17. Mai 2020
Meine Gedanken sind oft überall: in der Vergangenheit, der Zukunft, nur nicht da, wo sie sein sollten: im Hier und Jetzt. Das schadet nicht nur meiner Konzentration, sondern schlägt mir oft auch ganz schön aufs Gemüt. Läuft dein Gedankenkarussell auch auf Hochtouren und du kommst kaum noch zur Ruhe? Dann lass mich dir verraten, wie wir mit mehr Achtsamkeit unseren Tagträumen Herr werden und uns so auch wieder wohler fühlen können.
Zur Abwechslung möchte ich etwas einbringen, womit ich mich momentan in der (remote) Uni beschäftige. Denn neben neuen Koch- und Back-Skills, habe ich noch einiges mehr in der Corona-Zeit lernen dürfen: wie Meditation unser Gehirn verändert zum Beispiel.
Vom Tagträumen und Gedankenwandern
Oft hören wir, dass „living in the moment“, also im Hier und Jetzt zu leben, glücklich macht. Tatsächlich sind wir die Hälfte unseres Lebens aber eben nicht im Hier und Jetzt, sondern in der Vergangenheit und der Zukunft unterwegs – mental zumindest. So verbringen wir etwa 50 % unserer Zeit, in der wir wach sind, mit Gedankenwandern. Und das wiederum scheint mit Unzufriedenheit zusammenzuhängen, da wir dabei oft sehr streng mit uns selbst ins Gericht gehen und uns selbst abwerten.
Die Gedanken sind frei
Sicher kennst du es: Du sitzt gemütlich zuhause im virtuellen Hörsaal und versuchst, dem Professor oder deinen Kommilitonen zu folgen. Aber dein Blick wandert vom Bildschirm, über die Kaffeetasse in deiner Hand, durchs Zimmer und aus dem Fenster. Und deine Gedanken gleich hinterher. Vielleicht denkst du an den Streit mit deinem Partner oder deiner Partnerin am Abend oder die Tatsache, dass dein Sommerurlaub ins Wasser – oder besser gesagt in die Corona-Flut – gefallen ist. Okay und was genau hat der Professor gerade erklärt? Keine Ahnung? Genau. Das liegt daran, dass genau in diesem Moment, in dem du abgeschaltet und aus dem Fenster gesehen hast, dein „Default-Mode-Network“ aktiviert wurde.
Das Default-Mode-Network
Zu diesem Hirnnetzwerk gehören vor allem Teile des medialen präfrontalen Cortex (mPFC), des posterioren cingulären Cortex (PCC) und des anterioren Praecuneus. Alle drei sind in die Selbstaufmerksamkeit involviert. Der präfrontale Cortex spielt außerdem eine wichtige Rolle bei der bewussten kognitiven Verarbeitung, Handlungsplanung, Aufmerksamkeit und unseren Emotionen.
Default-Was?
Default-Mode-Network – zu deutsch Ruhezustandsnetzwerk. So heißt das Hirnnetzwerk, das aktiv wird, wenn wir – Trommelwirbel – nichts tun. Wenn wir Tagträumen, uns über die Vergangenheit und die Zukunft sorgen und unsere wandernden Gedanken uns das Leben schwer machen. Denn Gedankenwandern scheint unser „Default Mode“ also unser Ruhe- oder Normalzustand zu sein. Kein Wunder, bei der vielen Zeit, die wir damit verbringen. So weit so gut. Was können wir nun dagegen tun?
Achtsamkeit als Gegenspieler zum Gedankenwandern
Meditieren zum Beispiel. Die neurowissenschaftliche Erforschung von Meditation und Achtsamkeit steckt zwar noch in den Kinderschuhen, in den letzten zwei Jahrzehnten ist das Forschungsinteresse aber stark gewachsen. Und es zeigt sich: Schon kurze Achtsamkeitsübungen wie zehn Minuten Meditieren oder achtsames Atmen scheinen, das Wandern unserer Gedanken reduzieren zu können.
