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Warum es sich für mich lohnt, die estnische Sprache zu lernen

Ich belege im Auslandssemester einen Estnisch-Kurs. Somit lerne ich zum ersten Mal seit meiner Schulzeit wieder eine vollkommen neue Sprache – und habe große Freude daran. Auch wenn die estnische Sprache nur von gut einer Million Menschen weltweit gesprochen wird, bringt sie mir im Auslandssemester einige Vorteile.

Estnisch ist die einzige Amtssprache Estlands. Darüber hinaus sprechen die meisten Menschen hier Russisch und Englisch, einige auch Deutsch. Vor allem junge Leute sprechen meiner Erfahrung nach sehr gutes Englisch. Viele denken daher vielleicht, es gäbe keinen Grund, im Auslandssemester die estnische Sprache zu lernen. Schließlich lebe ich nur für fünf Monate im Land und werde zurück in Deutschland wahrscheinlich kaum noch Gelegenheiten haben, meine Sprachkenntnisse anzuwenden.

Spielerisch Lernen im Uni-Sprachkurs

Ich habe mich dennoch dafür entschieden, einen Estnisch-Kurs zu absolvieren. Dieser wird von der Universität Tartu angeboten und ich konnte ihn als regulären Kurs wählen und anrechnen lassen. Der Sprachkurs findet zwei Mal pro Woche statt und es gibt jedes Mal Hausaufgaben. Er ist dadurch der zeitaufwendigste meiner Kurse, aber auch der, der mir am meisten Spaß macht. Der Kurs ist total interaktiv, es gibt jede Stunde Partner- und Gruppenaufgaben und viele spielerische Übungen. Wir hören estnische Lieder, schauen uns Videos an, füllen Lückentexte aus und zeichnen Lebensmittel.

Tisch in einem Klassenraum, darauf liegen Arbeitshefte, ein Etui, ein Thermobecher und eine Trinkflasche
So sieht mein Arbeitsplatz im Estnisch-Sprachkurs aus. Während des Unterrichts stehen wir immer wieder auf, um in Gruppenarbeiten mit den Mitstudierenden die Sprache zu üben.

Mein Anspruch an den Kurs ist natürlich nicht, fließendes Estnisch sprechen zu können. Das ist in nur einem Semester einfach nicht machbar. Der Kurs, den ich besuche, richtet sich an absolute Anfänger:innen. Am Ende des Semesters soll man dadurch das erste Sprachniveau, A1.1, erreicht haben. Jetzt, zwei Wochen vor dem Ende des Kurses, habe ich auf jeden Fall das Gefühl, einen guten Basiswortschatz und grundlegende Grammatikregeln erlernt zu haben. Ich kann ein paar Minuten lang Smalltalk führen, im Café oder Restaurant bestellen und bezahlen und etwas über mich, meine Hobbies und meine Familie erzählen.

Sprache lernen bedeutet Kultur verstehen

Für mich stand von Anfang an fest, dass ich in meinem Auslandssemester die Sprache lernen möchte, die in dem Land gesprochen wird. Ein Stück weit hat das meiner Meinung nach auch etwas mit Respekt zu tun. Schließlich ist Estland mein Gastland, und ich genieße hier als Erasmus-Studentin viele Privilegien. Ein Ziel des Erasmus-Programms ist kultureller Austausch – zu diesem gehört die Sprache notwendigerweise dazu.

Meine Estnisch-Lehrerin versucht uns im Sprachkurs immer wieder über die Sprache, auch die estnische Kultur näher zu bringen. Sie erklärt uns während des Semesters die nationalen Feiertage, typischen Gerichte und kulturellen Eigenarten – etwa, dass die Est:innen Pünktlichkeit mögen und dass sie nicht so gerne Smalltalk führen. Ich habe das Gefühl, dass ich über die Art und Weise, wie die Sprache funktioniert, auch die Kultur etwas besser verstehe.

Junge Frau sitzt in einem Café, in der Halt hält sie eine Tasse, auf dem Tisch stehen weitere Tassen mit heißer Schokolade und Gebäck
Am Vastlapäev, dem letzten Tag vor der Fastenzeit, hat mir meine Estnisch-Lehrerin empfohlen, die traditionellen Vastlakukkel (süße gefüllte Brötchen) in diesem Café in Tartu zu probieren.

Meiner Erfahrung nach freuen sich die Est:innen darüber, wenn man versucht, ihre Sprache zu sprechen. Klar, manche wechseln direkt zu Englisch, wenn sie merken, dass ich Ausländerin bin. Eine liebe Kellnerin im Café hat sich aber auch schon einmal ganz viel Zeit genommen, um die Frühstücksbestellung mit mir zu üben. Alleine das Hallo, Danke und Tschüss nicht auf Englisch, sondern auf Estnisch zu sagen, auch wenn der Rest des Gesprächs auf Englisch stattfindet, macht einen Unterschied in der Umgangsweise. Das hat mir schon einige Male ein erfreutes Lächeln vom Gegenüber eingebracht.

Estnisch zu sprechen erleichtert den Alltag

Für mich hat es aber auch im Alltag ganz praktische Vorteile, Wörter auf Estnisch zu verstehen. Das Einkaufen im Supermarkt geht zum Beispiel deutlich schneller, seit ich nicht mehr jedes Schild und jede Zutatenliste abfotografieren muss, um sie zu übersetzen. Außerdem war ich schon in Situationen, in denen ich mit einer anderen Person nicht auf Englisch kommunizieren konnte, zum Beispiel mit einem Busfahrer. Da kann es schon sehr helfen, zumindest ein grobes Sprachverständnis zu besitzen.

Was ebenfalls cool ist: Die finnische und die estnische Sprache sind sich sehr ähnlich. Bei meiner Reise nach Finnland konnte ich deshalb einige Wörter verstehen, obwohl ich zuvor nie Finnisch gelernt hatte. Im restlichen Baltikum, in Lettland und Litauen, komme ich mit meinen Estnisch-Kenntnissen dagegen überhaupt nicht weit. Die drei baltischen Sprachen sind komplett unterschiedlich.

Junge Frau steht vor einem geschwungenen modernen Gebäude, der lettischen Nationalbibliothek in Riga, im Hintergrund ist eine grüne Wiese und blauer Himmel zu sehen
Hier stehe ich vor der Lettischen Nationalbibliothek in Riga. Die lettische Sprache ist ganz anders als die estnische, obwohl die beiden Länder viel gemeinsame Geschichte und Kultur teilen.

Insgesamt bin ich sehr froh, mich für den Estnisch-Kurs entschieden zu haben. Es ist für mich wahnsinnig motivierend zu merken, wie ich immer mehr von dem verstehen kann, was ich im Alltag aufschnappe. Dadurch fühle ich mich hier etwas weniger als Fremde – denn die Sprache stärkt auch meine Verbindung zu dem Land.

Ma armastan eesti keelt – Ich liebe die estnische Sprache ❤

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