16. Januar 2021
In meinem ersten Artikel hatte ich eine ziemlich große Klappe und gar mit einem dauerhaften Auswandern nach Spanien geliebäugelt. Heute sehe ich das etwas differenzierter. Mein Onkel Manuel Álvarez hat mir da spannende Einblicke geliefert. Heute lebt er im andalusischen Los Barrios, als Kind hat er sich aber als „richtige Kartoffel“ gesehen. Die folgenden Beiträge sind auf Basis eines Interviews entstanden und beschreiben die Erlebnisse aus seiner Perspektive. Was Manuel da erzählt, ist Teil meiner Familiengeschichte und der Familiengeschichte Millionen anderer Deutscher mit Migrationshintergrund.
Ich erinnere mich nicht sehr gut an meine ersten Lebensjahre in Spanien, sagt Manuel. Ich weiß nur, dass es uns finanziell nicht schlecht ging. Mein Vater war zwei Jahre vor meiner Geburt nach Deutschland gegangen. Das war Ende der 1960er-Jahren. Er arbeitete dort im Stahlwerk und lebte mit einem Dutzend anderer Spanier in einer kleinen Wohnung. Er machte das für uns, schickte uns Geld nach Hause, kam so oft er konnte zu Besuch.
Meine Mutter pflegte ihren Vater noch bis zum Tod, dann reisten auch wir nach Deutschland – 1973, ich war damals fünf Jahre alt.
Eine Integrationsgeschichte von Frauen
Wir zogen in den zweiten Stock eines Hauses. Die Vermieterin wohnte unten. Auguste. Ein Name, der für spanische Kinder unmöglich auszusprechen ist. Für Auguste war das okay – wir durften sie „Oma“ nennen.
Unsere liebe deutsche Oma. Jeden Tag durfte einer von uns vier Kindern bei ihr zu Mittag essen. Sie war eine fantastische Köchin. Wir haben uns dann jedes Mal darum gestritten: „Ich will bei der Oma essen!“, „Nein, ich!“, „Nein, ich!“, „Nein, ich!“ Jeder im Dorf hat Auguste gemocht. Für mich und meine Schwestern war sie unfassbar wertvoll. Wir lernten durch sie die Sprache und entwickelten ein Lebensgefühl für unsere neue Heimat.
In der Grundschule gab es damals noch das Fach Heimatunterricht – wir spanischen Gastarbeiterkinder haben dort etwas über Spanien gelernt. Es gab auch Deutsch für Ausländer – viel gebracht hat es nicht, zumal jeder mit ausländischem Namen dahin musste, auch wenn er in Deutschland geboren wurde und die Sprache schon fließend gesprochen hat.
In der zweiten Klasse stellten die Lehrer dann fest, dass ich noch immer nicht richtig lesen und schreiben konnte. Frau Blankenstein hat sich mir angenommen. Nach der Schule hat sie mir und anderen Kids Förderunterricht gegeben; ich schätze unbezahlt. In der vierten Klasse war ich sprachlich topfit. Ich schrieb ihr einen Brief zum Dank.
Zwischen Dorfleben und spanischer Community
Ich habe mit den deutschen Kids gespielt und mich auch immer zugehörig gefühlt. Zu Hause habe ich mit meinen Eltern spanisch gesprochen, aber draußen im Dorf, da war ich eine richtige Kartoffel.
Keine Couchkartoffel – ich war im Handballverein, habe Kunstturnen betrieben. Im Teenageralter wurde ich dann von einer spanischen Fußballmannschaft aus dem Nachbarort gefragt, ob ich da nicht aushelfen könnte. Über sie kam der erste Kontakt zur spanischsprachigen Community. Ich war überrascht, wie groß sie war.
Wir feierten die besten Partys, spielten Gitarre, tanzten Sevillanas. Wir pflegten die Kultur unseres Heimatlandes, das wir zu jung verlassen hatten als dass wir sie dort wirklich ausgelebt hätten.
Auf einer dieser Partys habe ich dann auch Yolanda kennengelernt. Ihre Eltern sind Spanier, aber sie wurde in Deutschland geboren.
Ihren Migrationshintergrund hatte sie trotzdem zu spüren bekommen. „Schämst du dich nicht“, hatte einmal ein Grundschullehrer gesagt, „dass Yolanda als Spanierin eine bessere Note als du geschrieben hast, Christoph!?“
Als Kind hatte sie sich manchmal nicht zugehörig gefühlt. Ich schon … irgendwie.
Yolanda und ich wurden ein Liebespaar. Als ihr Vater in Rente ging, wollte er nach Spanien zurückkehren. Yolanda sollte ihn begleiten. „Ohne Ring am Finger bleibst du nicht alleine hier.“
Dann haben wir geheiratet.