22. Dezember 2020
Die zentrale Lage, die sprachliche Vielfalt und eine gute Verkehrsanbindung – drei Hauptgründe, warum Brüssel 1997 der offizielle Hauptsitz der EU geworden ist. Jedoch soll der Anfangsbuchstabe ‚B‘ von Belgien wohl auch eine Rolle gespielt haben. Um dem auf den Grund zu gehen, müssen wir erstmal eine kleine Zeitreise ins Jahr 1951 machen.
Die europäische Integration begann mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Die Organisation wurde durch die Unterzeichnung der Pariser Verträge am 18. April 1951 von Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande besiegelt. Schon zu dem Zeitpunkt stand die Frage im Raum, welche Stadt der Gründerstaaten den Hauptsitz der EGKS beheimaten sollte. Die Mehrheit favorisiert sogar schon Brüssel, jedoch machte Belgien dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Denn es gab interne Querelen im Land und der Regierung (die gibt es heute noch), die Brüssel als Hauptsitz disqualifizierten. Stattdessen wollte Belgien, dass Lüttich neuer Hauptsitz der EGKS wird. Das gefiel den anderen Gründungsmitgliedern wiederum nicht und so bekam Luxemburg und Straßburg erstmal den Zuschlag – das wird später für den Beitrag zum Europäische Parlament noch wichtig.
Aber was hat es nun mit dem Anfangsbuchstaben ‚B‘ auf sich?
Wie wir alle wissen, stoppte die europäische Integration hier nicht, sondern mit den Römischen Verträgen vom 25. März 1957 wurden zusätzlich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) gegründet. Nun begann das Spiel wieder von vorne und die sechs Gründerstaaten mussten sich erneut einigen, wo der Hauptsitz der zwei neuen Organisationen sein sollte. Städte in Italien, Frankreich und Deutschland standen gar nicht erst zur Debatte, damit es nicht zu einer Vormachtstellung eines wirtschaftlich mächtigen Landes in den Organisationen kam. Ihr könnte euch sicherlich vorstellen, dass beim Thema Hauptsitz die Verhandlung ähnlich zäh wie beim ersten Mal verliefen.
Und siehe da, es kam erneut zu keiner Einigung und beim Inkrafttreten des Vertrags am 1. Januar 1958, wussten die Beamten immer noch nicht, wo sich denn jetzt ihre Büros befinden würden. Glaubt man nun einem Zeitungsartikel der Brussels Times, wurde eine Notfallversammlung am 6. Januar 1958 der Mitgliedsstaaten einberufen. Der Sitz der Organisation blieb zwar weiterhin ungeklärt, stattdessen einigte man sich aber auf eine rotierende Ratspräsidentschaft. Um genauer zu sein, es wurde beschlossen, dass die neuen Organisationen abwechselnd von den Ministern der einzelnen Mitgliedsstaaten abwechselnd geleitet werden sollten. Das Land, das die erste Ratspräsidentschaft übernehmen würde, sollte übergangsweise die Bürogebäude stellen, bis eine Einigung im Hauptsitz-Streit erzielt wäre. Aber welches Land sollte beginnen? Man entschied, alphabetisch vorzugehen und so war als erstes Belgien an der Reihe. Lüttich war dank der frisch gewählten Regierung aus dem Rennen und so entstanden die ersten Bürogebäude für die neuen Organisationen in Brüssel.
Brüssel inzwischen Feuer und Flamme die europäische Hauptstadt zu werden, erkannte, dass eine Einigung in naher und ferner Zukunft nicht in Sicht war, die europäische Integration aber weiter munter voranschritt. Und so wurden immer mehr Grundstücke gekauft und Bürogebäude gemietet. Der Fusionsvertrag von 1965 führte zur Entstehung einer gemeinsamen Kommission und eines gemeinsamen Rates aller drei Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EWG, EURATOM). Daraufhin ließ Brüssel das Berlaymont-Gebäude bauen, den ersten und bis jetzt einzigen Hauptsitz der Europäischen Kommission. Von da an war „die Verankerung Brüssels als Hauptstadt Europas nur noch ein massiver Schneeballprozess, bei dem das Berlaymont-Gebäude wie ein starker Magnet wirkte“ (Brussels Times). Im Amsterdamer Vertrag von 1997 verteilte die EU ihre Institutionen dann endgültig: Brüssel gilt als Hauptsitz der EU, das Parlament kommt aber auch in Straßburg zusammen, und der Europäische Gerichtshof tagt in Luxemburg.
Ich kann mir vorstellen, dass ein bisschen Wahres an der Geschichte dran ist, aber das auch sicherlich viele weitere Variablen einen Einfluss gespielt haben. Trotzdem hat mich die Geschichte amüsiert und ich wollte sie euch nicht vorenthalten. Der Artikel schließt mit folgender Aussage ab: „Brüssel wurde, wie wir gesehen haben, nie als Hauptstadt der EU gewählt. Es wurde schleichend zur Hauptstadt der EU, im Wesentlichen wegen der Unfähigkeit der sechs, dann neun, dann zwölf, dann fünfzehn, dann fünfundzwanzig, später achtundzwanzig Mitgliedsstaaten (heute nur noch 27) zu entscheiden, welche Stadt diese Hauptstadt sein sollte“ (Brussels Times).
Das Europäische Viertel
Die erste Institution hatte sich im Osten der Stadt niedergelassen und wie schon oben erwähnt, kamen dann nach und nach immer mehr Gebäude hinzu, sodass das Europäische Viertel entstand. Den virtuellen Spaziergang habe ich anhand einer Reihe von Twitter, Instagram und Blogeinträgen konzipiert. Wenn ihr zurück auf meinen Blog von „studieren weltweit“ geht, seht ihr, dass die Beiträge aufeinander aufbauen. Die Nummerierung im Titel dieses Beitrags im Zusammenhang mit dem Stadtplan unten gibt euch eine Übersicht, wo wir uns gerade befinden.
Also eure Waffel aus dem vorherigen Twitter-Post sollte so langsam aufgegessen sein und wir verlassen nun den schönen Jubelpark (französisch: Parc Cinquantenaire). Dort machen wir schon an unserer vierten Station Halt. Denn kein Geringerer als Robert Schuman, einer der Gründerväter der EU, begrüßt uns hier.