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Bereit für Brasilien: von Kolumbus, Putzfrauen und Toilettenpapier


Erste Schritte in Brasilien: Meine Gedanken beim Betreten dieses neuen Kontinents. Mit dabei: Ein wenig Geschichte, kulinarische Fremdwörter und Überraschungen im Badezimmer.

Der Sprung über den Teich

Im Allgemeinen wird von der überwältigenden Mehrheit der Geschichtsschreiber die einheitliche Meinung vertreten, Christoph Kolumbus sei der Entdecker Amerikas. Wenngleich es Nachforschungen zufolge schon vor ihm beispielsweise norwegische Seefahrer nach Amerika verschlagen haben soll, so ist doch Kolumbus, oder Colón wie er sich selbst nannte, als der bis dato berühmteste Entdecker in die Geschichte der Menschheit eingegangen. Entgegen der einhelligen Meinungen vertritt jedoch u.a. der bulgarisch-französische Schriftsteller Tzvetan Todorov die Meinung, Kolumbus habe durch das Studieren theologischer Schriften bereits vor dem Antritt seiner Reise die (eher exklusive) Meinung vertreten, man werde im Westen Land entdecken. In seinem Weltbild musste es aus Gründen der Symmetrie nebst Europa und Afrika ein weiteres „Paar“ auf dem Erdball geben. Dies war seiner Meinung nach das von ihm „erreichte“ Asien (welches in Wirklichkeit nicht Asien, sondern u.a. die Insel Kuba war). Der Mitspieler Asiens musste also, wieder aus Gründen der Symmetrie, im Süden zu finden sein. Man fand hier mit der Zeit mehr und mehr Land und schließlich, im Jahre 1500 in Person des Portugiesen Cabral in Brasilien.

Als ich mich aus dem eisigkalten Deutschland nun mit einigen Büchern, etwas Geld, meinen innig geliebten M&Ms, sowie dem Nötigsten an Klamotten in den Flieger begab musste ich unwillkürlich an Colón und seine Expedition denken. Zwar war auch ich durch das Studium von Schriften (und anderem Material) der Ansicht auf der anderen Seite des Meeres Land zu finden. Ich konnte dennoch, wie der berühmte Seefahrer, nicht vollends sicher sein, nicht dennoch „hinunter zu fallen“. Man hört oftmals von Verwandten, Bekannten, oder Freunden, man sei mutig eine solche Reise anzutreten, gar verrückt wird man geheißen. Beim Gedanken an die Besatzung Colóns, welche nicht unbedingt über seine Ansichten aufgeklärt war (wohl auch weil lesen und schreiben für sie nicht in Frage kamen) und daher eher einen Abgrund am anderen Ende des Wassers erwarteten als eine neue Welt, scheint es nicht abwegig zu behaupten, dass diese Menschen vielleicht die mutigsten Menschen in der Geschichte der Menschheit waren. Was war mein Mut also im Vergleich zum ihrigen?

Vorbereitung und Vorurteile

Da ich auf dem 13-stündigen Flug etwas Zeit zu überbrücken hatte, schien es mir angebracht einen Reiseführer über Brasilien zu konsultieren. Meine Vorbereitung auf diese Reise war durch einen mehrwöchigen Aufenthalt in Peru, sowie einem Kurzurlaub in Barcelona den Umständen entsprechend etwas ins Stocken geraten. Anhand des Reiseführers war es mir möglich mir zumindest einige Vorurteile einzuprägen um anschließend deren Richtigkeit überprüfen zu können. Man laß hier von der großen sozialen Ungerechtigkeit, von armen Putzfrauen (sog. „empregadas“) aus den Favelas, welche sich tagtäglich in die reicheren Viertel der Stadt begeben um dort gegen relativ geringen Lohn den Haushalt für jene Familien zu regeln. Auch wurde von den typischen, und immer wiederkehrenden Zutaten, Bohnen, Reis und (Rind-)Fleisch gesprochen, welche durch die über den Tag verteilte, häufige Einnahme von  (uns Deutschen eher unbekannten) Früchten komplementiert werde. Man könne mit der den Deutschen oft zugeschriebenen Charaktereigenschaft von: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“, wahrlich vor große Probleme gestellt werden.  Eine für den, aus brasilianischer Sicht, peniblen Europäer wahrscheinlich erschreckende Nachricht, ist der Umstand, dass die brasilianischen Abwasserleitungen keinen europäischen Standards entsprächen. Man sei daher gezwungen, Toilettenpapier, ganz gleich welche Nutzung dies vorher genossen habe, in einen für diesen Zweck stets bereitgestellten Mülleimer zu verfrachten…

Sprechen und stottern

Da ich in Campinas die Gastfreundschaft meines guten alten Freundes Leonardo in Anspruch nehmen werde, wurde ich nach meiner Ankunft einer Menge Leute vorgestellt. Dies ist, nach meiner persönlichen Erfahrung, keineswegs untypisch im Vergleich mit anderen lateinamerikanischen oder südeuropäischen Gepflogenheiten. Hier sei angemerkt, dass obwohl die Mehrheit der jungen Menschen der englischen Sprache durchaus mächtig ist, eine etwas andere Einstellung zu Ausländern an den Tag gelegt zu werden scheint, als dies in Deutschland oftmals der Fall ist. Während in Deutschland, meiner Erfahrung nach, recht schnell das Englische angewandt wird, wenn mit deutschlernenden Ausländern gesprochen wird, ist dies dem Anschein nach in Brasilien nicht der Fall. Du willst Portugiesisch lernen und sprechen? Nichts lieber als das! Du kannst nicht einen Satz ohne Fehler herausstottern? Mensch, du sprichst echt gut, weiter so!

