsseminar. Sie hat auch schon aktiv an DAF-Lehrwerken mitgearbeitet. Ihr Fokus ist ein Thema, das im DAF-Unterricht oft viel zu kurz kommt, obwohl es ein zentraler Bestandteil sein sollte: die Phonetik. Im Besonderen: Die Satzmelodie des Deutschen.
Meinen Unterricht kann ich nach eigenem Belieben gestalten. Wir haben hier ein älteres Lehrwerk vom Hueber-Verlag, das extra als bilinguale brasilianisch-deutsche Version erschien. Ich arbeite gerne mit anschaulichen Grammatikfolien, Podcasts, Diskussionen, Musik usw. Der Deutschunterricht soll abwechslungsreich und praxisnah sein – die Studierenden sollen etwas über das Land und den gesamten Sprachraum lernen.
Es gibt aber auch manchmal Schwierigkeiten. Natürlich bin ich immer in Kontakt mit den Studierenden, manchmal muss ich aber auch durchsetzungsfähig sein. Das fällt mir ab und zu etwas schwer. Außerdem muss ich Tests erstellen. Diese dürfen nicht zu schwierig sein, ich kann sie aber auch nicht aus gutem Willen zu einfach machen. Dann bliebe der Lerneffekt aus, außerdem wäre das auch nicht angemessen für die Institution.
Mein Traumjob: Fremdsprachenlektor
Unser Büro ist zu meinem ruhigen Ort geworden. Hierhin ziehe ich mich zurück, um meine Klassen vorzubereiten und meine Goethe-Ausbildung fortzusetzen. Ich teile mir das Büro mit meinen beiden Kolleginnen. Schließlich ist das der große Unterschied zum normalen 9-to-5-Job: Ich bin komplett frei in meiner Zeiteinteilung. Ich bin eher der Typ, der abends arbeitet, doch diese Zeit muss ich mir eben zwischen den unzähligen sozialen Aktivitäten auch nehmen. Schließlich habe ich mir vorgenommen, eine Ausbildung beim Goethe-Institut als BAMF-akkreditierte DAF-Lehrkraft zu absolvieren, und ich möchte möglichst viel lernen. Ich gehe auch sehr gerne mit meinen Freunden in die Mensa, aber es ist immer wichtig, den Arbeitsplan im Blick zu haben. Ich kann mir viel Freizeit gönnen und das Land genießen, doch die fokussierten Arbeitssessions sind sehr wichtig, um nicht unvorbereitet in die Klasse zu gehen. Die Studierenden erwarten schließlich eine gewisse Qualität bei der universitären Lehre. Trotzdem finde ich es wichtig, auch mal spontan auf Fragen einzugehen und das Unterrichtskonzept zu ändern, wenn sie über ein bestimmtes Thema mehr wissen sollen. Schließlich bin ich ihre direkte Verbindung zum Land Deutschland. Ich muss verstehen, dass ich im Unterricht und auch außerhalb so wahrgenommen werde – ein Repräsentant unseres Kulturraumes.
Der Job als Fremdsprachen-Lektor bzw. DAZ/DAZ-Lehrer umfasst viel mehr als die Sprachvermittlung. Gerade wenn die Studierenden ein Studium, ein Semester, oder einen Job in Deutschland beginnen wollen, werden sie begleitet und unterstützt – bei diesem aufwendigen Prozess. Ich berate hier auch brasilianische Studierende, die gerne mit einem DAAD-Stipendium nach Deutschland kommen würden. Somit trage ich Verantwortung, den Studierenden die besten Möglichkeiten zu bieten, die deutsche Sprache zu erlernen. Das mache ich mir immer wieder bewusst, um nicht die Relevanz meines Zielberufes zu vergessen. Schließlich bin ich ein Mensch, der gerne weiß warum und wofür er etwas macht.
Mein Eindruck: Überaus positiv!
Vor allem macht es mir Spaß zu unterrichten: Wir diskutieren sehr viel und tauschen uns aus. Oft müssen wir auch lachen – die Arbeit zusammen macht unglaublich viel Spaß. Nach der Klasse gehen wir gerne zusammen in die Mensa und unterhalten uns. Das finde ich besonders schön, schließlich kannte ich nach meiner Ankunft nur meine Studierenden an der Uni. Ich bin eben ein kommunikativer, offener Mensch und das sind zwei Grundprinzipien für diesen Job.