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Warum Nordirland nicht Irland ist

Bisher war mein Eindruck, dass viele eher eine wage Vorstellung von den Komplikationen in Nordirland haben. Sicher wissen genug, dass es den Nordirlandkonflikt gab und es noch Komplikationen gibt. Für die, die mehr als das wissen wollen, folgt ein kleiner geschichtlicher Abriss und meine Wahrnehmung der aktuellen Situation.

Mit Nordirland ist es generell ein bisschen kompliziert. Die Frage „Worum gehts nochmal, da war doch was mit den Katholiken und den Protestanten?“, habe ich oft gehört. Um ehrlich zu sein, bevor ich mich überhaupt mit dem Nordirlandkonflikt auseinander gesetzt hatte, waren das auch meine Gedanken. Inzwischen habe ich über das Semester in meinen Kursen zu Konflikt- und Friedensprozessen einiges an Wissen angesammelt. An der Stelle will ich betonen, dass die Informationen in diesem Beitrag eine Zusammenfassung meiner Studien sind. Manche Aussagen sind meine persönliche Wahrnehmung, welche durchaus aber nicht unbedingt von vielen geteilt wird. Ich merke, dass es nicht einfach und kaum 100 Prozent objektiv ist über einen Konflikt zu schreiben, der Jahrhunderte alt ist. Meine Empfehlung an euch, lest mehr als diesen Blogbeitrag, wenn ihr euch dafür interessiert. Oder macht lieber ein Auslandssemester in Belfast, das hilft auch. 😉

Was ist der Nordirlandkonflikt?

Wenn von dem Nordirlandkonflikt gesprochen wird, dann ist damit die Zeit der sogenannten Troubles von 1968 bis 1998 gemeint. Ein Bürgerkrieg der viel Trauma in Nordirland hinterlassen hat.
Die Wurzel des Konflikts liegt in der Kolonialisierung Irlands im 17. Jahrhundert. Damals reisten Siedler aus England und Schottland nach Irland und enteigneten die Ir. Obwohl die zwei Lager Katholiken und Protestanten eenntstanden sind, war es weniger ein religiöser Konflikt. Es ging viel mehr darum mit welcher Nation und Kultur sich eine Seite identifiziert hat. Es gibt nach wie vor die Republikaner und Nationalisten, die eine Vereinigung Irlands anstreben und Unionisten, die ihre Verbindung zu Grossbritannien stark machen und erhalten wollen. Nordirland ist heute Teil des Vereinigten Königreichs. Politisch korrekt gehört es nicht zu Großbritannien, da das nur die Insel mit den Ländern Schottland, England und Wales meint. Im englischen Sprachgebrauch wird überwiegend von UK (United Kingdom, dem Vereinigtem Königreich) gesprochen.

Als der Staat Irland nach dem Unabhängigkeitskrieg in 1921 gegründet wurde, blieb Nordirland Teil des Vereinigten Königreichs. Katholische Nordiren wurden als Bürger zweiter Klasse behandelt und Proteste der damaligen Civil Rights Movement endeten in den Troubles. Nachdem dreißig brutale Jahre vergangen waren, die unter anderem von Hungerstreiks, starker Militärpräsenz und Selbstjustiz geprägt waren, wurde das Karfreitagsabkommen (The Good Friday Agreement oder auch Belfast Agreement) verabschiedet. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte in einem Referendum dafür gestimmt. Ab dem Zeitpunkt sollte der Konflikt nur noch auf politischer Ebene ausgetragen werden, indem die verfeindeten Seiten sich bereit erklären zusammen zu regieren. Auch wenn das Abkommen einen Waffenstillstand forderte, legte erst 2005 die IRA (Irisch Republikanische Armee) ihre Waffen offiziell nieder. Erst seit 2007 haben die lang verfeindeten Seiten eine Regierung gebildet und damit auch einen wichtigen Teil des Karfreitagsabkommen eingelöst.