Essen und Verwunderung

Durch den so regen Kontakt mit Einheimischen kommt man – natürlich, denn die brasilianische Gastfreundschaft gebietet es so – auch mit dem brasilianischen Essen in Kontakt. Und tatsächlich, das erste was mir vorgesetzt wurde, waren in der Tat Reis mit Bohnen, Salat, Fleisch und später Früchte deren Namen ich praktischerweise vergessen habe.

Etwas was sowohl auf Seiten einer Einheimischen, wie auch auf der meinigen, sehr für allgemeine Verwunderung und Belustigung sorgte, war der Umstand, dass Pizzas hierzulande stets vielfältig mit mehreren Zutaten belegt sind. Eine Pizza mit nur einem Belag (Schinkenpizza, Pizza Salami, etc.) kenne man nicht. Auf meine Frage, was denn in denn in den wohl zahlreich vorhandenen italienischen Restaurants serviert werde, wurde mir wie selbstverständlich mit einem „Pasta! Was sonst?!“ geantwortet. Man kann sich meinen Gesichtsausdruck, denke ich, vorstellen.

Flache Hierarchien? Eher ein Fremdwort.

Auch das Vorurteil der  „empregadas“ scheint für mich nicht aus der Luft gegriffen zu sein. In den Familien in denen ich bisher das Vergnügen hatte zu verkehren, waren stets „empregadas“ zugegen. Wenngleich diese Frauen stets arbeiten, Essen zubereiten und teilweise auch die Kinder aufziehen, wird ihnen doch eine andere Behandlung zuteil als ihren Arbeitgebern. Sie scheinen in den hier vorherrschenden Hierarchien die letzten der Nahrungskette zu sein.  Sie werden respektiert und auch freundlich begrüßt. Einen Kuss auf die Wange, wie es hier in Sao Paulo üblich ist, erhalten sie, im Gegensatz zu ihren Arbeitgebern jedoch nicht. Auch sind sie, meiner Erfahrung und den Beschreibungen des Reiseführers nach, niemals Teil der Gesellschaft für welche sie selbst das Mahl zubereiten. Man könnte sich nun anmaßen eine moralische Diskussion loszubrechen, über Menschlichkeit, Dankbarkeit und westliche Wertvorstellungen und wahrlich, Motive für eine derartige Diskussion ließen sich finden. Es wäre jedoch sehr naiv zu glauben man werde bei seinen zuvorkommenden Gastgebern auf große Gegenliebe (oder gar Gehör) stoßen, geschweige denn dadurch das Leben jener „empregadas“ verbessern. Jeder darf sich seine persönliche Meinung bilden, als Gast dieses Landes scheint es mir jedoch angebracht die örtlichen Sitten zu akzeptieren und zu respektieren, wie es auch von Gästen in meinem Land erwartet werden würde.

Selbiges gilt, wie ich mit nicht wenig Bedauern feststellen durfte, auch für die im Reiseführer empfohlene Entsorgung des Toilettenpapiers. Die Zeit wird zeigen, welch weitere Entdeckungen dieses so große Land für mich bereithält.

Kommentare
  1. Wilfried Stapper

    10. Januar 2017

    Hallo Jonathan, hier ein paar Grüße aus der alten Heimat! Wir werden Deine Berichte aufmerksam lesen – und hoffen, Du erlebst viele schöne Dinge, die Dein Leben prägen werden!

Hast du noch Fragen?

Mehr zu #Campinas

  • 1/4

    Instagram Post von Lars

    Lars

    Lars / Brasilien

    Heute hatte ich die Möglichkeit an der Universidade Estadual de Campinas einen Vortrag über Arbeiterkinder an deutschen Universitäten halten. Hierbei erzählte ich auch etwas über meine persönlichen Erfahrungen. Besonders bezog ich mich auf die Organisation ArbeiterKind.de gGmbH. Die Gründe warum nur 27 Prozent der Kinder aus Arbeiterfamilien ein Studium beginnen (im vgl. 79 Prozent aus Akademikerfamilien) sind vielschichtig. Ich habe mir 5 Punkte herausgesucht: - Desorientierung nach der Schule -Fehlende Vorbilder im persönlichen Umfeld -Fehlendes Wissen über Stipendien oder Bafög

  • 1/2

    Instagram Post von Lars

    Lars

    Lars / Brasilien

    Die Partys sind immer sehr cool hier. Die meisten leben in großen, selbstorganisierten Studentenwohnheimen zusammen bzw. in WGs. Jede Woche gibt es irgendwo eine coole Party. Dazu müssen aber vorher online Tickets gekauft werden. Der Eintritt kostet meistens so 3-5€. Die Parties sind von 16-22 Uhr, da viele außerhalb des Viertels leben und navh Hause müssen. As festas aqui são sempre muito legais. A maioria mora em grandes residências estudantis autogeridas ou em repúblicas. Toda semana, tem uma festa legal

  • Instagram Post von Lars

    Lars

    Lars / Brasilien

    Und was ist mit den Partys? Ich lebe in einem sehr studentisch geprägten Viertel. Hier gibt es ein sehr spezielles System: Viele Studenten leben in sogenannten "Repúblicas". Diese haben einen Namen und oft auch ein eigenes Trikot mit dem Wappen der WG. Es sind WGs für bis zu 20 Leute. Jede Woche macht eine der WGs eine große Party. Über eine App, die speziell für Uni-Partys in Brasilien erstellt wurde, kann man Tickets bekommen. Die Partys dauern von 16-22 Uhr.

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