19. Februar 2016
Ich bin fasziniert. Dafür opfere ich auch meinen letzten Schluck türkischen Mokka. Es geht um meine Zukunft. Um mich. In ein paar Sekunden wird Gloria mein künftiges Leben vorhersagen. Sie muss nur noch laden.
Denn Gloria wohnt in Mehmets iPhone, genauer gesagt in der beliebten, braunen „Kaave-App“. Gloria ist pummelig und trägt schwere goldene Ohrringe. Sie ist immer da, hat immer Zeit und ist immer wild auf eine neue Zukunft, die sie wahrsagen kann. Jetzt bin ich dran.
Damit Gloria seriös arbeiten kann, braucht sie nur ein paar Informationen: Meinen Namen, mein Geburtsdatum und – na klar – meinen Beziehungsstatus. Und noch wichtiger: Ein Foto von den Resten meines türkischen Mokkas. Der ist ziemlich dickflüssig und schmeckt ungefähr wie ein sehr starker, schwerer Espresso.
Mehmet gibt meine Daten in sein IPhone ein, Gloria freut sich. Für das Foto dreht Mehmet meine Mokka-Tasse um, stellt sie umgekehrt auf den Untersetzer. Der letzte Schluck rinnt auf den Untersetzer. Warten. Tasse wegnehmen. Mokka-Tropfen verlaufen lassen, Foto schießen und an Gloria senden. Jetzt kann sie arbeiten. In ein paar Sekunden ist es so weit. Wir warten.
So ein bisschen glauben Mehmet und seine Freundin schon an Mokkasatzleserei. Natürlich, klar, alles ist nur ein Spaß. Alles just for fun. Total ironisch. Wer glaubt schon an Wahrsagerei? Aber trotzdem. Mehmet macht alles so penibel und so gewissenhaft, ich glaube, er will einfach nichts riskieren. Man kann ja nie wissen. Gloria sagt, sie sei fertig.
Meine Zukunft sieht durchwachsen aus. Mittelmäßiges Ergebnis, sagen Mehmet und seine Freundin. Ich bekomme bald ein unerwartetes Geschenk von einer unbekannten Person, aber habe keinen Durchbruch im Job. Feiern in der Familie, aber Verluste von Freunden. Mir ist das zu wenig, ich bin unzufrieden. Zum Glück arbeitet Gloria nicht zu genau, denn sonst hätte sie noch etwas vorhersagen können: In mein iPhone darf sie bisher noch nicht einziehen.