12. Mai 2016
Das Bódva-Tal ist eine der ärmsten Gegenden Ungarns: Nicht selten sind ganze Familien seit Generationen arbeitslos und leben mit rund zwei Euro pro Tag am Existenzminimum. Eine Forschungsgruppe der Budapester Moholy-Nagy-Universität für Kunsthandwerk und Gestaltung bietet mit dem Projekt Cloudfactory Kindern der Gegend neue Perspektiven. Regelmäßig besucht die Forschungsgruppe MOME EcoLab die Bezirksgrundschule im Ort Bódvaszilas, um den Schülern in Kreativprojekten positive Erfahrungen zu vermitteln.
“Durch unser Projekt möchten wir positiven Input in Gegenden bringen, in denen Menschen durch ihre Umgebung benachteiligt sind. Wir organisieren aktive, kreative Projekte, in denen wir versuchen, den Menschen zu zeigen, wie sie ihre Lage verbessern können und vor allem, dass auch sie ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft sind”, berichtet Borbála Fehér, Gründungsmitglied der Gruppe MOME EcoLab. “Bei unserem ersten Projekt 2011 (Lenkproject) besuchten wir Bódvalenke und kreierten mit den Anwohnern unter anderem ein kommerzielles Kochbuch mit traditionellen Rezepten der Gegend.” Das Cloudfactory-Team möchte Kindern, die in Armut großgeworden sind,nicht nur das Selbstbewusstsein geben, eine neue Perspektive zu finden, sondern auch aus ihren kreativen Lösungsansätzen lernen.
Die studierte Architektin Borbála Fehér forscht an der Moholy-Nagy-Universität zum Thema Resilienz und Anpassung. Sie ist eine der Programmdirektorinnen der Forschungsgruppe MOME EcoLab, die sich für soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit einsetzt. Das Ziel ist es, mit künstlerischen Interventionen Mehrwert zu schaffen, wo er am meisten benötigt wird. Das Forschungsteam besteht aus den verschiedensten Berufsgruppen: Produktdesignern, Architekten, Grafikern, Fotografen, Medienkünstlern, Landschaftsarchitekten, Ökonomen, Soziologen, Designmanagern und Nachhaltigkeitsexperten. Für das interdisziplinäre Projekt können sich auch Studenten aus Bachelor, Master und den Doktorandenprogrammen bewerben; diese arbeiten dann gemeinsam mit den vier festen Leitern zusammen – neben Fehér sind das Dániel Barcza, Andrea Schmidt und Rita Szerencsés.
Wir sind ein Langzeitprojekt
“Bei unserem ersten Projekt mussten wir die Erfahrung machen, dass es für viele Teilnehmer seitens der Universität ein zu hartes Umfeld ist. Die Menschen in Bódvalenke leben in tiefer Armut und wir haben schnell gemerkt, dass es einen bestimmten Punkt im Leben gibt, an dem man in der Lage ist, kreativ zu sein und aus allem einen positiven Mehrwert zu schaffen, aber auch, dass es bald danach einen Punkt gibt, an dem dieses Potenzial erschöpft ist”, berichtet Fehér.
Diesen Punkt legten sie auf das sechste Lebensjahr fest, hier sind Kinder am stärksten in der Lage die Probleme ihres Umfeldes auszublenden und mit Kreativität eine Verbesserung zu schaffen. Das MOME EcoLab machte sich auf die Suche nach einer Grundschule für ein sinnvolles und nachhaltiges Langzeitprojekt. Geeignete Bedingungen fanden sie in der Bezirksgrundschule im Ort Bódvaszilas vor, die laut dem MOME-EcoLab-Team das perfekte Umfeld bietet: Ein Areal, dessen Einwohner durch ihre Armut von der Außenwelt abgeschnitten scheinen. Nur selten können sich die Menschen in Bódvaszilas ein Busfahrticket in die nächste Kleinstadt leisten, um dort einen Arbeitsplatz zu finden oder Sozialleistungen wahrzunehmen. Probleme wie diese verhindern, dass die dort lebende Gesellschaft sich aus ihrer Armut befreit. Auf dem Pausenhof der Bezirksgrundschule im Ort Bódvaszilas hat das Cloudfactory-Projekt seinen ganz persönlichen Treffpunkt errichtet. Bei den Projekten können sie dort auch im Freien konzentriert arbeiten.