Der Friedensprozess in Nordirland

Obwohl das Good Friday Agreement dieses Jahr in 2023 sein 25. Jubiläum hat, ist der Frieden noch nicht in all seinen Facetten greifbar. In meinen Kursen zu Konflikt- und Friedensprozessen ging es auch viel darum wo Frieden überhaupt anfängt. Den Anfang von diesem Prozess hat das Karfreitagsabkommen auf jeden Fall ermöglicht. Es gibt zum Glück keine brutalen Eskalationen mehr in Nordirland, wie noch vor drei Jahrzehnten. Aber um die Vergangenheit angemessen aufzuarbeiten, fehlt es an einem Narrativ, dass von allen akzeptiert wird. Viele Vorfälle aus der Zeit der Troubles sind bis heute ungeklärt und spaltet die Gesellschaft.

Aktuell gibt es immer noch überwiegend protestantisch und katholische statt integrative Schulen, auch dadurch werden die zwei Fronten weiter begünstigt. Des Weiteren, wurden während des Nordirlandkonflikts Mauern, sogenannte Peace Walls errichtet, die katholische und protestantische Siedlungen auseinander halten sollten. Ironischerweise waren das zu Zeiten des Konflikts, die Orte an denen viel gekämpft wurde. Viele dieser Mauern existieren noch, obwohl es seit mehr als einem Jahrzehnt Pläne gibt diese abzubauen. Es gibt immer wieder einzelne Anschläge, die von einer Seite verübt werden, die auf das Sektenwesen (englisch sectarianism) zurück geführt werden könnten. Das Wort Sektenwesen kann etwas irreführend sein, da es oft im Deutschen mit einer Sekte wie Scientology assoziiert werden könnte. Sektenwesen in Nordirland meint vor allem die starke Identifizierung und Unterstützung einer Gruppe und einer feindlichen Haltung gegenüber anderen Gruppen oder ‚dem Feind‘.

Was ich oft zu hören bekommen habe war, dass viel Hoffnung auf die kommenden Generationen gesetzt werde. Diese Generation kenne die Zeit des Nordirlandskonflikts nicht und kümmere sich weniger darum, wer welchen Hintergrund hat. Seit Ende der Neunziger gab es auch viel gemeinschaftsübergreifende Arbeit, die von vielen Kirchen und NGO’s getragen wurde. Ein übergeordnetes Ziel des Karfreitagsabkommens ist eine übergreifende Zusammenarbeit von beiden Seiten (auf englisch, cross-community based), um in eine gemeinsame Zukunft zu treten. Das wurde und wird überwiegend lokal umgesetzt, indem junge Menschen zusammen gebracht werden, um Brücken zu bauen, zum Beispiel in einem Jugendtreff oder einem Chor. Es gibt auch viel Tourismus zu Nordirlands Geschichte in Belfast. Viele Ex-Gefangene von beiden Seiten unternehmen verschiedene Stadtführungen. Einmal besuchte ich von der Uni aus eine sehr lange Tour mit verschiedenen Tourguides, die mit einer Fragerunde geendet hatte. Ein britischer Ex-Soldat, ein Republikaner und ein Unionist hatten ihre Perspektive auf die Troubles geteilt. Ich war dabei zutiefst bewegt mit wie viel Respekt sie sich gegenseitig begegnet sind. Schließlich waren sie in der Vergangenheit Feinde, aber sie haben das hinter sich lassen können und klären gemeinsam über ihre politische Geschichte auf.

Wie sieht es heute aus?

Mich hatte in Schottland ein Mann um die Mitte vierzig gefragt, wie es sich in Belfast lebt, schließlich sei das lange ein gefährlicher Ort gewesen. Ich finde, die Spannung zwischen den zwei Fronten ist spürbar, besonders wenn ich darauf achte, was für Wandmalereien ich sehe und wo welche Flaggen gehisst werden. Aber weder Belfast noch Nordirland lassen sich in die zwei Schubladen pro-irisch oder pro-englisch stecken. Es gibt die Siedlungen und in ländlicheren Gegenden auch Dörfer, die sich klar zu einer Seite bekennen. Aber es gibt genug Menschen, die diese Spaltung hinter sich lassen wollen und sich gegenseitig respektieren für ihre Prägung und Kultur. Es gibt einen Unterschied was die politische Präferenz und die eigene kulturelle Identität betrifft. Jemand aus Nordirland kann irisch geprägt sein und politisch die Verbindung zu Großbritannien befürworten. Genauso kann ein Nordire von seiner protestantischen Herkunft unionistisch geprägt sein und eine Vereinigung Irlands bevorzugen. Natürlich gibt es auch neutrale Meinungen zu alldem.