Achtsam atmen
Versuche doch mal, für ein paar Minuten deinen Atem zu beobachten, ohne ihn kontrollieren zu wollen. Falls du abgelenkt wirst, kehre mit der Aufmerksamkeit sanft wieder zu deinem Atem zurück. Wenn dir das schwerfällt, zähle beim Einatmen durch die Nase langsam bis vier, beim Ausatmen – am besten ebenfalls durch die Nase – bis sechs.
Ein … zwei, drei, vier
Aus … zwei, drei, vier, fünf, sechs.
Gar nicht mehr so einfach, noch an etwas anderes als den Atem zu denken oder? Diese Übung hilft mir ungemein, meine Gedanken zur Ruhe zu bringen.
Wie Meditation unser Gehirn verändert
Das liegt daran, dass Meditation wahrscheinlich neuroplastische Veränderungen in bestimmten Hirnregionen hervorruft, die für (Selbst-) Aufmerksamkeit und Emotion verantwortlich sind – und somit auch im Default-Mode-Network. Vor allem bei erfahrenen Meditationspraktikern aber auch bei Meditationsanfängern wird das Default-Mode-Network während der Meditation – und auch im Ruhezustand, beim Nichtstun also – weniger aktiv als bei Menschen, die nicht meditieren.
Neuronale Plastizität
Die Struktur und Funktion unseres Gehirns sind nicht in Stein gemeißelt. Im Gegenteil, unser Gehirn ist plastisch – das heißt so viel wie „zu Veränderungen in der Lage“! Denn all unsere Erfahrungen und Erlebnisse verändern unser Gehirn, indem neue neuronale Verbindungen (Synapsen) zwischen Nervenzellen (Neuronen) gebildet oder schon bestehende Verbindungen gestärkt oder vermindert werden. Immer dann, wenn unsere Erfahrungen unser Gehirn verändern, wir also neue Dinge lernen, sprechen wir von neuronaler Plastizität. Sie kann einzelne Nervenzellen oder ganze Hirnareale betreffen.
Achtsamkeit reduziert also das Gedankenwandern und führt dazu, dass wir weniger wertend über uns selbst nachdenken und stattdessen das Hier und Jetzt bewusster und objektiver wahrnehmen. Das wiederum hat den Vorteil, dass wir weniger schlecht gelaunt oder ängstlich sind. Und uns stattdessen selbst mehr akzeptieren, positiver wahrnehmen und wohler fühlen. Schließlich macht „living in the moment“ glücklich. Dies sind auch die Hauptmerkmale der Achtsamkeit, wie wir sie in nahezu allen Definitionen finden:
Die drei Hauptmerkmale der Achtsamkeit
1. Aufmerksamkeit, Fokus.
2. Im Hier und Jetzt, im gegenwärtigen Moment.
3. Frei von Bewertung, Reaktion.
John Kabat-Zinn, der die Achtsamkeits-Bewegung und -Forschung im Westen stark geprägt hat, definierte Achtsamkeit 2003 als „Awareness arising by purposefully paying attention in the present moment with an attitude of non-reactivity, non-judgement and openness.”
Außerdem zeigen empirische Studien, dass schon kurze Achtsamkeitsübungen das Gedankenwandern während der Bearbeitung von Aufgaben, die viel Aufmerksamkeit erfordern, reduzieren können. Eine kurze Mediationspause, während dem nächsten Hausarbeiten- oder Lernmarathon könnte somit deine Konzentrations- und Leistungsfähigkeit steigern. Trotzdem wäre es falsch, unseren Stress einfach „wegzumeditieren“. Dass Achtsamkeit viel mehr bietet als eine Strategie zur Stressreduktion und Leistungsoptimierung, verrate ich dir nächste Woche.
Für Nerds und Interessierte: meine Quellen
Für alle (Psychologie-) StudentInnen und die, die es noch werden wollen: Hier findet ihr die Studien und Artikel zum Thema Achtsamkeit und Gedankenwandern, auf die ich mich in diesem Beitrag beziehe.