Viele Forschungsprojekte sehen nur ihren eigenen Profit
Bei dem Projekt Cloudfactory nutzt das Team die Räumlichkeiten der Bezirksgrundschule, die von den Kindern der umliegenden Dörfer des Bódva-Tals besucht wird. “Ein gespendeter Bus, der die Kinder jeden Tag abholt und wieder zurückbringt, ermöglicht es viele Kindern, überhaupt dort zur Schule zu gehen”, erzählt Fehér. “Wir sind dankbar für die Unterstützung der Schule. Durch sie vertrauen uns die Eltern der Teilnehmer.” Hilfsprojekte wie Cloudfactory sind in den ärmeren Gegenden Ungarns nicht ungewöhnlich. Fast alle Projekte dieser Art dienen der Forschung. Viele Helfer bleiben nur solange, bis sie ihre Forschungsergebnisse erlangen und erreichen so keinen dauerhaften Effekt auf die Umgebung. Den Gründern des MOME EcoLabs war es von Anfang an wichtig, im Bódva-Tal ein Langzeitprojekt zu entwickeln, um wirklich etwas bewirken zu können.
Bei dem Cloudfactory-Projekt lernen die Schüler in einem ungewohnt offenem System. Sie dürfen ihre Ideen äußern und diskutieren sie mit Projektleitern und Schülern auf einer Ebene. Im Laufe des vergangenen Jahres gab es im Rahmen des Projektes verschiedene Designworkshops. Sie bieten den Schülern eine neue Art des Lernens. Mit dem Cloudfactory-Team arbeiten die Kinder erstmals in Gruppen und in flachen Hierarchien zusammen. “Jeder darf seine Ideen äußern und wir versuchen den Kindern beizubringen für jede Idee offen zu sein, ohne zu urteilen”, erklärt Fehér. “Niemand wird zu den Projekten gezwungen, alles läuft auf freiwilliger Basis. Wenn jemand eine Pause möchte, darf er rausgehen und sich selber beschäftigen, dass soll uns andere nicht stören.” Einmal im Monat fahren die Betreuer des Projektes in die Schule und bleiben mindestens einen Tag. Quartalsweise finden längere Workshops mit einer weitaus größeren Anzahl an Kindern und inzwischen auch mit verschiedenen Altersgruppen statt.
Träume verwirklichen und Selbstvertrauen gewinnnen
“Ein Beispiel für einen weiteren Workshop ist, dass die Kinder ein Haus entwerfen sollten. Ihre Ideen konnten sie bei uns in einem Wettbewerb einreichen”, berichtet Fehér. Die besten Häuser wurden anschließend gemeinsam mit den Kindern gebaut. Natürlich können sie nicht alle Arbeiten übernehmen, doch haben wir ihnen die Grundkenntnisse des Werkens beigebracht.“ Die Kinder stammen meist aus sehr konservativen Familien, für viele ist es ungewöhnlich, wenn ein Mädchen weiß, wie man mit einem Schraubenschlüssel umgeht.“ Wir versuchen den Kindern zu zeigen, dass auch sie schon in gewisser Hinsicht selbstständig sein können, und das unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und ihres Geschlechtes.” Werte wie diese versucht das Cloudfactory-Projekt an die Kinder weiterzugeben. Damit wollen sie den Kindern zeigen, dass man manche Träume verwirklichen kann, und versuchen ihnen ein paar Einblicke in potenzielle Berufe zu geben.
“Wir haben die Kinder gefragt, was sie am Aussehen ihrer Umgebung verbessern möchten und welche Designvorschläge sie haben. Einige Vorschläge haben wir ausgewählt und werden sie während unserer Sommerschule im September umsetzten”, berichtet Fehér. Gemeinsam mit den Kindern entwerfen sie auch Spielzeug, das sie als Prototypen bauen und in der Kindertagesstätte „Biztos Kezdet Ház“ testen. Das Projekt finanziert sich durch institutionelle und private Spenden. Von ihnen werden Snacks und Arbeitsmaterialien bezahlt. Gerne möchte das Cloudfactory-Team ein eigenes kleines Zentrum im Bódva-Tal nahe der Grundschule errichten. Die meisten Gruppenleiter leben jedoch im rund 250 Kilometer entfernten Budapest. Damit auch sie einen angenehmen Aufenthalt haben und ihre Energie vollkommen in die Arbeit mit den Kindern stecken können, brauchen sie nicht nur einen Rückzugs-, sondern auch einen Lagerraum für Materialien. Das Zentrum steht für mehr Sicherheit, ein intensives und langfristiges Designprojekt für eine nachhaltige Verbesserung der Lebens-, Lern- und Entwicklungsumstände der Kinder im Bódva-Tal zu ermöglichen.
Fotos: Nikolett Kustos
Erstmals veröffentlicht auf www.budapester.hu