Der Brexit hat die Situation um Nordirland verschärft, da besonders die Frage einer Grenze, sei es im Inland oder auch Übersee, ein sehr sensibles Thema ist. Besonders die unionistische und loyalistische Seite ist mit dem Nordirlandprotokoll (englisch, Northern Ireland Protocol) nicht zufrieden. Das Protokoll enthält Regelungen für Nordirland bezüglich des Brexits und der EU. Seit Februar 2022 gibt es keine Regierung für Nordirland. Die notwendige Hälfte in der Regierung, die führende Partei der Unionisten (DUP), weigert sich zu regieren bis das Nordirlandprotokoll angemessen überarbeitet wird.

Plakat auf dem steht EU hands of ulster
Mit der Aussage Hands Off Ulster ist eine pro-Brexit Position gemeint. Wobei Ulster eine Provinz ist, von dem nur ein Teil in Nordirland liegt.

Der Alltag in Nordirland ließ mich schon spüren, dass es sich um UK (Vereinigtes Königreich) und nicht Irland handelt. Ich sehe deutlich mehr Union Jack Flaggen als Irlandflaggen. Eine offizielle von allen anerkannte Flagge für Nordirland gibt es leider nicht. Aber auch, dass in Nordirland die Währung Pfund und die Einheit Miles gilt und dass das Gesundheitssystem über die NHS (National Health Service) läuft, zeigt das ich hier im Vereinigten Königreich bin. Es gibt arbeitsfreie Gedenktage, weil König Charles gekrönt wird oder die Queen gestorben ist. Wenn ich mit dem Zug nach Dublin fahren will, kann ich nicht über die irische Internetseite buchen. Das Einzige was ich von der Inlandsgrenze merke, sind die Autobahnschilder die von Kilometer zu Miles wechseln. Und dass mein Handy mir eine SMS sendet mit den Tarifen zu Großbritannien oder Irland. Manchmal ist das Hin und Her um Euro und Pfund sowie Kilometer und Miles verwirrend. Am Ende kam mir das mehr wie eine Kleinigkeit vor. Für mich als Erasmusstudentin merke ich natürlich auch, dass das Erasmusprogramm anders läuft als für andere Länder durch den Brexit. Dazu habe ich einen ausführlichen Beitrag geschrieben, falls Du mehr wissen willst wie der Brexit das Erasmusprogramm verändert.

Gestapelte Paletten für ein Leuchtfeuer
Zum 12.Juli werden traditionell riesige Leuchtfeuer aufgebaut. An diesem Tag feiert der protestantische Orangier-Orden heute noch den Sieg gegen katholische Iren im 17.Jahrhundert.

Die Zukunft Nordirlands

Eines Abend hatte ich einen irischen Freund gefragt, ob er glaubt, dass Irland eines Tages vereint sein wird. Er meinte, er sei sich sicher, dass das passieren wird. Er fragt sich viel mehr wie viele Jahrzehnte es bis dahin dauern wird.
In einer meiner Kurse zu aktuellen Problemstellungen Irlands, haben wir aus der Forschung Umfrageergebnisse analysiert. Die Daten haben gezeigt, wie sich die Haltung der nordirischen Bevölkerung über die Jahre verändert hat. Mit Blick auf politische Ereignisse konnten wir feststellen, dass sich die Meinungen zu einem vereinigtem Irland stark verändert hat seit dem Brexit. Daraus lässt sich vermuten, dass Irland unter anderem durch die EU für manche attraktiver sein könnte als weiterhin Teil des Vereinigten Königreichs zu sein. Das war für mich einer der spannendsten Momente in meiner Vorlesung als mir das bewusst wurde. Wer weiß, was für eine politische Reise Nordirland noch durchmachen wird. Das Good Friday Agreement sieht unter anderem auch vor, dass Nordirland solange Teil des Vereinigten Königreichs bleibt bis es eine Mehrheit gibt, die sich in einem Referendum dagegen ausspricht. 

Ich hoffe ich konnte euch damit einen kleinen Einblick geben und ein bisschen zu eurem geschichtlichem Verständnis beitragen. 

Cheers,
Lane

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