10. November 2021
Bei uns internationalen Studierenden ist mittwochs eine kleine Tradition entstanden. Viele treffen sich zuerst in einer Bar und gehen danach in einen Club. Von einem dieser Abend weiß ich nichts mehr. Alles wurde plötzlich schwarz und ich bin erst am nächsten Tag wieder in meinem Bett zu mir gekommen. Und weil das so ein wichtiges Thema ist, möchte ich auch, dass ihr darüber mehr erfahrt.
Es war wie an jedem Mittwochabend hier in Tallinn: Vor vier Wochen war ich mit meinen Freund:innen zuerst in einer beliebten Bar – an diesen Tagen werden Beerpong-Turniere veranstaltet. Diesmal habe ich allerdings nicht teilgenommen, war also nur als Zuschauerin da. Ich habe die anderen Teams angefeuert und dabei selbst zwei Bier getrunken. Die Stimmung war ausgelassen und wir hatten Lust weiterzufeiern, nachdem das Turnier zu Ende war. Deshalb haben wir beschlossen, danach die Location zu wechseln und noch in eine Diskothek zu gehen.
Clubbesuch wie immer?
Wie immer zahlten wir den Eintritt und gaben unsere Jacken an der Garderobe ab. Man bekommt eine kleine Karte mit einer Nummer darauf, sodass die Jacken später zugeordnet werden können. Um auch bei Verlust meiner Karte meine Jacke wiederzubekommen, mache ich jedes Mal ein Bild von mir mit meiner Jackennummer. Danach ging es auf die Tanzfläche und anschließend gemeinsam mit Freund:innen an die Bar, um einen Shot zu trinken. Aus einem wurden zwei. Direkt danach sind wir wieder zur Tanzfläche gegangen. Von da an kann ich mich an nichts mehr erinnern. Es folgen Erzählungen meiner Freund:innen.
Alles schwarz!
Meine Freund:innen haben mich liegend auf einer Bank neben der Tanzfläche gefunden. Ich war nicht mehr ansprechbar. Durch einen speziellen Griff hinter mein Ohr habe ich für kurze Zeit meine Augen wieder geöffnet, war dann aber wieder weg. Bei der Berührung dieses Druckpunktes hinterm Ohr, der vor allem im Kampfsport bekannt ist, empfindet man einen relativ starken Schmerz, wodurch ich kurz wieder zu mir gekommen bin. Gemeinsam haben mich zwei Freunde aus dem Club rausgetragen und erst mal auf den Boden gesetzt. Nach kurzen Diskussionen haben sie beschlossen, mich nach Hause zu tragen, da ich selbst nicht mehr laufen konnte. Dabei habe ich mich anscheinend mehrmals übergeben müssen.
Ein Einzelfall?
Als ich am nächsten Morgen in meinem Bett aufgewacht bin, war der ganze Abend wie ausradiert und mir ging es noch weitere zwei Tage mit Bauchkrämpfen ziemlich übel. Weil es mir am dritten Tag wieder besser ging, bin ich nicht zu einem Arzt gegangen. Daran, dass mir jemand etwas ins Getränk getan hat, hatte ich in diesem Moment überhaupt nicht gedacht. Zwei Wochen nachdem mir das passiert war, waren wir wieder in demselben Club. An diesem Mittwoch ist neben mir auf der Tanzfläche ein junger Mann plötzlich umgekippt. Er war ebenfalls nicht mehr ansprechbar und in diesem Moment habe ich mich in ihm gesehen und Gänsehaut bekommen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich zum ersten Mal in Betracht gezogen, dass mir jemand etwas in mein Getränk gemischt haben könnte.
Im Laufe meiner Jugend hat mein Umfeld des Öfteren betont, dass ich im Club auf meine Getränke aufpassen soll. Meine Großeltern und Eltern wollten mich für das Thema sensibilisieren, aufgrund von regelmäßigen Vorfällen, die in den Medien thematisiert wurden und immer noch werden. Trotzdem habe ich niemals daran gedacht, dass auch mir so etwas passieren kann. Ich war vielleicht ein bisschen zu leichtgläubig. Aber warum muss immer erst etwas passieren, bis man auf etwas acht gibt? Deshalb passt bitte immer gut auf eure Getränke auf! Ich bin unglaublich froh und dankbar, dass meine Freunde für mich da waren und auf mich aufgepasst haben.
Und jetzt …
Damit habe ich eine Erfahrung gemacht, die ich mir lieber gespart hätte. Gleichzeitig hat sie mir aber auch bewusst gemacht, wie schnell so etwas passieren kann. Seitdem bin ich deutlich achtsamer mit meinen Getränken. Ich beobachte den Barkeeper beim Einschenken, lasse sie nicht unbeobachtet stehen und meide unübersichtliche Situationen mit Getränken in der Hand, wie zum Beispiel auf der Tanzfläche. Des Weiteren hat es mir gezeigt, dass ich mich immer auf meine Freund:innen verlassen kann, obwohl wir uns erst zu Beginn des Auslandssemesters kennengelernt haben. Das hat mich sehr berührt.
Nach diesem Vorfall habe ich für mich selbst entschieden, weiterhin mit meinen Freund:innen feiern zu gehen. Einerseits bin ich nun wachsamer und weiß, dass ich mich auf meine Freunde verlassen kann. Andererseits möchte ich mich dadurch auch nicht einschränken lassen.